Essen. Per Gesetz will NRW-Umweltminister Remmel das Ausmaß der globalen Erwärmung im Land bekämpfen. Ein neuer Klimabericht seiner Fachbehörde bestärkt ihn darin: Laut Messdaten der vergangenen 100 Jahre ist der Klimawandel an Rhein und Ruhr spürbar.

Den Klimawandel kann man nicht hören, schmecken oder riechen. Oder doch? Ein neuer Fachbericht des NRW-Landesamtes für Na­tur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) kommt zu dem Schluss, dass die Folgen der globalen Erwärmung an Rhein und Ruhr bereits spürbar sind. Spurensuche in ei­nem Industrieland, in dem Klimaschutzminister Johannes Remmel (Grüne) den Schutz der Atmosphäre per Gesetz regeln will.

„Fachbericht Nummer 27“ heißt das Werk, das Wetter und Klima des Landes dokumentiert. Messdaten des Deutschen Wetterdienstes von 1901 bis in die Gegenwart flossen dort ein, dazu Erkenntnisse der Landesbehörde aus Umwelt- und Naturschutz. Ein Fazit: Menschen, Tiere und Pflanzen erleben einen Wandel. Die Kernsätze:

Jahreszeiten

Die Jahreszeiten ändern sich. In den vergangenen 50 Jahren ist der Herbst 17 Tage länger geworden, der Winter um 21 Tage kürzer. Die Vegetationszeit hat sich im Schnitt um 16 Tage nach vorne verlagert: Die Schlehe blüht heute 18 Tage früher, die Kornelkirsche 20 Tage, die Hasel 15 Tage. Es trifft die Allergiker: Pollenalarm im Winter. Bei Birke und Sommerblühern setzt der Pollenflug bis zu zehn Tage früher ein.

Vogelwanderungen

Die Vogelwanderungen än­dern sich. Die Vogelarten treffen im Frühjahr früher ein, ziehen im Herbst später weg. Heute überwintern Bachstelze, Hausrotschwanz, Singdrossel, Mönchsgrasmücke oder Kiebitz an Rhein und Ruhr. Vor 30 Jahren noch war es ihnen hier zu kalt, sie wanderten nach Südwesteuropa. Die mobilen Insektenarten krabbeln seit den 1980er-Jahren nach NRW. Über das Rheintal kommen sie: die Feuerlibelle, die Mittelmeer-Eichenschrecke oder die Streifenwanze.

