Düsseldorf. . Aus einer Asservatenkammer der Polizei sind 155 Datenträger im Fall des Kindesmissbrauchs gestohlen worden. Minister setzt Sonderermittler ein.
Ein Polizei-Skandal überschattet die Ermittlungen im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde. Wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag bekannt gab, sind 155 der im Campingwagen sichergestellten CDs und DVDs aus einem Auswerteraum im Dienstgebäude der Kreispolizei Lippe verschwunden.
„Das alles macht mich fassungslos. Man muss hier von Polizeiversagen sprechen“, sagte Reul. Die verschwundenen Datenträger hätten sich in einem Alukoffer und in einer Mappe befunden. Nach Angaben eines Polizisten, der die Erstauswertung dieses Materials vorgenommen hatte, soll es sich bei den verschwundenen Daten auch um Fotos von einem schlafenden Mädchen und tauchenden Jungen im Schwimmbad handeln, nicht jedoch um explizit kinderpornografisches Material. „Ausschließen können wir das allerdings nicht“, räumte Reul ein. Auch bei der Auswertung ist es zu schweren handwerklichen Fehlern gekommen.» Normalerweise müssen von Datenträgern, die als Beweismaterial gelten, Kopien gemacht werden. Aber nur von den drei CDs seien Kopien gezogen worden.
Ermittlungen durch Diebstahl nicht gefährdet
Auch interessant
Der entsprechende Raum der Polizeidienststelle sei nicht vorschriftsgemäß gesichert gewesen. Auch sonst sei es bei der Auswertung des Materials aus Lügde „zu schweren handwerklichen Fehlern gekommen“, sagte Reul. Aufgefallen ist das Fehlen der CDs und DVDs bereits am 20. Januar. Der Innenminister weiß nach eigenen Angaben seit diesem Montag Bescheid.
Das Innenministerium hat einen Sonderermittler des Landeskriminalamts und vier weitere Beamte nach Detmold entsandt. „Die lassen da keinen Stein auf dem anderen“, kündigte Reul an. Da nur 0,7 der insgesamt 15 Terabyte sichergestellten Materials verschwunden seien, stünden die Ermittlungen nicht auf der Kippe.
Die SPD-Opposition im Landtag hat bereits einen Untersuchungsausschuss angedroht. Im Fall Lügde mehrten sich schon vorher die Ungereimtheiten. Kurzzeitig war eine Beamtin an den Ermittlungen beteiligt, die bereits 2016 mit einer folgenlosen Anzeige wegen Kindesmissbrauchs auf dem Campingplatz zu tun hatte. Zudem gibt es Gerüchte, dass sich Polizisten und Verdächtige gut kennen würden. Reul erklärte, dafür gebe es bislang keine Belege.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sprach von einer «Katastrophe» für das Ansehen der Polizei. «Für die Polizei ist das eine Katastrophe aus vielerlei Hinsicht: Die Bevölkerung vertraut uns, die Opfer vertrauen uns - und wir haben dieses Vertrauen hier offensichtlich verspielt - oder zumindest ist ein Fragezeichen, wie die Polizei arbeitet», sagte Oliver Huth, Vize-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
Die Kreispolizeibehörde Lippe mit Sitz in Detmold räumte am Abend ein, dass es im Missbrauchsfall Lügde zu «eklatanten Fehlleistungen» gekommen sei. «Diese hätten nicht geschehen dürfen», hieß es in einer Mitteilung. Die Behördenleitung habe am Montag einen unabhängigen, bislang nicht mit dem Fall betrauten Kommissariatsleiter beauftragt, diese Vorgänge zu untersuchen. Seit Mittwoch sei auch das Landeskriminalamt (LKA) NRW im Auftrag des Innenministeriums NRW mit der Untersuchung befasst. Man habe großes Interesse an einer vollständigen und rückhaltlosen Aufklärung des Sachverhalts. «Notwendige Konsequenzen werden nach Vorliegen der Berichte zu ziehen sein.»
Ermittler fanden 13.000 Dateien mit Kinderpornografie
Auf dem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe sind nach den bisherigen Erkenntnissen der Ermittler über einen Zeitraum von zehn Jahren zahlreiche Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Zwei der Hauptverdächtigen sollen die Gewalttaten verübt und gefilmt haben, einer soll Auftraggeber gewesen sein. Bislang sind 31 minderjährige Opfer identifiziert, darunter auch Kleinkinder. Der Fall war Ende 2018 aufgeflogen. Die Ermittler werten nach eigenen Angaben rund 13 000 Dateien mit Kinderpornografie aus.
Auch interessant
Parallel dazu wird auch das Verhalten der Behörden untersucht. Der niedersächsische Landkreis Hameln-Pyrmont stellte einen Jugendamtsmitarbeiter wegen der Manipulation von Akten frei. Die Staatsanwaltschaft sei informiert worden, teilte Landrat Tjark Bartels am Freitag mit. Der Mitarbeiter habe eingeräumt, einen Vermerk nachträglich in Akten des Jugendamtes einsortiert zu haben. «Er wollte die Akte um einen fehlenden Vermerk ergänzen und so die Akte vervollständigen.» Der Landkreis habe eine interne Prüfung eingeleitet. Welche Relevanz der Vermerk für den Fall hat, teilte der Landkreis nicht mit.
Ermittlungen gegen zwei Polizisten
Das Jugendamt im niedersächsischen Hameln hatte als Pflegevater für ein kleines Mädchen einen der nun Verdächtigen eingesetzt. Auch dieses Kind soll auf dem Campingplatz missbraucht worden sein.
Auch interessant
D ie Staatsanwaltschaft in Detmold ermittelt zudem gegen zwei Polizeibeamte, die nach Hinweisen im Jahr 2016 zwar die Jugendämter informierten, aber sonst nicht tätig geworden sein sollen. Außerdem wird bei mehreren Mitarbeitern der Jugendämter der benachbarten Kreise Lippe und Hameln-Pyrmont geprüft, ob sie ihre Fürsorgepflicht verletzten.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm - Aufsichtsbehörde der Detmolder Staatsanwaltschaft - sieht in einer ersten Bewertung allerdings derzeit keine ausreichenden Gründe für Ermittlungen gegen die beiden Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter. «Das ist aber ein vorläufiger Sachstand, es ist nichts in Beton gegossen», sagte ein Sprecher am Freitag in Hamm. Man habe in Detmold um einen weiteren Bericht gebeten und werde dann abschließend bewerten. (mit dpa)