Berlin. Bei manchen Symptomen ist die Ursache mehr als ungewiss. Ein Top-Neurologe beantwortet Leserfragen zu Schmerzen und Schwindel.

Manche Erkrankungen machen den Betroffenen gleich doppelt zu schaffen: Einerseits sind da die Symptome an sich, auf der anderen Seite lassen sich nicht alle Symptome direkt einer Krankheit zuordnen. Die Erkrankten begeben sich dann auf eine lange Ärzte-Odyssee, um endlich Linderung zu erfahren. Der Übeltäter: nicht selten eine sogenannte funktionelle neurologische Störung (FNS).

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Um den Betroffenen drängende Fragen zu beantworten, hat diese Redaktion gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung das Format „Die Hirn-Docs“ ins Leben gerufen, bei der Top-Neurologen die eingesendeten Fragen der Leserinnen und Leser zu Krankheiten wie Alzheimer, Schlaganfällen, Parkinson und Schmerzen beantworten. Heute steht Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, Rede und Antwort auf Ihre Anliegen.

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Ich leide an einem oder mehreren dieser Symptome: Schwindel, Kribbeln, Gangunsicherheit, Muskelschwäche und/ oder Kopfschmerzen. Kann das eine FNS sein?

Prof. Dr. Frank Erbguth: Für alle diese Beschwerden müsste eine neurologische Einordnung erfolgen. Bei der Muskelschwäche wäre beispielsweise zu überprüfen, ob es eine Lähmung ist oder ein subjektives Schwächegefühl. Finden sich für alle Beschwerden keine körperlichen Entsprechungen oder Erklärungen, können die geschilderten Symptome grundsätzlich Ausdruck einer FNS sein.

Welcher Arzt kann mir helfen, wenn ich an FNS leide? 

Erbguth: Grundsätzlich sollte zunächst ein Neurologe die Beschwerden einordnen und im Falle einer FNS dann evtl. zusammen mit einem psychosomatischen und/oder psychotherapeutischen Therapeuten behandeln.

Funktionelle Störungen: So finden Sie den richtigen Arzt

Wie finde ich einen passenden Arzt in meiner Region? 

Erbguth: Bei der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung (z. B. Terminservicestelle) kann man sich über die jeweiligen Ärztinnen und Ärzte für die gewünschten Fachgebiete erkundigen. Meistens wissen auch die Hausärzte gut Bescheid, welche Fachdisziplin „passend“ ist und haben einen „kurzen Draht“ zu diesen Kollegen in ihrer Nähe.

„Die Hirn-Docs“ ist die neue Serie der Funke Tageszeitungen, in der fünf Top-Neurologen der Deutschen Hirnstiftung über die neusten Erkenntnisse in den Bereichen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionelle Störungen berichten.
„Die Hirn-Docs“ ist die neue Serie der Funke Tageszeitungen, in der fünf Top-Neurologen der Deutschen Hirnstiftung über die neusten Erkenntnisse in den Bereichen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionelle Störungen berichten. © Montage ZRB | Klinikum Fürth; Uniklinikum Aachen; UKSH; UKE; Agentur Adverb

Meine Konzentration, vor allem auf der Arbeit, ist grauenhaft. Ich verschlucke mich auch sehr oft. Könnte das auch eine FNS sein?        

Erbguth: Auch hier wäre erst mal zu klären, ob sich die Konzentrationsstörungen erstens in einem Testverfahren nachweisen lassen oder eher subjektiv sind und zweitens, was hinter den Schluckstörungen steckt. Auf den ersten Blick aus der Ferne passt das nicht zusammen. Wenn man für die beiden Symptome keine körperliche Ursache finden würde, und nur dann, kann eine FNS vorliegen – man denke beim Thema „Schluckstörung“ an den umgangssprachlichen „Kloß im Hals“. 

Welche Testmöglichkeiten stehen für FNS zur Verfügung? 

Erbguth: Je nachdem, bei welcher Körperfunktion eine FNS erwogen wird, kann man durch eine gründliche neurologische Untersuchung herausfinden, ob eine Beeinträchtigung der „Hardware“ (was für eine körperliche Ursache spricht) oder eine Störung der „Software“ vorliegt. Bei Problemen mit Konzentration, Gedächtnis oder Aufmerksamkeit kann man diese durch neuropsychologische Untersuchungen ergründen.