Chaotischer Sommer

Am 31. August ist meteorologisches Sommerende. Auch wenn die letzten Wochen das Gegenteil vermuten lassen: Der Sommer in NRW war überdurchschnittlich heiß.
Am 31. August ist meteorologisches Sommerende. Auch wenn die letzten Wochen das Gegenteil vermuten lassen: Der Sommer in NRW war überdurchschnittlich heiß.
Die Durchschnittstemperatur in NRW erreichte in den Monaten Juni, Juli, August 17,9 Grad. Zum Vergleich: Das langjährige Mittel liegt bei 16,3 Grad.
Die Durchschnittstemperatur in NRW erreichte in den Monaten Juni, Juli, August 17,9 Grad. Zum Vergleich: Das langjährige Mittel liegt bei 16,3 Grad. © WR/Franz Luthe
Anfang Juli kletterte das Thermometer auf Spitzenwerte über 30 Grad. Der heißeste Tag des Sommers war der 10 Juli. Unter anderem wurden in Krefeld Spitzenwerte von 37,3 Grad gemessen. Die Menschen suchten, wie hier im Grugabad Essen, ...
Anfang Juli kletterte das Thermometer auf Spitzenwerte über 30 Grad. Der heißeste Tag des Sommers war der 10 Juli. Unter anderem wurden in Krefeld Spitzenwerte von 37,3 Grad gemessen. Die Menschen suchten, wie hier im Grugabad Essen, ... © ddp
... Abkühlung. In Bendorf bei Koblenz war es bundesweit am heißesten. Dort kletterte das Quecksilber am 10. Juli auf 38,8 Grad.
... Abkühlung. In Bendorf bei Koblenz war es bundesweit am heißesten. Dort kletterte das Quecksilber am 10. Juli auf 38,8 Grad. © WR Dortmund/Knut Vahlensieck
Vor allem in vielen ICEs der Deutschen Bahn fühlten sich Reisende wie in einer Sauna, weil die Klimaanlagen den Dienst versagten.
Vor allem in vielen ICEs der Deutschen Bahn fühlten sich Reisende wie in einer Sauna, weil die Klimaanlagen den Dienst versagten. © ddp
Wie hier am 10. Juli in Bielefeld mussten betroffene Reisende medizinisch versorgt werden.
Wie hier am 10. Juli in Bielefeld mussten betroffene Reisende medizinisch versorgt werden. © ddp
Entsprechend hoch war auch die Sonnenscheindauer in Deutschland. Insgesamt schien die Sonne in diesem Sommer 662 Stunden.
Entsprechend hoch war auch die Sonnenscheindauer in Deutschland. Insgesamt schien die Sonne in diesem Sommer 662 Stunden. © ddp WP
In NRW ließ sich Klärchen nicht ganz so häufig blicken, auch wenn das die Eisbärin im Gelsenkirchener Zoo anders empfunden haben mag. Das ganze Land brachte es auf eine Sonnenscheindauer von 658 Stunden.
In NRW ließ sich Klärchen nicht ganz so häufig blicken, auch wenn das die Eisbärin im Gelsenkirchener Zoo anders empfunden haben mag. Das ganze Land brachte es auf eine Sonnenscheindauer von 658 Stunden. © ddp
Am sonnigsten in Deutschland war es in der Greifswalder Oie an der Ostsee. Dort strahlte die Sonne sagenhafte 844 Stunden.
Am sonnigsten in Deutschland war es in der Greifswalder Oie an der Ostsee. Dort strahlte die Sonne sagenhafte 844 Stunden. © ddp
Am
Am "trübsten" mit 532 Stunden war es dagegen in Oberstdorf im Allgäu. © ddp
Die Hitzewelle, die bis 21. Juli anhielt, wurde am 12. Juli von heftigen Gewittern unterbrochen.
Die Hitzewelle, die bis 21. Juli anhielt, wurde am 12. Juli von heftigen Gewittern unterbrochen. © ddp
Vor allem am Niederrhein und im Münsterland gab es heftige Unwetter, die großen Schäden anrichteten. In Moers wurde das Dach eines Baumarktes abgedeckt. Fünf Menschen wurden verletzt.
Vor allem am Niederrhein und im Münsterland gab es heftige Unwetter, die großen Schäden anrichteten. In Moers wurde das Dach eines Baumarktes abgedeckt. Fünf Menschen wurden verletzt. © Olaf Fuhrmann / WAZ FotoPool
In Duisburg deckte der Sturm das Dach eines Hauses an der Hedwigstrasse ab.
In Duisburg deckte der Sturm das Dach eines Hauses an der Hedwigstrasse ab. © WAZ FotoPool
Der Bahnverkehr kam in weiten Teilen zum Erliegen. Im Ruhrgebiet ging wie hier in Duisburg fast gar nichts mehr. Zahlreiche Bahnstrecken waren durch umgefallene Bäume und zerstörte Oberleitungen gesperrt.
Der Bahnverkehr kam in weiten Teilen zum Erliegen. Im Ruhrgebiet ging wie hier in Duisburg fast gar nichts mehr. Zahlreiche Bahnstrecken waren durch umgefallene Bäume und zerstörte Oberleitungen gesperrt. © WAZ FotoPool
Auf Helgoland tobte am 12. Juli eine Windhose. Acht Menschen wurden verletzt.
