Essen. Meine Freundin Jule ist niemand, der verflossenen Liebschaften hinterher trauert. Im Gegenteil, wenn ihr die rosarote Brille von der Nase gerutscht ist, will sie vom Ex nichts mehr wissen. Doch in Peter war sie ernsthaft verliebt - wenn nur seine Vergangenheit nicht wäre.

Das Bild, das ich von meiner Freundin Jule habe, ist etwas einseitig: Für mich enden ihre Beziehungen immer nur, sie fangen nie an, sie haben keine Mitte, sie hören immer nur auf. Denn gerade, wenn es wieder einmal aus ist, klingelt das Telefon und sie muss reden.

Gefühlschaos am Telefon

Wenn sie die rosarote Brille erst beiseite gelegt hat, dann entdeckt Jule, dass der Neue entweder dumm ist wie ein Brötchen, nicht zuhört, unmögliche Freunde hat oder auch einen für sie unerträglichen Lebensrhythmus. Wenn ihre Beziehungen enden, dann ist Jule empört, nicht traurig. Womit ich also nicht gerechnet hatte, war Gefühlschaos. Doch diesmal war sie seltsam unbestimmt, zögerlich, wollte gar nicht recht heraus mit der Sprache. Ich hasse das, wenn Leute anrufen und erwarten, dass man das Gespräch für sie führt. Aber bei Jule machte es mir ein wenig Angst.

„Was ist denn nun mit Peter?“, drängte ich. „Trägt er geschmacklose Socken, bohrt er beim Telefonieren in der Nase oder schnarcht er zu laut?“

„Nein, nein, alles okay. Aber in sexueller Hinsicht…“

„Seltsame Vorlieben?“

„Ja… nein. Also, nicht bei mir. Nein, eigentlich nicht.“

„Fremdgegangen?“

„Nein!“

„Dann ist er schwul.“

„Woher weißt du das denn jetzt?“

„Was?“

Ein "kleines Geständnis"

Nachdem ich unvermutet ins Schwarze getroffen hatte, brachen die Dämme. „Es war alles in Ordnung“, schniefte sie. „Jule, du weinst doch nicht etwa wegen eines Kerls?“, fragte ich voller Unruhe. „Jetzt lass ich doch mal ausreden! Es war alles super. Er raucht nicht im Badezimmer, er zerrupft nicht die Zeitung und er ruft nicht nachts um vier besoffen von irgendwelchen Partys an. Es war perfekt, einfach nur mal perfekt. Ich dachte, diesmal klappt’s.“

„Ja?“

Aber dann, an einem im Gleichklang der Körper und der Seelen verbrachten Samstagabend, sagte Peter einfach ein paar Sätze zuviel, mehr nicht. Peter der Perfekte, Meister des Smalltalks, Herr der guten Manieren und unaufdringliches, aber gleichsam strahlendes Licht ihres Liebeslebens, hatte, als sie sich des abends in seine angenehm durchtrainierten Arme schmiegte, ein „kleines Geständnis“ abgelegt. So nannte er das.

Jule hatte für die Botschaft selbst gar keinen Begriff, auch sehr ungewöhnlich. Er war, so stellte sich heraus, vor ihr mit einem Mann zusammen gewesen. Davor mit einer Frau, aber davor wiederum mit einem Mann und davor – wer weiß, Jule wusste es nicht. Da fiel mir auch nicht viel ein. Aber sie schien so am Boden zerstört, dass ich nach einer halben Stunde voller Klagen vorsichtig fragte, ob das denn wirklich so schlimm sei? „Es ist doch auch ein Zeichen des Vertrauens, dass er dir das gesagt hat.“

Zu viele Gelegenheiten zur Eifersucht

Nein, meinte meine Freundin, das ginge nicht. Ein herzzerreißendes Schnäuzen drang durch den Hörer, gefolgt von einem trostlosen Schniefen. Dann fasste sie sich, um zu erklären:

Erstens, dieser ungeheure Druck: Statt mit 50 müsse sie doch in Peters Fall mit 100 Prozent der Bevölkerung konkurrieren. „Ich muss mir doch immer Gedanken machen“, schluchzte Julia. „Sogar wenn er mit seinen Kumpels Fußball guckt!“

Und dann: „Es ist doch unfair.“ Wie man denn vor so jemandem noch irgendetwas geheim halten könne? Vor jemandem, der weiß, wie es ist, Männer zu lieben! Jemand, der ihre kleinen Tricks und Schwächen genau kennt, der vielleicht genauso gut wie sie selbst weiß, was bei ihnen verfängt, welche Ausreden man benutzen, welche Abkürzungen zum erwünschten Ziel man so nehmen kann! „Es ist einfach nicht fair!“

Jule hat eine ganze Weile getrauert, bis sie einen Neuen hatte. Letzte Woche habe ich sie zusammen in der Stadt gesehen. Ich habe eine Wette mit mir selbst laufen: Ich gebe den beiden noch genau zwei Wochen bis ihr auffällt, dass Tattoos mit nackten Frauen, Ankern und Schlangen ein wenig prollig wirken. Dann wird wieder das Telefon klingeln. Und dann werde ich sie fragen, ob Peter, der nicht ganz Perfekte, nicht vielleicht doch die bessere Wahl gewesen wäre als dieser Möchtegern-Matrose.

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