Otomo. . Die Jungen sind weg, die Alten schuften: In Japans ländlicher Erbeben-Zone, fernab der Metropolen, ist das Aufräumen besonders mühsam. Während die Städte schnell in Stand gesetzt werden, müssen Dörfler lange auf Unterstützung warten.
Die kleine, vermummte Gestalt von Kyoko Hatakeyama verschwindet fast neben dem riesigen Berg von Schutt vor dem Eingang ihres Hauses. Seit zwei Wochen schon schuftet die 69-jährige Frau gemeinsam mit ihrem Mann täglich von morgens bis abends, um das kleine, hölzerne Haus zu putzen. Es ist vom Tsunami mit Schlamm vollgespült worden.
Ein Teil des Holzfußbodens ist weggesackt. Von der Decke baumelt eine Lampe. Nur die sechs Wanduhren, Sammelstücke des Ehemanns, überstanden den Tsunami in dem kleinen Dorf Otomo unversehrt.
Die Frau und ihr 72-jähriger Ehemann arbeiten auf eine Weise, die ihr Alter vergessen lässt. Die Kinder leben seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Nähe der Hauptstadt Tokio. Benzinmangel und gesperrte Straßen verhinderten bisher, dass der Nachwuchs ihnen zu Hilfe kommen konnte. „Wir waren wenigsten in der Lage, sie anzurufen“, sagt Kyoko Hatakeyama. „Sie wissen, dass wir überlebt haben.“ Otomo hatte Glück. Niemand hier im Dorf wurde vom Erdbeben und dem folgenden Tsunami getötet.
Aber die Flutwelle zerstörte die Zukunft der Bewohner. Hier wollten sie in Ruhe ihren Lebensabend verbringen. Denn in Otomo, einem kleinen Dorf rund 40 Kilometer nördlich der Hafenstadt Miyako in der Iwate-Präfektur, leben schon seit Jahren keine jungen Leute mehr. Sie sind nach dem Ende ihrer Ausbildung lieber in Japans Städten geblieben, in denen es Arbeit gibt und einen urbanen Lebensstil.
Es ist modrig und feucht
Nun putzt Kyoko Hatakeyama, was das Zeug hält. Das Holz des im traditionellen Stil gebauten Hauses ist immer noch modrig feucht. Es wird Monate dauern, bis klar ist, was herausgerissen werden muss und was noch brauchbar ist. In der Nachbarschaft streift der 73-jährige Kazumari Mitachi durch die Ruinen, die der Tsunami hinterließ. Er sucht nach Überbleibseln aus seinem Ryokan, einer kleinen Pension samt Heilbad, mit der er sich etwas zu seiner Rente hinzuverdient hat. Auch er weiß noch nicht, ob das Gebäude abgerissen werden muss. „Ehrlich gesagt“, brummt der gedrungene Mann, „habe ich noch keine Zeit für solche Überlegungen gehabt. Ich muss erst mal versuchen, diese ersten schwierigen Tage zu überbrücken.“ Inzwischen sind wenigstens ein paar Arbeiter der Verwaltung aufgetaucht, die versuchen, die Strom- und Wasserversorgung zu reparieren.
„Otomo ist so klein“, sagt Mitachi, „dass wir übersehen werden.“ Es ist eine Erfahrung, die viele Dorfbewohner entlang der vom Tsunami betroffenen Pazifikküste Japans nicht zum ersten Mal machen. Die Städte werden als erstes wieder halbwegs in Stand gesetzt. Die Dörfer entlang der Landstraße Nummer 45 aber sind schon lange vorher vergessen worden.
Zerstörung bleibt ewig
Hier leben fast nur noch alte Leute. „Die Hatakeyamas und ich sind noch mit die Jüngsten“, sagt Mitachi. Ein großer Teil des japanischen Wirtschaftswunders zog ebenso unbemerkt an diesen Dörfern vorbei wie die Wirtschaftskrise, unter der Japan seit Jahren darbt. Die Alten wollten nicht fort. Ihre Häuser befinden sich oft schon seit Generationen in der Familie. Und mit dem hektischen und teuren Leben in den Städten können sie ohnehin wenig anfangen.
Der Tsunami vom 11. März zerstörte die vergessene, aber gemütliche Idylle der alten Leute in den Dörfern nun wohl für alle Ewigkeit. „Wir haben uns immer dagegen gewehrt, zu unserem Sohn nach Tokio zu ziehen“, sagt Kyoko Hatakeyama. Die 69-jährige Frau stemmt die Hände in die Hüften, tritt mit ihren Gummistiefeln auf ein feuchtes Brett im Holzfußboden ihres Hauses und klingt etwas resigniert, als sie sagt: „Aber so wie es aussieht, bleibt uns jetzt vielleicht keine andere Wahl.“
Nach den Anstrengungen der vergangenen Tage wird ihr mit jedem geputzten Meter im Haus klar: Die Reparatur dürfte teuer werden, so teuer, dass ein Abriss billiger kommt. Wie sie die Mittel für einen Umzug aufbringen soll, weiß Kyoto Hatakeyama nicht.