Stuttgart. . Der Krimi traute sich was: Er spielte direkt auf Stuttgart 21 an. Obendrein erinnerte der grandios besetzte Film an eine griechische Tragödie.
Drei Regeln braucht der „Tatort“. Erstens: Der Kommissar babbelt nie den örtlichen Dialekt, egal ob Köln oder Erfurt, der Brunetti in Venedig spricht schließlich auch Hochdeutsch. Außerdem: Politische Konflikte werden nur höchst verklausuliert abgehandelt, und das Privatleben des Ermittlers muss grundsätzlich komplizierter als der Fall sein.
Und nun kommen die Stuttgarter daher und hebeln zwei der drei Säulen locker aus. „Der Inder“ verarbeitet zwar einen fiktiven Bauskandal, aber der ist ausdrücklich beheimatet im umstrittenen Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“. Und der Kommissar säuft auch nicht oder hat eine schwere Depression, sondern er tut, was ein Kommissar so tut: Er löst den Fall, allerdings ohne schwäbischen Zungensalat, zuviel Revolution ist auch nicht gut.
Richy Müller in einem Dickicht voller politischer Fallstricke und finanzieller Abgründe
Damit ist Thorsten Lannert, angenehm unaufgeregt gespielt von Richy Müller, allerdings hier auch voll ausgelastet. Gemeinsam mit dem Kollegen Sebastian Bootz (ähnlich cool: Felix Klare) schlägt er sich durch ein schier unüberschaubares Dickicht voller politischer Fallstricke und finanzieller Abgründe, und der Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern der Bahnhofsverlegung zieht sich bis in das Ermittler-Duo.
Ausgangspunkt ist der Mord an einem ehemaligen Staatsekretär. Jürgen Dillinger wird beim Joggen erschossen, kurz nach seinem Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss, der die Umstände eines dubiosen Deals aufklären soll. Mit der Tieflegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs wird nämlich wie bekannt ein Filetgrundstück mitten in der Stadt frei. Den Zuschlag für ein milliardenschweres Bauprojekt bekam ein Architekt, der einen geheimnisvollen Großinvestor im Rücken nannte. Doch der „Inder“ entpuppt sich als Schwindler, das Projekt scheitert, und weil auch bereits öffentliche Mittel geflossen sind, musste sich Ex-Staatssekretär Dillinger wegen Korruption verantworten.
Kompliziert genug, und die Regie fordert dem Zuschauer zusätzlich einiges ab. Niki Stein („Rommel“) erzählt die Sage um große Pläne und riesige Schätze auf mehreren Erzählebenen und scheut weder vor Zeitsprüngen noch Ibsen-Zitaten zurück.
Wie bei der griechischen Tragödie läuft alles auf ein großes Finale zu
Wer da mal zwischendurch zum Kühlschrank flieht, geht Gefahr, den Faden zu verlieren, und trotzdem ist dieser „Tatort“ ein großer Wurf. Wie in einer griechischen Tragödie baut sich dieses Spiel um Macht und Geld bis zu einem gewaltigen Finale auf und bietet großen Mimen wie etwa Thomas Thieme eine Bühne für edle Schauspielkunst. Vorzüglich, wie Thieme den Architekten Busso von Mayer spielt, inzwischen im Knast wegen der geplatzten Inder-Connection, zugleich verschlagen wie der Fuchs und weise wie die Eule.
Derweil stehen die Kommissare im Dauerstau, kämpfen sich heroisch von Baustelle zu Baustelle in einer düsteren Vorhölle, die der gefallene Stararchitekt wie folgt beschreibt: „Stuttgart ist ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, der von den Abgasen einer ewig im Stau stehenden Blechlawine angeheizt wird. Unsere Kinder kriegen Pseudokrupp und wir einen Herzinfarkt vor Ärger.“