Essen. Den Mann, den Job - alles darf eine Frau bereuen. Nur die Kinder nicht. Oder? Eine Soziologin sprach mit unglücklichen Müttern über verbotene Gefühle.

Es sind Sätze, die man so nicht hören will - zumindest nicht von der eigenen Mutter: Dass es ihr größter "Fehler" war, ein Kind in die Welt zu setzen. Dass mit der Geburt des Kindes "der größte Albtraum" ihres Lebens begann. Und dass sie doch viel besser ohne es zurecht käme. Es sind Sätze, die die die meisten Menschen noch nicht einmal flüstern würden, und doch sind sie nun in der Welt: Eine Soziologin von der Universität Tel Aviv hat sie öffentlich gemacht, nachdem sie lange Interviews mit 23 Müttern geführt hat. Müttern, die nichts so sehr bereuen wie genau das - dass sie Mütter wurden.

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Orna Donath rührt mit ihrer auch im Netz verfügbaren Studie "Regretting Motherhood - a sociopolitical analysis" (etwa: Mutterschaft bereuen - eine soziopolitsche Analyse.) an ein Tabu. Das zeigen die zum Teil heftigen Reaktionen, die Donaths Thesen im Netz hervorgerufen haben. Dort ist #regrettingmotherhood inzwischen zu einem der am heißesten diskutierten Themen geworden. Warum? Dass Mütter mit dem Muttersein hadern, ist ja nichts Neues. Die Literatur, nicht nur die feministische, beschreibt Frust und Verzweiflung von Müttern seit vielen Jahrzehnten.

Es ist üblich, dass Mütter die Zähne zusammenbeißen

Doch es ist paradox: Obwohl diese Abgründe des Mutterseins schon lange diskutiert werden, hörte man praktisch nie das böse Wort "Reue". Es ist üblich, dass Mütter die Zähne zusammenbeißen, auch wenn sie noch so sehr leiden. Man hat das mit der Liebe zum Kind erklärt, mit Gewöhnung, mit einer Rolle, in die man erst hineinwachsen muss, ja sogar mit "natürlich weiblichem Masochismus". Nun, Donath glaubt, dass etwas anderes dahinter steckt: Druck. Doch der Reihe nach.

"Der Albtraum meines Lebens" - wie reuige Mütter ihr Herz ausschütten 

Orna Donath stellte den Frauen, mit denen sie sprach, eine provozierende Frage: "Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie sich dann - mit Ihren Erfahrungen und Ihrem Wissen von heute - fürs Kinderkriegen entscheiden?" Die Antworten der Frauen fielen heftig aus. Hier einige Auszüge in deutscher Übersetzung, alle Namen sind frei erfunden.

  • "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich ganz klar keine Kinder mehr bekommen. Das ist mir ganz klar." (Atalya, 45, geschieden, drei Kinder, die heute sagt, sie sei mehr oder weniger automatisch Mutter geworden - ohne über die Folgen nachzudenken)
  • "Hätte ich die Einsichten und Erfahrungen von heute, hätte ich nicht mal ein Viertel eines Kindes in die Welt gesetzt. Am meisten schmerzt mich, dass ich die Zeit nicht zurückdrehen kann. Es geht nicht. Ich kann es nicht reparieren." (Tirtza, 57, geschieden, zwei Kinder, Enkel. Auch sie sagt, Kinder zu bekommen habe sie nach der Heirat einfach als den natürlichen nächsten Schritt angesehen.)
  • "Es schmerzt mich, das zu sagen, und meine Kinder werden es auch nie von mir hören. ... Ich könnte komplett auf sie verzichten. Wirklich. Ohne mit der Wimper zu zucken. ... Ich liebe sie. Sehr sogar. Aber ich würde ohne sie zurechtkommen." (Doreen, 38, geschieden, drei Kinder, die eigentlich keine Kinder wollte, sie aber ihrem Mann zu Liebe bekam)
  • "Es ist kompliziert, denn ich lehne nur das Muttersein ab, nicht meine Kinder. ... Ich will nicht, dass es sie nicht gibt. Ich will nur keine Mutter sein." (Charlotte, 44, geschieden, zwei Kinder. Dass sie Mutter wurde, begründet sie mit ihrer damaligen Religiosität.)
  • "Schon während der Schwangerschaft habe ich es bereut. ... Mir war klar, dass es keinen Unterschied macht, ob er schreit und ich böse werde oder ob er schreit und ich es hinnehme - es ging darum, dass ich mein Leben aufgeben musste. Man muss zu viel aufgeben." (Odelya, 26, geschieden, ein Kind)
  • "Es begann in den ersten Wochen nach der Geburt. Ich sagte, es ist eine Katastrophe. Eine Katastrophe. Mir wurde sofort klar, dass das nichts für mich ist. Und mehr als das: Es ist der Albtraum meines Lebens." (noch einmal Tirtza, 57)
  • "Nach der ersten Geburt wurde mir klar, dass unsere Paarbeziehung nie mehr sein würde wie früher. ... Nach der zweiten Geburt wurde mir endgültig klar, dass das nichts für mich ist." (Danit, 35, verheiratet)
  • "Es war ein Fehler, das bin nicht ich, es passt nicht zu mir. Man erkennt, dass Dinge zu einem Menschen passen und zu einem anderen Menschen nicht. ... Und eine andere Sache, die mir schlechte Gefühle bereitet, ist, dass ich nun meine ganze beschissene Kindheit noch einmal durchleben muss." (Anchinoam, in den 30ern, verheiratet, zwei Kinder. Als sie selbst Kind war, wurde sie wegen ihrer dunklen Haut diskriminiert, und ihre Tochter erlebt jetzt das gleiche.)
  • "Es hat Vorteile, Mutter zu sein. Nach der Geburt spürst Du ein überwältigendes Glücksgefühl. Die Nähe zu dem Kind, das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Stolz - du hast einen Traum wahr gemacht. Es ist zwar der Traum anderer Leute - aber du hast ihn wahr gemacht." (Brenda, 57, geschieden, drei Kinder - Sie sagt, sie habe Kinder bekommen, weil massiv Druck auf sie ausgeübt worden sei.)
  • "Ich sehe einfach keinen Vorteil darin. Ehrlich, keinen einzigen. ... All diese Dinge, über die die Leute reden, bedeuten mir überhaupt nichts. Ich verstehe nicht, was sie meinen, wenn sie über die nächste Generation reden oder darüber, was ist, wenn wir mal alt sind. ... Nein. Für mich ist es einfach eine unerträgliche Last." (Noch einmal Atalya, 45)
Druck, Druck, Druck: Was die Autorin aus den Antworten folgert 

