Tokio. Ein Erdbeben der Stärke 8,9 hat den Nordosten Japans erschüttert. Das Beben löste bis zu zehn Meter hohe Tsunami-Wellen aus. Mindestens 40 Menschen starben. Hawaii, die Philipinnen und weitere Staaten fürchten Springfluten.
Durch das schwere Beben vor der Küste Japans und den anschließenden Tsunami sind nach Medienberichten mindestens 40 Menschen ums Leben gekommen. Mehrere der Opfer seien am Freitag durch den Einsturz von Häusern getötet worden, hieß es in den Berichten. Das japanische Meteorologieamt erklärte, das Beben sei das stärkste, das je in Japan gemessen worden sei, und habe eine Stärke von 8,9 gehabt.
Zahlreiche Vermisste
Zahlreiche Menschen werden noch vermisst. Der japanische Sender NHK sowie andere Medien berichteten überdies, dass ein Schiff mit etwa hundert Menschen an Bord von einem Tsunami fortgetragen wurde. Das Schiff gehöre einem Schiffsbauer im Hafen von Ishinomaki, teilte die Polizei nach Angaben der Medien mit. Das Schicksal der Menschen an Bord sei unklar. Auch von einem Zug, der sich in der Küstenregion Miyagi befunden haben soll, fehlt jede Spur, wie die Agentur Kyodo berichtet.
Nach dem schweren Erdbeben in Japan ist an einem Turbinengebäude eines Atomkraftwerks im Nordosten des Landes ein Feuer ausgebrochen. Die japanische Regierung hat Medienberichten zufolge beschlossen, den atomaren Notstand auszurufen. Dieser tritt dann ein, wenn der Austritt von Radioaktivität sich bestätigt oder ein Kühlsystem eines AKW ausfällt. 2000 Anwohner einer Atomanlage sind aufgefordert worden, das Gebiet zu verlassen. Wie die örtlichen Behörden am Freitag mitteilten, sollte das Gebiet um eine Atomanlage in der nordöstlichen Präfektur Fukushima im Umkreis von zwei Kilometern evakuiert werden.
Angst vor Tsunami - Hawaii und Philipinnen räumen die Küsten
Mittlerweise ist eine Tsunami-Warnung für weite Teile der Pazifik-Region ausgegeben worden. Ausgenommen waren lediglich die Westküsten der USA und Kanadas sowie Australien und Neuseeland, wie das Tsunami-Warnzentrum für den Pazifik mitteilte. Die Warnung gilt unter anderem für die lateinamerikanische Pazifikküste und für folgende Länder: Russland, Taiwan, die Philippinen, Indonesien, Papua Neuguinea und die Fidschi-Inseln. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf äußerte die Befürchtung, dass angesichts der Höhe der Flutwelle ganze Pazifik-Inseln überschwemmt werden könnten. In Japan hat das Beben der Stärke 8,9 zu schweren Zerstörungen und einer bis zu zehn Meter hohen Flutwelle geführt.
"Ein Tsunami bringt immer eine Serie von Wellen mit sich", erklärte das Warnzentrum. "Die Bedrohung hält für mehrere Stunden an, und nicht immer ist die erste Welle auch die heftigste."
In Taiwan hat die Küstenwache damit begonnen, die dünn besiedelte Ostküste zu evakuieren. Die zentrale Wetterbehörde teilte mit, es werde davon ausgegangen, dass im Laufe des Tage Wellen mit einer Höhe von einem halben Meter an die Küste treffen.
"Wir haben vier Stunden Zeit, um die Küste zu räumen"
Die Katastrophenschutzbehörde von Hawaii ordnete ebenfalls die Evakuierung der Küstenstriche aller Inseln an. Sie rechnete damit, dass der Tsunami gegen 13.00 Uhr (MEZ) an Land treffen werde. Auf der Pazifik-Insel Guam wurde die Flutwelle bereits für 12.00 Uhr (MEZ) erwartet. Die Strände dort waren menschenleer, die Hotels brachten alle Gäste in höheren Stockwerken unter.
