Genf. Im “Large Hadron Collider“ (LHC) rasen Milliarden von Protonen oder Blei-Ionen fast mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander los. Doch was bewirkt es?

Darauf warten Physiker in aller Welt mit Sehnsucht: Nach zweijähriger Bauzeit wird die rundum erneuerte "Weltmaschine" des Europäischen Kernforschungszentrums (Cern) wieder gestartet. Mit viel mehr Energie als bisher - 13 Teraelektronenvolt (TeV) statt 8 - werden im Teilchenbeschleuniger LHC Kollisionen erzeugt. In den Zerfallsprodukten suchen Forscher nach unentdeckten Bausteinen des Universums. Welche Hoffnungen sie damit verbinden, berichten der deutsche Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer (66) und die italienische Experimentalphysikerin Fabiola Gianotti (55), die das Cern ab 2016 leiten wird, im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Der "alte" Beschleuniger hat die sensationelle Entdeckung des Higgs-Teilchens ermöglicht. Was hoffen Sie nun mit dem weit leistungsstärkeren LHC zu finden?

Fabiola Gianotti: Dieser enorme Energieschub gibt uns viel größere Möglichkeiten, fundamentale Fragen der Menschheit nach dem Wesen des Universums zu beantworten, darunter Fragen nach der Beschaffenheit der Dunklen Materie.

Rolf-Dieter Heuer: Vielleicht gelingt uns der Aufbruch in das dunkle Universum.

Gianotti: Versprechen können wir nichts, alles ist in der Hand der Natur.

Seit Jahrzehnten suchen Forscher Beweise für die Existenz Dunkler Materie und die Theorie der Supersymmetrie. Wie stehen die Chancen, sie in den nächsten zwei, drei Monaten zu finden?

Gianotti: Monate? Wir sollten in Kategorien von zwei, drei Jahren denken. Natürlich haben wir große Hoffnungen. Aber wir können keine konkreten Vorhersagen treffen.

Heuer: Genau, wir forschen unvoreingenommen.

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Gianotti: Es gibt viele offene Fragen. 95 Prozent des Universums verstehen wir nicht, das sind Dunkle Materie und Dunkle Energie. Wir wissen auch nicht, warum es so viel Materie und so wenig Antimaterie gibt. Wir schauen, was wir mit dem LHC entdecken werden und überlegen dann, was dies für die neue Physik, für eventuelle künftige Theorien zum Aufbau der Welt, bedeutet.

Aber in den letzten Jahren haben Sie doch gezielt nach dem Higgs-Teilchen als wichtigstem Bestandteil des von der Theorie erstellten Standardmodells der Materie gesucht?

Heuer: Ja und nein. Es gab zwar eine Vorhersage, aber es war dennoch unklar, ob es das Higgs-Boson tatsächlich gibt. Deshalb mussten wir im LHC nach allem suchen, was vom Bekannten abweicht. Klar war nur, dass der Mechanismus, mit dem Elementarteilchen Masse verliehen wird, in dem Energiebereich liegen müsste, der im LHC möglich war.

Gianotti: Dadurch waren wir auf das Higgs-Teilchen eingestellt, aber wir waren auch offen dafür, einen anderen Mechanismus zu entdecken. Nun richten wir uns auf die Dunkle Materie und damit verbundene Fragen. Aber wir wissen noch nicht, ob die Antworten in dem Energiebereich liegen, den wir mit dem neuen LHC untersuchen können.

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Heuer: Vielleicht sind Antworten in einem noch darüber liegenden Energiebereich versteckt. Wir hoffen aber, wenigstens Hinweise darauf zu erhalten, in welchem Bereich und bei welchen Kollisionsgeschwindigkeiten die neue Physik zu finden ist.

Wir dürfen also auf Überraschungen gefasst sein...

Gianotti: Absolut. Das macht das Wesen und den Charme von Grundlagenforschung aus. Man sucht nach etwas, das man noch nicht kennt.

Sollten Sie einen Beweis für "Susy" finden, wie die Theorie der Supersymmetrie ja gern genannt wird, dann wären sie nicht überrascht?

Gianotti: Keineswegs. Ich mag Susy. Es ist ein elegantes Theoriegebilde, mit dem sich das Standardmodell erweitern lässt, indem jedem Teilchen ein Partnerteilchen zugewiesen wird. Das würde auf einen Schlag verschiedene Problemfragen beantworten helfen.

Aber die Theorie gibt es seit Jahrzehnten und bislang ist kein Teilchen gefunden worden, das sie bestätigen würde...

