Essen. Ab Ende Oktober werden die Ärzte der Gesundheitsämter zur Spritze greifen. Gegner und Befürworter der Impfung gegen die Schweinegrippe stehen sich aber nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Wer hat Recht?
Auch wenn Deutschlands Schweinegrippe-Kranke schnell wieder aufatmen, auch wenn sie manchmal gar nicht merken, dass sie wirklich krank sind – es wird trotzdem Ernst gemacht: Die Schweinegrippe-Impfung kommt.
Ab Ende Oktober werden die Ärzte der Gesundheitsämter zur Spritze greifen. „Dieses Datum wurde uns jetzt vom Gesundheitsministerium NRW genannt”, berichtet Dr. Rainer Kundt vom Gesundheitsamt Essen.
Dann werden nicht nur Amtsärzte, sondern auch die niedergelassenen Ärzte auf die Impfwilligen warten. Denn auch das sei gesagt: Impfen ist freiwillig. Und die Deutschen sind impfmüde. Über zwei Drittel der Befragten gaben in einer Umfrage der Krankenkasse DAK an, „auf keinen Fall” oder „wahrscheinlich nicht” hinzugehen.
Dabei tun Gesundheitspolitiker und Behörden wie das Paul-Ehrlich-Institut, das den Impfstoff zur Zeit prüft, alles, um die Menschen zu aktivieren. Ministerin Ulla Schmidt (SPD) empfiehlt die generelle Impfung. Erst für das medizinische Personal, dann für die Menschen mit chronischen Erkrankungen – und dann für alle.
Aufsteigende Lähmungen
Die Stimmen, die dieses Vorgehen für „unausgegoren” halten, mehren sich. Keiner weiß eben, wie der Impfstoff wirklich wirkt – und vor allem: welche Nebenwirkungen zu befürchten sind. Die Testphase ist kurz. Und jeder Experte denkt sofort an 1976, als es schon einmal eine Schweinegrippe gab. Die damalige Impfung geriet in den Verdacht, das Guillain-Barré-Syndrom auszulösen: aufsteigende Lähmungen. Da sich die Impfstoffe jedoch verbessert hätten, könne man, so der Bochumer Virologe Prof. Überla, die Lage nicht vergleichen.
Wolfgang Becker-Brüser, Arzt, Apotheker und Geschäftsführer des Arzneitelegramms, gehört zu denen, die komplett am Sinn der Impfung zweifeln. „Es gibt gar keinen Grund für die Impfmaßnahme, weil die Erkrankungen in aller Regel milde verlaufen. Erst recht gibt es keinen Grund, wenn ich mir den Impfstoff angucke.”
Ihm stößt vor allem ein Zusatzstoff auf, der bislang noch nicht in einem handelsüblichen Impfstoff verwendet worden sei. Dieser „Wirkverstärker”, der die Herstellung beschleunigen soll, sei nicht, wie bisweilen angepriesen, ein Bio-Verstärker, sondern „ein chemischer Mix”. Wirkung und Nebenwirkung reichlich unbekannt.
Diesen Schuh zieht sich das Paul-Ehrlich-Insitut nicht an. Seine Sprecher werden nicht müde zu betonen, wie unbedenklich die Impfung sei. Zwar lägen noch keine Gesamtergebnisse vor. „Aber man testet im rollenden Prozess”, so ein Sprecher. Rollender Prozess? Erst ein Teilchen, dann das andere. Becker-Brüser, der kritische Arzt und Apotheker: „Ein Impfstoff ist kein Baukasten, der beliebig zusammengesetzt werden kann. Die Wirkverstärkermischung muss mit dem gesamten Impfstoff geprüft werden. Erkenntnisse zu Einzelbe-standteilen reichen nicht aus.”
Und sowieso reißt seine Kritik am Paul-Ehrlich-Institut, das dem Bundesgesundheitsministerium zugeordnet ist, nicht ab. „Die angeblich positiven Ergebnisse lassen sich nicht überprüfen. Überhaupt fehlt ein unabhängiges Gremium neben den staatlichen Behörden, das eine öffentliche Kontrolle ausübt.”
Auch das noch: Becker-Brüser hinterfragt die Notwendigkeit der zweimaligen Impfung. „Es ist gar nicht belegt, dass dies notwendig ist. Die Annahme basiert vor allem auf Kenntnissen zu Vogelgrippe-Impfstoffen.”
Riesengeschäft für die Pharma-Industrie
Hört man sich um unter den Virologen und Infektionsspezialisten, hat es den Anschein: Man muss kein Impfgegner sein, um Impfkritiker zu sein. Gewissheit herrscht allerdings auf einem Gebiet: Die Seuche entwickelt sich zu einem Riesengeschäft für die Pharma-Industrie. Laut Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” soll der Mehrumsatz in Milliardenhöhe liegen. Der von der WAZ angefragte Impfstoff-Hersteller Novartis war zu keiner Antwort bereit.
Keine Antworten – das ist die Krankheit, unter der die Fachwelt leidet, weil zur Zeit keiner wirklich weiß, ob der Nutzen das Risiko überwiegt. Dennoch rät der Bochumer Prof. Klaus Überla vor allem Schwangeren zur Impfung. „Es ist erwiesen, dass die Krankheit hier eben nicht milde verläuft.” Sondern besonders schwer. Es gebe keine Anhaltspunkte, „dass der Impfstoff die Frucht schädigt”. Und trotzdem klingt er beklommen, wenn er sagt: „Irgendwann muss die erste Schwangere geimpft werden.” Dann werde man sehen.