Paris. Unheimliche Serie bei dem Telekommunikations-Unternehmen reißt nicht ab. Ein 51-Jähriger stürzte sich von einer Autobahnbrücke in den Tod. Es ist der 24. Fall in 18 Monaten. Betriebsräte fordern die Bosse zum Rücktritt auf, weil sie für das miserable Betriebsklima verantwortlich sein sollen.
Die unheimliche Selbstmordserie bei France Télécom reißt nicht ab. Im westfranzösischen Departément Haute-Savoie hat sich ein 51 Jahre alter Familienvater von einer Autobahnbrücke gestürzt. Grund: Stress am Arbeitsplatz. „Ich kann nicht mehr“, hatte der erschöpfte Mitarbeiter zuvor Kollegen gestanden. Es ist der 24. Selbstmord beim französischen Telefon-Giganten binnen 18 Monaten, hinzukommen 13 versuchte Suizidversuche. Die Betriebsräte sind in Rage. Sie machen die Télécom-Bosse für das miserable Betriebsklima verantwortlich und fordern Rücktritte.
Sie werfen sich aus lauter Verzweifelung vor Züge und trinken giftige Cocktails, andere springen aus Bürofenstern und rammen sich bei Konferenzen Messer in den Bauch – und das in Gegenwart entsetzter Kollegen. Jean-Paul R. tat das Unfassbare am Montagmorgen. Gegen viertel vor neun sahen Spaziergänger, wie er auf einer Autobahnbrücke aus dem Wagen stieg. Sie wollen ihn noch zurückhalten, doch der Mann sprang in den Abgrund. Im Auto entdeckten Ermittler später einen Abschiedsbrief, der keine Zweifel an seinen Motiven lässt. „Es lag an der Arbeit“, bestätigte ein Polizist.
"Er war seit drei Monaten depressiv"
Erst vor zwei Monaten war der Mann in ein Call-Center versetzt worden - gegen seinen Willen. „Man hat ihm keine Wahl gelassen“, sagt ein Betriebsrat. Der Vater von zwei Jungen im Alter von acht und zwölf Jahren wird als ein diskreter Mitarbeiter beschrieben. Nur wenigen Kollegen gegenüber traute er sich, sein Herz auszuschütten. „Er war seit drei Monaten depressiv“, bestätigte seine Frau. Das Tragische an diesem Fall: Jean Paul R. hätte am Montagabend einen Termin beim Betriebsarzt gehabt. Hätte der Doktor den gebrochenen Mitarbeiter vielleicht retten können?
Erst vor zwei Wochen, nach Selbstmord Nr. 23, als die Wellen der Empörung bereits hoch schlugen, war die Télécom-Führung zum Rapport ins Arbeitsministerium zitiert worden. Zwar kündigte Télécom-Boss Didier Lombard ein ganzes Bündel von Maßnahmen (mehr Betriebsärzte, Notruftelefon etc.) an, doch nun steht er vor einem Trümmerhaufen. „Möglicherweise habe ich Fehler begangen“, räumte er am Montag kleinlaut im Kreise der Mitarbeiter von Annecy-le-Vieux ein.
"Das Betriebsklima ist unmenschlich"
Überraschend schnell hatte sich Lombard in jener Niederlassung eingefunden, in der Jean-Paul R. gearbeitet hatte. Einige Kollegen weinten, andere bereiteten dem Vorstandschef einen frostigen Empfang. „Es reicht – Entlassung!“ hatten sie hastig auf Protesttafeln am Firmeneingang geschrieben.
Das Management hat dem früheren Staatsmonopolisten (ca. 180.000 Mitarbeiter) eine radikale Schlankheitskur verschrieben. Seit 1996 hat man sich von über 70.000 Mitarbeitern getrennt. Allein in den letzten drei Jahren wurden 22.000 Stellen gestrichen und 7000 Mitarbeiter versetzt. „Das Betriebsklima ist unmenschlich“, klagt Télécom-Gewerkschafter Patrice Diochet gegenüber dem „Parisien“ und fügt hinzu: „Die Beschäftigten werden behandelt wie Vieh.“ Vor allem beklagt er die „irrealistischen Leistungsvorgaben“ durch das Management.
130 Kundengespräch am Tag sind Vorgabe
Das lockere Betriebsklima von einst ist längst Vergangenheit, es ist sehr kühl geworden bei France Télécom. Kurze Plaudereien auf dem Flur und selbst Familienfotos an der Wand – kurz: das „Menschelnde“ - sieht die neue Manager-Generation anscheinend überhaupt nicht gern. Stattdessen setzen sie strenge Vorgaben („130 Kundengespräche am Tag“). Wer mehr schafft, kassiert im Quartal Prämien zwischen 500 und 1600 Euro. Liegt er hingegen darunter, wird er als Niete an den Pranger gestellt. Betriebsrat Diochet kreidet diese Praxis Generaldirektor Louis-Pierre Wenes an: „Er ist es, der alle terrorisiert – einfache Mitarbeiter wie Top-Manager.“
Um endlich Ruhe in die aufgewühlte und verunsicherte Belegschaft zu bringen, zog Didier Lombard am Montagabend die Notbremse. Das Prinzip der Versetzungen wird erst einmal auf Eis gelegt – ebenso der militärische Drill durch rigorose Leistungsvorgaben.