Gianotti: Das kann natürlich bedeuten, dass die Susy-Theorie falsch ist. Vielleicht sind diese Teilchen aber auch so schwer, dass wir sie selbst in dem nun deutlich höheren LHC-Energiebereich nicht finden können. Es gibt zwar einige Argumente dafür, dass wir dort fündig werden, aber sie sind nicht völlig überzeugend.

Der Komet Panstarrs

Der Komet Panstarrs aus der Nähe, aufgenommen von der Universität Hawaii.
Der Komet Panstarrs aus der Nähe, aufgenommen von der Universität Hawaii. © Reuters
So zeigt sich der Komet am Ruhrgebietshimmel. Diese Aufnahmen stammen von…
So zeigt sich der Komet am Ruhrgebietshimmel. Diese Aufnahmen stammen von… © Sternwarte Bochum
… der Sternwarte Bochum.
… der Sternwarte Bochum. © Sternwarte Bochum
Der Komet kann von der gesamten nördlichen Hemisphäre beobachtet werden.
Der Komet kann von der gesamten nördlichen Hemisphäre beobachtet werden. © Getty
So präsentiert sich Panstarrs über Las Vegas.
So präsentiert sich Panstarrs über Las Vegas. © Getty
Auch in New Mexico sieht man den Kometen, dessen…
Auch in New Mexico sieht man den Kometen, dessen… © Getty
… offizielle Bezeichnung C/2011 L4 lautet.
… offizielle Bezeichnung C/2011 L4 lautet. © REUTERS
Der Name Panstarrs stammt von seinen Entdeckern im
Der Name Panstarrs stammt von seinen Entdeckern im "Panoramic Survey Telescope & Rapid Response System" auf Hawaii. © REUTERS
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Heuer: Man muss sich auch klar machen, dass die Supersymmetrie nicht aus einem einzigen Modell besteht, sondern aus vielen verschiedenen. Manche sind einfach, so dass wir Experimentalphysiker meinen, sie zu verstehen (schmunzelt). Aber es gibt auch erheblich kompliziertere Modellvarianten.

Einige Forscher sprechen von einer Krise der Supersymmetrie und fordern eine ganz neue Theorie. Was muss geschehen, wenn keine Hinweise auf Susy gefunden werden? Eine neue Theorie oder die Fortsetzung der Suche mit einem noch erheblich leistungsstärkeren Beschleuniger, was dann wohl erst in rund 20 Jahren möglich wäre?

Heuer: Niemand kann Susy ernsthaft für tot erklären, dafür ist die Theorie zu vielfältig.

Gianotti: Natürlich sind wir abhängig von den technologischen Möglichkeiten. Die werden künftig größer sein. Teilchenbeschleuniger haben sich für unsere Grundlagenforschung als der richtige Weg erwiesen. Deshalb werden bereits Konzepte für den Beschleuniger der Zukunft erarbeitet.

Heuer: Wir haben 2014 begonnen und wir rechnen mit etwa fünf Jahren, bis das Konzept dafür steht. Das geschieht in weltweiter Kooperation. Wir brauchen für die Entwicklung der nötigen Technologien so viele Hirne, dass dies nur mit einer globalen Anstrengung zu schaffen ist.

Das alles kostet Milliarden, die Steuerzahler vieler Staaten aufbringen. Ist Grundlagenforschung wirklich so viel Geld wert?

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Gianotti: Für mich ist Grundlagenforschung eine Pflicht und ein Recht des Menschen. Sie ist genauso ein fundamentaler Ausdruck des Menschen als intelligentem Wesen wie die Allgemeinbildung oder die Kunst. Sie ermöglicht jene Kreativität, aus der Innovationen hervorgehen, die die Menschheit voranbringen. Zudem muss für Grundlagenforschung derart viel neue Technologie entwickelt werden, dass dabei immer wieder positive praktische Effekte für die Gesellschaft herauskommen.

Heuer: Nehmen Sie das Internet. Die Grundlage dafür, das World Wide Web, wurde am Cern entwickelt, quasi als Nebenprodukt. Oder denken Sie an die Nuklearmedizin. Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) wäre ohne Forschung auf dem Gebiet der Teilchenphysik kaum denkbar.

Die Higgs-Suche hat viele Menschen begeistert. Was könnte das Schlagwort der Ära des runderneuerten LHC sein?

Gianotti: Sicherlich "Dunkle Materie".

Könnte der Begriff nicht auch Angst machen?

Heuer: Dafür gibt es keinen Grund. Die Dunkle Materie existiert sicher schon seit Milliarden von Jahren, ohne dass sie Schaden anrichtet. Dunkel nennen wir sie nur, weil wir sie nicht kennen. (dpa)