"Wir haben etwa vier Stunden, um die Küste zu räumen", sagte John Cummings vom Katastrophenschutzamt in der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu am Freitag. "Es sieht so aus, als wenn es sich um ein sehr ernstes Ereignis handelt." Die Behörden organisierten Busse, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Hawaii liegt etwa 4000 Meilen östlich des Epizentrums des Bebens.
Auch auf den Philippinen wurden die Menschen aufgefordert, sich "weiter ins Landesinnere" zu begeben. Vor allem Menschen, die nahe der Pazifikküste lebten, werde "dringend geraten", die inneren Landesteile aufzusuchen, teilte der nationale Rat zu Risikoreduzierung mit. Seismologen hätten vor Wellen von bis zu einem Meter Höhe gewarnt. Insgesamt wurde die Tsunami-Warnung für 19 der 79 Provinzen des Landes ausgesprochen.
In der japanischen Hauptstadt Tokio schwankten die Häuser. Millionen Menschen waren ohne Strom, nachdem die Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Die Fahrgäste der U-Bahn in Tokio begannen zu schreien, als sie die Erdstöße spürten. Sie griffen nach den Händen der anderen Passagiere, um nicht zu stürzen. Fernsehbilder zeigten, wie an der Ostküste des Landes Autos und Schiffe von den Wassermassen mitgerissen wurden. Andere Fernsehsender zeigen brennende Gebäude in Japan.
Aus der an der Küste gelegenen Präfektur Miyagi wurden zahlreiche Verletzte gemeldet. In der Hauptstadt Tokio brachen mehrere Brände aus. Auch im Im Atomkraftwerk Onagawa der Firma Tohuko Elec ist ein Feuer ausgebrochen, wie die Agentur Kyodo meldet.
Nach Presseberichten erreichten nach dem Beben zunächst rund vier Meter hohe Wellen die Pazifikküste Japans. Später hieß es, der Tsunami sei sogar bis zu zehn Meter hoch gewesen. Die Welle riss an der Küste alles mit sich fort - Autos, Boote, Häuser, Bauernhöfe und Felder. Die Behörden gaben für die gesamte Küstenregion umgehend die höchste Tsunami-Warnstufe aus.
"Brennende Gebäude"
Der Tsunami traf der Agentur Kyodo zufolge unter anderem die Küstenregion nahe der Stadt Sendai mit einer Bevölkerung von rund einer Million. Der Fernsehsender NHK zeigte Bilder von brennenden Gebäude in Tokio. Die Hochgeschwindigkeitszüge in den Norden des Landes wurden gestoppt, in Tokio stellte die U-Bahn ihren Betrieb ein.
In der Präfektur Wakayama forderten die Behörden rund 20.000 Menschen auf, sich in Sicherheit zu bringen. Auch für Russland, die Philippinen, Taiwan und die pazifische Inselgruppe der Marianen wurde eine Tsunami-Warnung ausgegeben. Die japanische Marine schickte Schiffe in die betroffenen Regionen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie riesige Wassermassen das Land überfluten und hunderte Meter ins Landesinnere vordrangen. Der Hafen von Sendai wurde von einem Tsunami mit zehn Meter hohen Wellen getroffen.
Region von schwerem Nachbeben erschüttert
In weiten Teilen des Landes wurde der Flug- und Zugverkehr eingestellt, so auch am Hauptstadtflughafen Narita. In Tokio wurde auch der U-Bahn-Verkehr eingestellt. Beim Einsturz eines Daches während einer Zeugnisübergabe mit 600 Teilnehmern wurden in Tokio mehrere Menschen verletzt, wie die Feuerwehr mitteilte. Das Beben ereignete sich am Nachmittag (Ortszeit) etwa 382 Kilometer nordöstlich von Tokio, das Epizentrum lag vor der Küste des Landes. Die Region wurde auch von einem schweren Nachbeben erschüttert.
Das schwere Beben in Japan hat offenbar einen Großbrand in einer Raffinerie ausgelöst. Der Industriekomplex in der Stadt Iichihara im Großraum Tokio stand am Freitag in Flammen, wie im japanischen Fernsehen zu sehen war. Die Anlage wird von dem japanischen Erdölkonzern Cosmo Oil betrieben.
