Pamplona. Noch bis zum 14. Juli werden in Pamplona die Stiere durch die Gassen getrieben. Johlende Touristen laufen ihnen voraus: Blut, Verletzungen und Tod nicht ausgeschlossen.

„Wenn die Herde angedonnert kommt”, warnt Carmelo Orduna die Neulinge, „dann musst du in der Mitte der Gasse laufen.” Nicht umdrehen. „Immer nach vorne gucken, um Stürze zu vermeiden.” Kein einfaches Unterfangen, wenn man die rund 500 Kilo schweren Kampfbullen mit ihren spitzen Hörnern hinter sich schnauben hört. „Du musst die Spannung aushalten”, sagt der Stierhatz-Veteran Orduna, der seit vielen Jahren beim berühmtesten Stiertreiben der Welt in der nordspanischen Stadt Pamplona dabei ist.

Punkt acht Uhr morgens geht es los. Eine Rakete steigt in den Himmel der 200 000-Einwohner-Stadt. Die schweren Tore, hinter denen die Kolosse schon wütend mit den Hufen scharren, springen auf. Zuerst stürmen sechs weißbraune Leitbullen, mit Glocken am Hals, heraus. Dahinter sechs fast pechschwarze und ziemlich feurige Kampfstiere. Hunderte Läufer, die „mozos”, mit weißen Hosen, weißen Hemden und roten Halstüchern, setzten sich johlend in Bewegung. Vor, neben und hinter der Herde. Auf Tuchfühlung mit dem Tod.

Plötzlich stürzen mehrere dieser sich auch gegenseitig rempelnden „mozos” und bleiben auf dem Pflaster liegen. Schützen ihre Köpfe mit Händen und Armen. Warten regungslos, bis die Meute vorbei ist. Zweieinhalb Minuten dauert die lebensgefährliche Stierjagd über knapp einen Kilometer durch die enge Altstadt. Vorbei an zehntausenden schreienden Zuschauern, die hinter Barrikaden und auf Balkonen stehen. Am Abend werden die sechs Kampfbullen dann von professionellen „toreros” in der Stierkampfarena getötet.

An diesem Tag geht das Stiertreiben zu Ehren des Stadt-Schutzheiligen San Fermin vergleichsweise harmlos aus. Nur ein paar Knochenbrüche und Dutzende Prellungen. „Das ist normal”, sagen die Organisatoren dieser „fiesta”. Niemand wurde aufgespießt, keine Toten. Nur vier Verletzte im Krankenhaus, darunter zwei lebensmüde Möchtegern-Stierkämpfer aus den USA und aus Schottland. Dafür mussten die Sanitäter in der Nacht zuvor 350 Besucher dieses feuchtfröhlichen Stierkampffestes behandeln. Meist wegen Alkoholvergiftung oder Stürzen im volltrunkenen Zustand.

Das insgesamt achttägige und schon jahrhundertealte Spektakel lockt mehr als 500 000 Touristen aus aller Welt an. Noch bis zum 14. Juli werden jeden Morgen die Stiere losgelassen. Jedes Jahr protestieren Tierschützer gegen diese „größte Stierquälerei” der Welt. „Pamplona: Blut, Folter und Tod”, steht auf Plakaten, die Demonstranten in die Höhe recken.

Thomas Schröder vom Deutschen Tierschutzbund spricht von einer „als Kulturtradition getarnten Qual”. Spanien sei „Schlusslicht des Tierschutzes in Europa”. Jährlich würden in dem EU-Land mindestens 30 000 Stiere zu Tode gequält. Doch auch die Proteste können die Popularität dieser Stier-Volksfeste kaum mindern. Spaniens König Juan Carlos ist ein großer Stierkampf-Fan. Und der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway hat mit seinem euphorischen Roman „Fiesta” dafür gesorgt, dass Pamplonas Stiertreiben in der englischsprachigen Welt legendären Ruhm hat.

Wohl auch deswegen befinden sich Amerikaner besonders häufig unter den Opfern. In den letzten Jahrzehnten gab es tausende Verletzte, 14 Menschen kamen bei der Stierhatz um. Die bisher letzten Todesopfer: 1995 wurde ein Amerikaner aufgespießt, 2003 starb ein Spanier.