Donath folgert aus ihren Gesprächen mit den bereuenden Müttern, dass es viele Gründe gibt, warum sie das Muttersein als Tortur empfinden. Daher sei es unmöglich, eine einzige Sache zu benennen, die in diese Situation führt. Aber der Autorin geht es auch nicht darum, aus den Schicksalen der Frauen praktische Ratschläge für eine gelungene Lebensführung zu gewinnen. Es geht ihr um etwas anderes:

Der falsche Mann? Wer hat schon den richtigen. Der falsche Job? Auch das kann passieren. Aber die Kinder? Donath wundert sich, dass die Entscheidung für Kinder die einzige im Leben einer Frau ist, die sie nicht offen bereuen darf. Sie schreibt: "Die Mutter und die Mutterschaft sind ein kulturelles und geschichtliches Konstrukt, mit dessen Hilfe Frauen zu naturgegeben Fürsorgefiguren gemacht werden - und durch das Frausein gleichbedeutend mit Muttersein wird." Es ist, daran lässt Donath keinen Zweifel, ein feministischer Versuch, das Phänomen zu erklären, auf das sie gestoßen ist.

Israel hat die höchste Geburtenrate der entwickelten Länder

Die unausgesprochene Forderung, dass Weiblichkeit gleichbedeutend zu sein habe mit Mutterschaft, mag dabei in Donaths Heimatland Israel noch ausgeprägter sein als woanders. Hier gibt es nicht nur starke religiöse Strömungen, die Frauen zum Kinderkriegen anhalten - sondern auch einen zionistischen Staat, der der Reproduktionsmedizin alle Hindernisse aus dem Weg geräumt hat und die höchste Geburtenrate unter allen entwickelten Ländern erzielt.

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Hier sieht Donat die tiefliegenden Gründe für das Unglück der Frauen, mit denen sie gesprochen hat: "Der kulturelle Druck, Kinder zu bekommen, hält sich in Israel dermaßen hartnäckig, dass wahrscheinlich jede Frau weiß: Wenn sie als normal und gesund angesehen werden will, dann ist Mutterschaft erstrebenswerter als alles andere."

Ein israelisches Problem? Nicht nur. Reaktionen auch aus Deutschland zeigen, dass noch mehr Frauen sich angesprochen fühlen von Donaths Studie. Oder abgestoßen, je nach Standpunkt.

So diskutiert das Netz unter #regrettingmotherhood 

Anfang April veröffentlichte Donath ihren Aufsatz "Regretting Motherhood" in der feministischen Fachzeitschrift "Journal of Women in Culture and Society". Es dauerte nicht lange, bis im Internet die ersten Reaktionen auftauchten. Bei Twitter haben sich die Diskutanten unter #regrettingmotherhood versammelt. Bei etlichen Nutzern löste Donaths Studie nur Kopfschütteln und harscheste Ablehnung aus, wie etwa bei Holla the Woodfairy:

Es gibt aber auch Frauen, die nachvollziehen können, wie es den Teilnehmerinnen von Donaths Studie geht. Malaidoskop schreibt:

Twitterer Nico Barthel stellt die nicht ganz unberechtigte Frage, was eigentlich mit den Vätern ist:

Und es gibt auch jene, denen an einer Versachlichung der Diskussion gelegen ist. Wie "Dina", die vor Verallgemeinerungen aus der Donath-Studie warnt. Denn die sei schließlich mit nur 23 Probandinnen alles andere als repräsentativ.