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Schlafprobleme – aufgrund einer FNS?

Ich leide an einer massiven Ein- uund Durchschlafstörung. Auch ein Besuch im Schlaflabor war unauffällig. Kann eine FNS dahinterstecken? 

Erbguth: Die Frage wäre, was „unauffällig“ im Schlaflabor bedeutet. Ist die Ein- und Durchschlafstörung dort nicht aufgetreten? In jedem Fall sind Schlafstörungen oft mit Faktoren wie erhöhter Reizbar- und Wachsamkeit, muskulärer Anspannung und Grübeln eng verbunden. Zudem bildet sich so ein sich aufschaukelnder Teufelskreis: Man schläft aus all diesen Gründen schlecht, und wenn man schlecht schläft, sinkt die Reiz- und Schmerzschwelle noch weiter, und man sorgt sich, wie man den Alltag bewältigen soll. Insofern sollten Sie sich im Schlaflabor nach Angeboten zur Entspannung und Verbesserung der „Schlafhygiene“ erkundigen.

Bei Kälte und bei jedem kleinen Windzug kribbeln bzw. schmerzen meine Beine. Die Schmerzen äußern sich wie ganz viele kleine Nadelstiche. Was kann ich dagegen unternehmen?      

Erbguth: Zunächst muss bei einer Neurologin oder einem Neurologen abgeklärt werden, ob eine Nervenstörung für die Beschwerden verantwortlich sein könnte– z. B. Polyneuropathie oder das Restless-Leg-Syndrom. Von den Ergebnissen hängt ab, was man dagegen tun kann – z. B. Medikamente, Physiotherapie usw.

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Kann Brain-Fog (Gehirnnebel) Folge einer FNS sein? Falls ja, wie behandelt man das bestmöglich?   

Erbguth: Die Bezeichnung Brain-Fog hat im Rahmen der Post-Covid-Beschwerden „neu“ in das medizinische Vokabular Einzug gehalten und ist auch etwas unpräzise. Mit neuropsychologischen Testverfahren sollte geklärt werden, ob auch Störungen bei der Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisleistungen bestehen. Ist dort keine Beeinträchtigung zu finden, kann „Brain Fog“ auch Ausdruck einer FNS sein. 

Prof. Dr. Frank Erbguth ist der Präsident der Deutschen Hirnstiftung.
Prof. Dr. Frank Erbguth ist der Präsident der Deutschen Hirnstiftung. © zrb (montage) | Agentur Adverb; istock

Ist bei einer FNS-Therapie ein stationärer Aufenthalt erforderlich?  

Erbguth: Eine Therapie der FNS kann ambulant, teilstationär/tagesklinisch oder stationär erfolgen. Welche diese Möglichkeiten sinnvoll ist, hängt vom Ausmaß und der Art der FNS ab.

FNS oder psychosomatische Störung? Krankheiten überlappen sich

Wie wird die FNS von einer psychosomatischen Störung abgegrenzt?

Erbguth: Beides ist nicht das gleiche, aber überlappt sich. Während bei den FNS definitionsgemäß organische Störungen ausgeschlossen sind, geht es in der Psychosomatik um das Wechselspiel zwischen organischen Störungen und psychischen Faktoren – in beide Richtungen. Eine FNS kann durchaus psychosomatische Aspekte beinhalten.

Ihre Frage wurde nicht beantwortet? Dann haben Sie die Möglichkeit, Ihr Anliegen online bei der Deutschen Hirnstiftung einzureichen. Rufen Sie dazu einfach im Browser die Website https://hirnstiftung.org/beratung/ auf. In der angezeigten Eingabe-Maske können Sie dann Ihren Fall schildern. Die Experten melden sich dann schnellstmöglich zurück.

Hat man bei FNS Mangel an Vitamin B6, B 12 und D3?  

Erbguth: Die FNS ist so definiert, dass keine „körperlichen“ Ursachen für die entsprechenden Symptome zu finden sind. Insofern gehört ein Vitaminmangel nicht zu den Charakteristika einer FNS. Da aber viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen einen Vitaminmangel haben, kann das natürlich auch einmal bei einer Person mit FNS „zufällig“ der Fall sein.