Straßburg. Es ist ein Fall von Selbstjustiz. Der Franzose Andre Bamberski hat zugegeben, an der Verschleppung des deutschen Arztes Dieter K. ins Elsass beteiligt gewesen zu sein. Dieser soll Schuld am Tod von Bamberskis Tochter vor 27 Jahren sein. Nun droht ihm selbst eine empfindliche Strafe.
Die Geschichte ist ebenso tragisch wie filmreif: Ein deutscher Arzt, dem in Frankreich eine langjährige Gefängnisstrafe droht, wurde in Deutschland entführt und vor einem Gerichtsgebäude im Elsass abgelegt. Der 74 Jahre alte Dieter K. war gefesselt vor dem Justizgebäude in Mülhausen gefunden worden. Zuvor hatten die Behörden einen anonymen Hinweis erhalten.
Wie sich jetzt herausstellte, handelt es sich um einen Fall von Selbstjustiz: Der 72-jährige Franzose André Bamberski hat gestanden, an der Entführung von Dieter K. beteiligt gewesen zu sein. Mehr als 27 Jahre ist es her, dass Bamberski seine Tochter Kalinka verlor. Die damals 14-Jährige starb infolge einer Injektion, die - man ahnt es - der Arzt Dieter K. verabreicht hatte. Der Vorfall ereignete sich 1982 in Lindau am Bodensee, wo Kalinka ihre Mutter und deren neuen Lebensgefährten besuchte. Dass es sich bei diesem um eben jenen Dieter K. und damit den Stiefvater des Mädchens handelte, macht die Konstellation nicht weniger spannend.
Dem Vater drohen nun zehn Jahre Gefängnis
Bamberski hat zugegeben, zu der Entführung von K. sein "Einverständnis" gegeben zu haben. Am 9. Oktober habe er bei München einen Unbekannten "für einige Minuten" getroffen. Der habe von sich aus angeboten, K. nach Frankreich zu bringen, erzählte Bamberski den Ermittlern. Mit 20.000 Euro fuhr er in das ostfranzösische Mülhausen, wo K. am Sonntag wie ein Paket verschnürt vor dem Gerichtsgebäude abgelegt wurde.Bamberski bestritt, Prügel für K. angeordnet zu haben, der mit Gesichtsverletzungen gefunden worden war. Nach einer Behandlung im Krankenhaus wurde K. am Mittwoch von Mülhausen nach Paris überstellt. Dort sollte bis zum Abend ein Richter darüber entscheiden, ob er verhaftet oder freigelassen wird, wie Justizmitarbeiter sagten.
Gegen Bamberski selbst wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlicher Entführung, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung eingeleitet. Ihm drohen laut Staatsanwaltschaft bis zu zehn Jahre Gefängnis. Der Rentner wurde gegen eine Kaution und unter Auflagen vorerst auf freien Fuß gesetzt.
Komplize stellt sich in Österreich
Einer der mutmaßlichen Helfer Bamberskis, ein staatenloser Mann aus dem Kosovo, habe sich unterdessen der österreichischen Polizei gestellt, teilte die Staatsanwaltschaft im bayerischen Kempten mit. Der 38-Jährige habe seine Beteiligung an der Entführung gestanden und "die Tatbeiträge seiner noch unbekannten Komplizen" beschrieben. Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittele nun gegen Bamberski sowie gegen "weitere noch unbekannte Mittäter, die französischer und russischer Abstammung sein könnten". Laut Staatsanwaltschaft war die Polizei im Landkreis Lindau am Samstag vor Mitternacht von Passanten zum Wohnhaus von K. gerufen worden, nachdem diese auf der Straße "zahlreiche Gegenstände und massive Blutspuren" entdeckt hätten.
Für die französische Justiz steht längst fest: Die von Dieter K. verabreichte Spritze hat zum Tod Kalinkas geführt. Das Pariser Schwurgericht verurteilte den Arzt 1995 deshalb wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu 15 Jahren Zuchthaus. Kleiner Schönheitsfehler: Das Urteil wurde in Abwesenheit des in Deutschland lebenden Angeklagten gesprochen. Sehr zum Bedauern von Bamberski verweigerten die deutschen Behörden eine Auslieferung an die französischen Nachbarn. Denn die deutsche Justiz bewertete den Fall völlig anders. Bereits 1987 lehnte das Oberlandesgericht München ein Strafverfahren gegen den Arzt endgültig ab.
Petition an Gerhard Schröder
Inzwischen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch das französische Urteil aufgehoben. Begründung: Die Verurteilung eines Menschen in Abwesenheit, ohne ihm je rechtliches Gehör zu gewähren, sei nicht rechtens.
Niederlagen, mit denen sich Kalinkas leiblicher Vater nicht einfach abfinden wollte. Bamberski gründete die Organisation „Justice pour Kalinka” – Gerechtigkeit für Kalinka. Über das Internet bat er die Bevölkerung um Unterstützung. In einer Petition fragte er den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Akzeptieren Sie, dass Ihr Land den Mörder dieses 14-jährigen Mädchens schützt und beherbergt?”
"Er hat sein Leben diesem Fall gewidmet"
Bamberski, der Kalinkas Stiefvater nicht nur Mord, sondern auch Vergewaltigung vorwirft, muss sich zwischenzeitlich bestätigt gefühlt haben: 1997 verurteilte das Landgericht Kempten Dieter K. wegen sexuellen Missbrauchs einer 16-jährigen Patientin zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde.
"Er hat sein Leben diesem Fall gewidmet», erzählt Bamberskis Freund Robert Pince, der gleichzeitig Vorsitzender der Unterstützervereinigung "Justice pour Kalinka" ist. "Jetzt ist er über 70, er ist müde." Der "zutiefst gläubige" Sohn polnischer Einwanderer habe ihm immer gesagt, dass er K. nicht tot sehen wolle. Aber er solle seine Strafe absitzen. "Es stecken bei ihm keinerlei Rachegefühle dahinter. Sonst hätte er nicht 27 Jahre gewartet und ihn schon längst um die Ecke gebracht." afp