London. Frauen haben es nicht leicht im britischen Königshaus. Wenn es um die Thronfolge geht, haben sie gegenüber männlichen Verwandten das Nachsehen. Die Debatte um den royalen Sexismus wird durch die Hochzeit von Prinz William und Kate neu entfacht.
Die Queen dirigiert die Geschicke ihrer Insel schon so lange, dass man die Macken in der Personalpolitik des Palastes leicht übersieht: Frauen sind, wenn es um den Chefsessel der Buckingham GmbH geht, nur der letzte Notnagel. Die Thronfolge begünstigt Königssöhne, keine Töchter. Mit der Hochzeit von Catherine und William ist die Debatte um 1000 Jahre Diskriminierung neu entbrannt.
Zwei äußerst erfolgreiche Königinnen hat es in der englischen Geschichte gegeben – genügend um anzunehmen, dass Majestäten nur blaues Blut, kein Y-Chromosom, für den Top-Job brauchen. Doch der Eindruck täuscht: Auch Elizabeth II., die jetzt seit fast 60 Jahren auf dem Thron sitzt, hat ihn nur aus einem Grund bekommen: Sie hatte keine Brüder. Sie war eine Verlegenheitslösung.
Schuld am royalen Sexismus ist die sogenannte Primogenitur, eine Regel, die so feudal daherkommt wie sie klingt: Erstgeborene Söhne und ihre Söhne, das besagt sie, haben ein Vorrecht auf den Thron – ungeachtet ihrer Schwestern. Da mögen freundliche Untertanen noch so sehr nach der Devise „Ladies first“ handeln – am britischen Hofe gilt genau das Gegenteil.
Erster Kandidat ist Charles
Nehmen wir Prinzessin Anne, zweites Kind der Queen. Würde das britische Königshaus den Thron der Reihe nach vergeben, so würde sie – nach ihrem großen Bruder Charles – auch als zweite die Regentschaft übernehmen dürfen. Stattdessen verbannt die antiquierte Regelung sie auf Platz 10 in der Thronfolge. Erster Kandidat ist Charles, dann folgen seine beiden Söhne William und Harry. Auf Platz 4 folgt Prinz Andrew, Annes jüngerer Bruder – der sie allein durch sein Mannsein überholt. Selbst die Enkel der Queen, Andrews Töchter Beatrice und Eugenie, würden eher auf dem Thron landen als Anne. Ihr Wettbewerbsvorteil: Ihr Papa ist Thronanwärter und damit wichtiger als ihre viel ältere Tante.
Doch Prinzessin Anne, das glaubt der britische Durchschnittsarbeitnehmer, hätte genau wie in anderen Jobs allein wegen ihrer Seniorität einen Platz vor ihren jüngeren Geschwistern und deren Kindern verdient – ganz nach dem Motto, das an jeder englischen Bushaltestelle gilt: Wer als Letztes kommt, möge sich hinten in die Warteschlange einreihen. Immerhin 89 Prozent der Briten sprechen sich für die Gleichbehandlung der Geschlechter in der Thronfolge aus.
Rütteln an den Rekrutierungssitten
Immer wieder hat es Vorstöße gegeben, den royalen Sonderweg zum roten Samtkissen zu korrigieren: Im Jahr 2000, dann 2005 und zuletzt 2008 hat das Parlament darüber diskutiert, ob für die Besetzung des höchsten Amtes nicht die gleichen Regeln gelten sollten wie im Rest des Königreiches. Schließlich ist die Gleichbehandlung von Männern und Frauen vor jedem britischen Gericht einklagbar.
Doch jedes Rütteln an den Rekrutierungssitten einer neuen Majestät war bisher vergeblich – nicht etwa, weil die Queen sich wehrt, sondern weil selbst den ehrgeizigsten Emanzipationsverfechtern schnell dräut, welche unkontrollierbare Lawine sie lostreten könnten. Es gibt nämlich noch andere Relikte der Vergangenheit: Kein Thronanwärter darf eine Katholikin heiraten, weil der König zugleich auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche sein wird. Und wie steht es – demokratisch gesehen – mit dem Erbadel im Oberhaus? Sexismus, religiöse Diskriminierung, vererbte Mandate – zwischen Palast und Westminster herrscht so viel Modernisierungsbedarf, dass zum Schluss jeder Palastrevoluzzer lieber die Waffen gestreckt hat.
Das Bauchgrummeln wird wieder lauter
Nur das Bauchgrummeln der Untertanen hat sich nicht verflüchtigt. In diesen Tagen wird es sogar wieder lauter. Denn, so fragen sie sich: Was soll werden, wenn Prinz William und Catherine als Erstes eine Tochter bekommen, sie aber nicht Thronfolgerin werden darf? So skurril scheint der Gedanke, dass die Debatte um Sexismus im Palast gerade neu aufglimmt - und dieses Mal vermutlich nicht so einfach auszutreten sein wird.