Sydney. Jo Nemeth stellte mit 45 Jahren ihr Leben auf den Kopf. Sie verzichtete auf Geld und Luxus. Doch jetzt stellt sie das erstmals vor Probleme.
An ihrem 45. Geburtstag lag Jo Nemeth einst krank im Bett und las ein Buch über Menschen, die ohne Geld leben. Dabei fiel auch bei ihr der „Groschen“. Sie habe an all die Menschen in den Entwicklungsländern denken müssen, „die unter entsetzlichen Umständen arbeiten“. Und dann habe sie darüber nachdenken müssen, „wie das mit dem Geld zu tun hat, das ich ausgebe“. Danach beschloss sie, ihr Leben radikal zu ändern.
Sie kündigte ihren Job, verschenkte ihr gesamtes Geld an ihre damals 18-jährige Tochter und schloss ihr Bankkonto. Ihr letztes Bargeld gab die heute 56-Jährige für ein Busticket aus. All das ist inzwischen zehn Jahre her. Sie hat kein Haus, kein Grundstück und keine Ersparnisse. Sozialhilfe und reiche Unterstützer fielen ebenfalls flach. Zehn Jahre nun schon verdient sie kein Geld und gibt keins aus, wie sie in Interviews erzählt. Und so habe sie auch genauso lange kein Geld für Essen, Kleidung oder Sonstiges verwendet.
Australierin gibt kein Geld aus: Diese Tricks halfen beim Überleben
Kaum vorstellbar, aber es ging: Am Anfang habe sie noch in einem Zelt gelebt, später in einer Hütte auf der Farm von Freunden. Letztendlich zog sie mit in das Haus einer Freundin, deren Mann verstorben war, und übernahm dort den gesamten Haushalt. Gemüse und Obst pflanze sie größtenteils im Garten an, berichtete sie in einem ersten Interview vor fünf Jahren. „Reis und Getreide lasse ich mir von Freunden zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken.“
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Auch im Alltag war sie selbst die Frau: Ihre Haare schneidet sie selbst, Make-up hat sie noch von früher und braucht dieses nur selten. „Als Toilettenpapier nehme ich alte Servietten aus dem Café einer Freundin, die zum Beispiel nur einen Kaffeefleck haben“, erzählte Nemeth. Über die Toilettenpapier-Hamsterkäufe während der Corona-Pandemie habe sie nur den Kopf schütteln können.
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Aber was, wenn sie mal zum Arzt muss? „Dann fahre ich entweder per Anhalter oder mit dem Rad.“ Arztbesuche sind in Australien über die gesetzliche medizinische Grundversorgung abgedeckt, andere Dienstleistungen oder Waren „tauscht“ sie dagegen oft ein. Auch ein wenig „Luxus“ sei möglich: Freunde würden sie schon mal ins Café einladen. Auch ins Kino gehe sie regelmäßig. Denn dort hilft sie auf Freiwilligenbasis aus.
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Heute berichtet sie, wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt habe, aber auch, wo sie auf „Mauern“ gestoßen sei. „Ich spüre die kulturelle Herausforderung, die Kraft der Konsumkultur“, sagte sie. „Ich habe meine rosa Brille verloren, ich musste geduldiger und weniger revolutionär werden.“
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Noch vor fünf Jahren hatte sie den Traum, gemeinsam mit der Freundin, deren Haus sie mittlerweile teilt, völlig ohne fossile Brennstoffe auszukommen. Doch daraus sei letztendlich nichts geworden, gestand die Australierin. Dafür habe sie bei anderen Themen viel dazu gelernt. Hatte sie vor fünf Jahren noch alte Zahnpastatuben von Freunden gesammelt und die Reste ausgekratzt, putzt sie ihre Zähne heute mit selbst angepflanzter Aloe Vera.
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Für die Hautpflege baut sie im Garten die ursprünglich aus Afrika stammende Pflanze Popcorn Cassia an. Auch Seife und Waschpulver stellt sie selbst her, ebenso Tofu und fermentierte Lebensmittel. „Ich überlege ständig, wie ich Dinge selbst herstellen kann“, sagte sie. „Es ist wie ein Spiel.“
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Neben dem Spielerischen hat Nemeth jedoch auch ernstere Gründe für ihre autarke Lebensweise: Sollte eine weitere Pandemie mit Lockdown kommen oder ein Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme und damit der Zivilisation, so sei es wichtig, über gewisse Fähigkeiten zu verfügen: Gemüse und Obst selbst anzubauen, eigene Lebensmittel zuzubereiten, Nahrungsmittel in der Natur zu finden und Abfallmaterialien zu recyclen. Aktuell baut sie ein Spielhaus für Kinder im Garten ihrer Freundin aus, um dort ein Bett aufzustellen und einen Rückzugsort zu schaffen. „Dadurch wird im Haus dann ein weiteres Schlafzimmer frei“, sagte sie. Denn das Haus der Freundin ist inzwischen zu einem Mehrfamilienhaus geworden, in dem mehrere Generationen wohnen.
Nach zehn Jahren stößt die Australierin auf die erste große Hürde
Ihr sei es wichtig, eine Gemeinschaft aufzubauen. Indem sie anderen Menschen hilft, sich um kranke Freunde oder deren Kinder kümmert, ihr Wissen teilt oder im Garten mitarbeitet, baut sie eine Art „soziale Währung“ auf. Im Gegenzug erhält sie von anderen Hilfe, wird mal auf einen Kaffee eingeladen oder bekommt Lebensmittel oder Kleidung.
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Nach zehn Jahren ist die Australierin nun jedoch erstmals auf ein größeres „Hindernis“ gestoßen. Sie benötigt eine aufwendige Zahnbehandlung, die die Krankenkasse nicht abdeckt. Doch auch dafür hat sie sich jetzt eine clevere Idee erdacht: Sie will in einer einmaligen Aktion Geld per Crowdfunding sammeln und im Gegenzug dafür Online-Kurse über ihre Art zu leben anbieten.
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Schon vor fünf Jahren betonte Nemeth, dass sie mit ihrem Verzicht „nicht in die Steinzeit zurückgegangen“ sei. Letzteres ist auch heute noch so: Sie hat ein geschenktes Handy ohne Vertrag, das sie im WLAN benutzt, führt einen Blog und ist auf Facebook. Dass sie Genügsamkeit in ihrem Leben kultiviere, habe sie nie als negativ empfunden, sagte die Australierin. In gewisser Weise mache ihr neuer Lebensstil sie sogar deutlich glücklicher. Eine Rückkehr ins alte Leben ist also ausgeschlossen? „Auf jeden Fall“, meinte Nemeth. „Das Leben ist gut und ich bereue nichts.“