Essen/Freiburg. Die Ladenregale sind voll mit Desinfektionsmitteln, -tüchern und -sprays. Aber brauchen wir die – oder macht uns eine keimfreie Umgebung eher krank?
Alles muss schön sauber sein – dann bleiben wir gesund. Aber ist das wirklich so? Helfen Sagrotan und Co. dabei, Krankheiten zu verhindern? Biologe Armin Schuster von der Uniklinik Freiburg meint: Nein. Er hält Desinfizieren im Alltag für unnötige Panikmache: Bakterien im Haushalt sind keine Bedrohung.
Wir haben mit dem stellvertretenden Leiter der Wohnmedizin und Innenraumhygiene am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene gesprochen.
Brauche ich Desinfektionsmittel im Alltag?
Nein. "Das ist reines Schüren von Ängsten", kritisiert Hygieniker Schuster. Weder müsse man im Alltag seine Hände desinfizieren noch Klinken oder Tastaturen. "Der Mensch hat einfach eine Hautflora, und diese Bakterien schützen uns." Wo Menschen sind, sind also auch Bakterien.
Diese Umweltbakterien sind wichtig: Unsere Hautflora ist die erste Barriere gegen Krankheitserreger. Wird sie künstlich "weg-desinfiziert", schwindet der Infektions-Schutz. Dann haben Bakterien, Viren und Pilze eine Angriffsfläche.
Der Werbebegriff "keimfrei" ist eine Erfindung der Industrie, warnt Schuster: Eine hohe Keimzahl auf Gegenständen und Haut ist ganz normal. Umweltkeime sind im Normalfall keine Bedrohung. Es gibt natürlich Erreger, vor denen man sich hüten sollte. Aber selbst die seien nur in bestimmten Konstellationen gefährlich – und auch nur ab einer kritischen Menge. In der Krankenhaushygiene und bei immungeschwächten Menschen ist das natürlich nicht so einfach.
Aber ich kann doch von Bakterien Durchfall bekommen!
Klar, möglich ist das. Infektionsquelle Nr. 1 sind dabei Lebensmittel, erklärt Schuster. Aber Hysterie ist in der heimischen Küche fehl am Platz – genauso wie Desinfektionsmittel.
Vor allem mit rohen Eiern und rohem Fleisch muss man vorsichtig umgehen. Heißt: Hände, Messer und Schneidebrettchen nach jedem Arbeitsgang gut waschen und trocknen. Fleisch gut kühlen, durchgaren und nicht zu lange lagern. Die häufigsten Auslöser für Lebensmittel-Infektionen sind Campylobacter, Salmonellen und andere Bakterien, aber auch Viren.
Übrigens sind Holzbrettchen besser als Plastikbrettchen, rät Schuster: Sie trocknen komplett durch, wenn man sie lässt. In tiefen Kunststoff-Einschnitten dagegen bleibt das Wasser stehen und bietet Keimen einen wunderbaren Nährboden.
Muss ich Obst und Gemüse aus dem Supermarkt heiß abwaschen?
Nein, kaltes Wasser reicht! Einen Effekt durch Hitze gibt's nicht: Die Keime werden nämlich abgespült, nicht abgetötet.
Muss ich Tastatur und Maus desinfizieren, wenn der Kollege mit einer Erkältung nach Hause ist?
Das ist nicht nötig, beruhigt Schuster. Die Ansteckungsgefahr durch das bloße Anfassen von Gegenstände ist gleich Null. Die meisten Viren übertragen sich nur in direktem Kontakt von Mensch zu Mensch. Auf Oberflächen wie einem Tisch oder der Computer-Maus überleben Erkältungsviren aber nur kurz. Und falls doch etwas übrig bleibt, dann reicht das kaum für eine Ansteckung, meint Schuster.
Können Desinfektions- oder Reinigungsmittel krank machen?
Ja! Sie können Allergien und Hauterkrankungen auslösen. Vor allem können sie aber eines: versehentlich verschluckt werden – vor allem von Kindern und Senioren. Wenn der Giftnotruf gewählt wird, stehen zwar Medikamentenvergiftungen an ersten Stelle. Aber direkt danach folgen Unfälle mit scharfen Reinigungsmitteln wie Chlorreiniger.
Verlernt der Körper in einer keimfreien Umgebung die Abwehr?
So direkt kann man das nicht sagen, so Schuster. Aber es scheint das Immunsystem zu stärken, wenn es gefordert wird. Die Hygiene-Hypothese aus den 80ern ist mittlerweile gut belegt.
In einer "Bergbauern-Studie" hatten Wissenschaftler Kinder auf Allergien untersucht und festgestellt: Kinder mit direktem Kontakt zu "Bauernhofdreck" und Stalltieren leiden seltener an Allergien.
Praktisch – dann müssen Stadtkinder nur ein paar Monate auf die Alm...
Klingt gut: Ein halbes Jahr auf dem Bauernhof – und die Allergiegefahr ist gebannt. Aber das reicht leider nicht, so Schuster. Zum einen wirkt das nur im ersten Lebensjahr. Zum anderen reicht der Kontakt zu Stalltieren nicht: Einen Teil der Antikörper muss die Mutter liefern – über die Muttermilch. Für Stadtbabys wäre der Kuhstall daher eher eine Gefahr: Sie sind nicht durch die Mutter gegen Krankheitserreger der Nutztiere geschützt (z.B. Ehec).