Auf Helgoland tobte am 12. Juli eine Windhose. Acht Menschen wurden verletzt. © ddp
Schon zwei Tage später, am 14. Juli, gab es erneut Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen, schweren Gewittern, Sturmböen und Hagelschauern. Wie hier in Gelsenkirchen-Buer wurden erneut Bäume umgerissen und Autos beschädigt.
Schon zwei Tage später, am 14. Juli, gab es erneut Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen, schweren Gewittern, Sturmböen und Hagelschauern. Wie hier in Gelsenkirchen-Buer wurden erneut Bäume umgerissen und Autos beschädigt. © WAZ FotoPool
Der August war ganz das Gegenteil zum Juli: feucht, nass und kühl.
Der August war ganz das Gegenteil zum Juli: feucht, nass und kühl. © ddp
Auf gerade einmal 143 Sonnenstunden brachte es der Sommermonat August. Nur der August 2006 war seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch trüber
Auf gerade einmal 143 Sonnenstunden brachte es der Sommermonat August. Nur der August 2006 war seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch trüber © ddp
In NRW schien noch seltener die Sonne, nämlich an 138 Stunden (langjähriges Mittel: 183) Das mussten auch die Besucher des ökumenischen Kirchentages Mensch und Tier in Dortmund leidlich spüren.
In NRW schien noch seltener die Sonne, nämlich an 138 Stunden (langjähriges Mittel: 183) Das mussten auch die Besucher des ökumenischen Kirchentages Mensch und Tier in Dortmund leidlich spüren. © WAZ FotoPool
Auf dem Kahlen Asten im Sauerland zeigte sich die Sonne mit 105 Stunden bundesweit am wenigsten im Monat August.
Auf dem Kahlen Asten im Sauerland zeigte sich die Sonne mit 105 Stunden bundesweit am wenigsten im Monat August. © Föst
Dafür schüttete es tageweise wie aus Kübeln, wie hier beim Area4-Festival.
Dafür schüttete es tageweise wie aus Kübeln, wie hier beim Area4-Festival. © WAZ FotoPool
Zu großen Überschwemmungen kam es am 7. August. Es traf besonders die Lausitz und die Umgegend von Chemnitz in Sachsen mit. Der Schaden, den das Hochwasser in Sachsen anrichtete, ging in den dreistelligen Millionenbereich.
Zu großen Überschwemmungen kam es am 7. August. Es traf besonders die Lausitz und die Umgegend von Chemnitz in Sachsen mit. Der Schaden, den das Hochwasser in Sachsen anrichtete, ging in den dreistelligen Millionenbereich. © ddp
Mitte August sorgten erneut kräftige Regenfälle im Ruhrgebiet und im Sauerland für überflutete Straßen und vollgelaufene Keller. (im Foto eine betroffene Familie in Hagen)
Mitte August sorgten erneut kräftige Regenfälle im Ruhrgebiet und im Sauerland für überflutete Straßen und vollgelaufene Keller. (im Foto eine betroffene Familie in Hagen) © WP Michael Kleinrensing
Am 23. August richtete eine Windhose auf der Ostseeinsel Usedom erhebliche Schäden an.
Am 23. August richtete eine Windhose auf der Ostseeinsel Usedom erhebliche Schäden an. © ddp
Auch in Hessen fegte ein Tornado durch die Ortschaft Lumda und deckte ganze Dächer ab.
Auch in Hessen fegte ein Tornado durch die Ortschaft Lumda und deckte ganze Dächer ab. © ddp
Am 26. August zog das Tief Cathleen über Deutschland hinweg und traf besonders das Münsterland und Ostwestfalen.
Am 26. August zog das Tief Cathleen über Deutschland hinweg und traf besonders das Münsterland und Ostwestfalen. © ddp
Dort gingen gewaltige Wassermassen nieder. Am schlimmsten traf es Steinfurt, wo es an einem Tag 161 Liter pro Quadratmeter schüttete. Das war bundesweit Rekord.
Dort gingen gewaltige Wassermassen nieder. Am schlimmsten traf es Steinfurt, wo es an einem Tag 161 Liter pro Quadratmeter schüttete. Das war bundesweit Rekord. © APN
Unterm Strich war der August mit Abstand der nassteste August, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. 2010 fielen im Schnitt 157 Liter Regen pro Quadratmeter. Der bisherige August-Rekord (134 Liter) aus dem Jahr 1960 wurde weit übertroffen.
Unterm Strich war der August mit Abstand der nassteste August, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. 2010 fielen im Schnitt 157 Liter Regen pro Quadratmeter. Der bisherige August-Rekord (134 Liter) aus dem Jahr 1960 wurde weit übertroffen. © Volker Speckenwirth (WR)
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Wetter

