Allein inmitten von hunderten Angehörigen und Journalisten: Jeder Kumpel in Chile geht mit dem Moment der Freiheit anders um. Mehr als 2000 Journalisten sowie 800 Angehörige und Politiker nehmen die Bergleute in Empfang.
Rettung der Bergleute
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Knapp zehn Wochen lang waren sie zu 33, eingesperrt in fast 700 Metern Tiefe und nur durch einen Mini-Schacht mit der Außenwelt verbunden. Den ersten Moment der Freiheit aber erleben sie allein - abgesehen von 800 Angehörigen, Politikern und mehr als 2000 Journalisten, die jeden aus der Unterwelt auftauchenden Kumpel euphorisch begrüßen. Für die „mineros“ aus Chiles verschütteter Kupfermine und für die gesamte Welt ist es ein ergreifender Moment. Damit umgehen muss jeder der Geretteten auf seine Art.
Gegensätzlicher könnte das Bild nicht sein: Als Florencio Ávalos als erster der 33 Kumpel ans Tageslicht kommt, empfängt ihn eine Kakophonie aus Jubel, Beifall, Sirenengeheul - er selbst aber steigt ruhig aus der Rettungskapsel, küsst seine Frau und beruhigt seinen völlig aufgelösten siebenjährigen Sohn. Noch während der 31-jährige athletische Vorarbeiter die Familien der anderen Kumpel umarmt, kommt Mario Sepúlveda aus dem Schacht und bringt ausgelassene Feierlaune mit. Als ironisches Gastgeschenk überreicht der „Sprecher“ der Kumpel Gesteinsbrocken an die Einsatzkräfte und Staatschef Sebastián Piñera, die er in der engen Rettungskapsel an die Erdoberfläche transportiert hatte.
Ein kleines bisschen Normalität
„Es lebe Chile, Scheiße!“, schreit Sepúlveda seine Freude heraus, bringt das ganze Lager zum Singen. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern an der Seite setzt der 40-jährige Elektriker dann zu einem minutenlangen Monolog vor der Kamera des Staatsfernsehens an, in dem er dann doch die Qualen der vergangenen Wochen durchblicken lässt: „Ich war hin- und hergerissen zwischen Gott und dem Teufel. Doch dann ergriff ich Gottes Hand. Ich wusste immer, Gott würde uns hier rausholen.“
Und während die Kumpel als Helden gefeiert werden, bittet Sepúlveda um ein kleines bisschen Normalität. „Bitte behandelt uns nicht wie Künstler, behandelt mich wie einen Bergarbeiter“, sagt er. Er wolle im Bergbau bleiben, nur müssten sich die Arbeitsbedingungen ändern.
Schon vorher haben die Kumpel die Medien um Geduld gebeten, sie wollen nach ihrer Behandlung im Krankenhaus zunächst ein paar ruhige Tage mit ihren Familien verbringen. Dass dies wohl ein frommer Wunsch bleiben wird, zeigt sich allerdings rasch.
Der Vater des ersten geretteten Kumpel, Alfonso Ávalos, erzählt gerade mit tränenüberströmtem Gesicht, wie glücklich er sei - als die allgemeine Freude um ihn herum in Chaos umschlägt. Reporter rennen wie wild auf die Familie zu, trampeln ihr Zelt nieder, reißen sich gegenseitig an den Haaren und fangen fast an sich zu prügeln - niemand will das Interview verpassen. Verstört ziehen sich Ávalos“ Angehörige zurück, seine Mutter Maria Silva schlägt mit einer chilenischen Fahne nach Reportern, die ihr allzu sehr auf den Leib rücken.
Großer Medienrummel
Die Szene gibt einen Vorgeschmack auf die nächsten Wochen. Schon längst sind die 33 Kumpel zu Helden geworden, Filme und Bücher werden das Drama in der Mine der Atacama-Wüste nacherzählen. „So einen Medienrummel habe ich seit der Rückkehr von Apollo 11 vom Mond nicht mehr erlebt“, sagt Chiles Fernsehsuperstar Don Francisco, der selbst von der Mine aus berichtet.
Ob sie wollen oder nicht, in ihr altes Leben werden die 33 Kumpel und ihre Familien nicht mehr zurückfinden. Ihr Leben von früher sei „bereits vorbei“, sagt Enrique Chía, Psychologe an der Katholischen Universität von Chile. Der Umgang mit der Außenwelt werde besonders schwierig sein: „Die Familie, die Gewohnheiten, die Realität des Landes - alles hat sich geändert.“
„Einige Bergleute werden mit TV-Angeboten bombardiert werden. Sie können sogar Karriere machen“, sagt René Rios, Soziologe an der Katholischen Universität. In etwa einem halben Jahr werde der Rummel aber vorbei sein. Und auch das müssen die Kumpel dann verarbeiten - jeder auf seine Art. (afp)
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