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Der Massenmord von Norwegen macht die Menschen fassungslos. Eine solch gewaltige Untat ist kaum zu begreifen. Da versagt die Vernunft. Beinah reflexartig hieß es daher auch, das war die Tat eines Wahnsinnigen, eines Verrückten. Anders Behring Breivik, ein Psychopath?
Für Breiviks Verteidiger Geir Lippestad stand schnell fest: Mein Mandant ist geisteskrank. Aber ist ein solch monströses, unvorstellbar grausames Verbrechen schon ein Beleg dafür, dass der Täter „krank“ und somit schuldunfähig ist? Oder macht man es sich damit zu einfach?
Für Professor Norbert Nedopil, Leiter der Forensischen Psychiatrie der Universität München, ist die Antwort klar: „Ich gehe nicht davon aus, dass der Attentäter Wahnvorstellungen hat. Die meisten Menschen, auch die meisten Mörder, haben keine Wahnvorstellungen. Die Regel ist, dass die Menschen keine Wahnvorstellungen haben“, begründet der Kriminalpsychiater seine Einschätzung – die er allerdings unter einen Vorbehalt stellt: Er habe nicht mit Breivik gesprochen, ob dieser „psychotisch“, also geisteskrank sei, könnte er mit Gewissheit nur nach einem ausführlichen Gespräch mit Breivik feststellen. „Aber weil die überwiegende Zahl der Menschen nicht krank ist, würde ich das bei dem Attentäter bezweifeln.“
Dass dessen Verteidiger aber genau dies behauptet, hat für den Gutachter Nedopil ganz andere Gründe: „Der Verteidiger muss das machen. Es ist die einzige Möglichkeit – nach deutschem Recht jedenfalls – aus einer langen Freiheitsstrafe herauszukommen, wenn er versucht, die Schuld zu mildern. Ob das aber erfolgreich sein wird, sei dahingestellt.“
Sein umfangreiches Pamphlet im Internet, in dem Breivik wirre Erklärungen für sein Verbrechen zusammengeklaubt hat, deutet das nicht auf einen enormen Realitätsverlust? Seine Gewissheit, auserwählt zu sein, einen „Krieg“ führen zu müssen? Aber kann ein kranker Mensch ein Verbrechen so ausführlich und detailliert vorbereiten und planen, wie er es tat? Wie kann es sein, dass niemand etwas merkte? Die menschliche Psyche ist offenbar zu kompliziert für eine schnelle Einschätzung dieses Massenmörders.
Gut und Böse
Entweder Gut oder Böse – das sind für den Psychologen und Psychiater Nedopil keine Gegensätze. „Im Grunde ist der Mensch so gebaut, dass er Gut und Böse in sich vereint. Aber aufgrund der Natur und der Erziehung wird verhindert, dass er das Böse zu seinem und der anderen Nachteil auslebt.“ Erziehung und soziale Prägung bildeten entscheidende Kontrollen. „Krankheit kann ein Grund dafür sein, dass diese Kontrollen wegbrechen. Bei Breivik sehe ich das aber nicht.“ Aber auch Not, Krieg, Fanatismus verbunden mit Narzissmus könnten die Kontrollen außer Kraft setzen. „Im Jugoslawienkrieg haben wir erlebt, dass Menschen, die vorher völlig unauffällig gelebt haben, fähig waren, grausame Massenverbrechen zu begehen.“
Ideologischer Fanatiker
Auch der forensische Psychiater und Gutachter Matthias Lammel aus Berlin glaubt nicht, dass der Attentäter krank ist. „Dass das ein narzisstischer, ideologischer Fanatiker war, liegt näher“, sagt er. Einen krankhaften Wahn hält auch er für unwahrscheinlich. Sollte sich aber herausstellen, dass Breivik wahnhafte Vorstellungen hatte, „dann muss sein Umfeld es nicht gemerkt haben. Das Umfeld neigt nicht dazu, Vorzeichen unter dem Gesichtspunkt der Krankheit zu denken. Es werden andere Erklärungen gesucht, wenn sich jemand absonderlich verhält.“ Und gerade wegen der Vielfalt dieser Möglichkeiten hält Lammel es auch für kaum möglich, solche Verbrechen im Vorfeld verhindern zu können. „Da kann man nicht vorbeugen. Jemand wie Breivik fällt durch alle Raster.“