Die Menschen erleben Wetterextreme: die heftigen Sturmgewitter, die im vergangenen Sommer über der Re­gion wüteten; der Platzregen, der im August 2008 Teile Dortmunds überflutete. Seit 1950 habe die Zahl der Starkregentage mit mehr als 20 Millimetern Niederschlag zugenommen, insbesondere in den Winterhalbjahren. Aber: Ein Anstieg der gemessenen Intensitäten sei nicht feststellbar. folgern die Autoren. Eine Häufung lokaler Starkregen habe es schon zu Beginn der 1950er -Jahre und in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre gegeben. Und: Für die Wasserwirtschaft seien die bislang festgestellten Veränderungen der Niederschlagsmengen kein unlösbares Problem.

Für das Ruhrgebiet erwarten Klimaforscher eine Zu­nahme der mittleren Jahrestemperatur bis 2050 um bis zu zwei Grad Celsius, bis zum Jahr 2100 um etwa drei Grad. Die Sommer werden trockener und heißer, die Zahl der Tage mehr, an denen das Thermometer über 30 Grad klettert, was besonders in Städten eine Belastung ist. Die dichte Bebauung reduziert den Austausch von Luftmassen. Die Folge sind „Hitze-Inseln“. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft geht in einer Studie davon aus, dass bis 2100 die Zahl der Hitzetoten in Deutschland um bis zu 15 000 Personen steigen könnte.

Das Ruhrgebiet will sich wappnen. In dem Projekt „Dynaklim“ haben sich zahlreiche Akteure zusammengeschlossen, um Schritte zur An­passung an die Klimafolgen zu entwerfen. So sollen etwa städtische Flächen mit Seen oder Grün einen Kühleffekt liefern, erklärt Andreas Bent-Barlag, Klimatologe an der Uni­versität Duisburg-Essen, die an „Dynaklim“ beteiligt ist. „Klimaaspekte müssen stärker in die Flächennutzungsplanung einfließen“, fordert er. Kaltluftschneisen müssen ge­schaffen werden, die Deiche offener Abwasserflüsse müssten erhöht und Wasserauffanggebiete vergrößert werden, zählt Barlag auf. An der Uni werden sogar Fassadenfarben erforscht, die Wärme besser abstrahlen. „Es sind viele kleine Maßnahmen, die große Folgen verhindern sollen.“

Harte Winter trotz Klimawandel?

Zwei harte Winter in Folge hat NRW erlebt, ob­wohl es durch die Erderwärmung doch eigentlich milder und wärmer werden soll: Für Klimaforscher passt das durchaus zusammen.„Wer vom Anblick verschneiter Straßen derart er­staunt ist, dass er das Ende der Klimaerwärmung ausrufen möchte, liegt falsch“, sagt Prof. Friedrich Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

„Denn auch je­ne Jahre, in denen es zuletzt bei uns Frostwinter gab, waren im Jahresmittel weltweit überdurchschnittlich warm. Das Jahr 2010 wird sogar als eines der wärmsten seit hundert Jahren in die Geschichte eingehen, wie neue Daten von Forschern der US-Weltraumbehörde Nasa zeigen.“

In den vergangenen hundert Jahren habe es Winter gegeben, die deutlich härter gewesen seien. Vielmehr müsse man sich fragen, ob es normal sei, dass es vor den beiden letzten harten Wintern zehn relativ milde Winter gegeben ha­be.

Gerstengarbe: „Als im Januar 2010 bei uns die Bürgersteige dick vereist waren, gab es in Australien eine Hitzewelle, auch in Grönland war es im vergangenen Winter vergleichsweise warm – erst dies alles zusammen ergibt die globale Durchschnittstemperatur, und die steigt.“