"Schreckliche Bilder"
Prof. Takao Aoyama, Direktor des japanischen Kulturzentrums EKO-Haus in Düsseldorf, verfolgt die Berichterstattung aus dem Katastrophengebiet mit persönlicher Betroffenheit. Er hat viele Kontakte in der Region, besitzt selbst eine Wohnung im Erdbebengebiet. Zudem wohnen sein Bruder und die Tochter mit ihrer Familie in der Nähe von Tokio.
„Die Bilder sind schrecklich. Was da passiert ist furchtbar“, kommentiert er die Ereignisse. Sorgen haben er und seine Frau sich besonders um die Verwandten vor Ort gemacht. Telefonisch hat seine Frau am Morgen Kontakt aufnehmen können. „Unsere Tochter war bei einer Abschlusszeremonie an der Universität, als das Gebäude zu wackeln begann. Von ihrem Mann haben wir noch nichts gehört.“ Auch seinen Bruder habe er bislang noch nicht erreichen können.
Aoyama ist bereits Zeuge eines schweren Erdbebens geworden. Seit er als Kind miterleben musste, wie der Boden zu schwanken begann, steigt Panik in ihm auf, sobald die Erde wackelt. „Ich bin deswegen sehr froh, dass ich momentan nicht in Japan bin.“
Das Erdbeben bei Twitter und Google
Auf Twitter gehen im Sekundentakt Meldungen zur Katastrophe ein. Nutzer verweisen auf Fotos, berichten aus den betroffenen Gebieten oder demonstrieren einfach ihre Anteilnahme. Tausende Twitterer aus der ganzen Welt haben bereits am Vormittag ihre Bestürzung kundgetan, unter anderem unter den Stichworten #prayforjapan und #tsunami.
Google hat nach dem Erdbeben einen Such-Dienst im Netz eingerichtet. Dort können Angaben zu vermissten Personen gemacht werden. Wer nach der Katastrophe Kontakt zu Verwandten oder Freunden aufnehmen möchte, kann sich dort melden.
Oliver Reichenstein von der in Tokio ansässigen Agentur „Information Architects“ beschreibt auf Twitter das Erdbeben. “Wir sind alle okay. Einige Computer könnten allerdings tot sein“, schreibt er direkt nach der Katastrophe. Der Drucker habe eine ziemliche Wanderung durch den Raum gemacht. Weiter berichtet Reichenstein von mehreren Nachbeben: „Ich fühle mich seekrank.“ Mittlerweile sei das Telefonnetz zusammengebrochen. „Twitter ist die einzige Möglichkeit, zu kommunizieren.“
Im Disneyland Tokio herrscht Chaos. Der Freizeitpark meldet per Twitter: “Disneyland ist schwer beschädigt.” Der Parkplatz sei mittlerweile überflutet. Tausende Besucher warten in dem Freizeitpark. Sie wurden mit Plastikplanen und Mänteln versorgt.
"Beachtliche Schäden"
Unterdessen teilte Japans Regierungschef Naoto Kan mit, dass bei keiner der Atomanlagen des Landes nach dem Beben ein Austritt von atomarem Material festgestellt worden sei. Er rief die Bewohner des Landes auf, ruhig zu bleiben und sich über die Medien über die Lage zu informieren. Ein Regierungssprecher in Tokio sagte, das Beben könnte "beachtliche Schäden" angerichtet haben.
Erst am Mittwoch war die Region von einem Erdstoß der Stärke 7,3 erschüttert worden. Auch für Russland und die pazifische Inselgruppe der Marianen wurde eine Tsunami-Warnung ausgegeben. Japan liegt im pazifischen „Feuerring“ mit zahlreichen Vulkanen, in dem Verschiebungen von Erdplatten immer wieder zu Erschütterungen führen. Dort ereignen sich 90 Prozent aller Erdbeben weltweit. Im Jahr 1933 kamen der amerikanische Erdbebenwarte USGS zufolge rund 3.000 Menschen bei einem Erdbeben und einem Tsunami bei Ofunato ums Leben. Damals erreichte die Welle eine Maximalhöhe von 28,7 Metern. 1896 löste ein Erdbeben der Stärke 8,5 einen Tsunami aus, der 27.000 Menschen in dem Gebiet das Leben kostete. (kari/dapd/afp/rtr)