Essen. . In dem Drama „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ erzählt Regisseur James Marsh die Lebensgeschichte des genialen britischen Physikers Stephen Hawking.

Filmbiografien sind die moderne Form des Denkmalbaus für Personen des öffentlichen Interesses. Diese sehr spezielle Filmgattung brachte während der letzten zehn Jahre manch spektakuläres Schicksal auf die Leinwand und entwickelte sich darüber hinaus zum fruchtbaren Boden für Produktionen mit Oscar-Ambitionen.

Als jüngstes Beispiel dafür stellte sich der englische Regisseur James Marsh mit seinem neuen Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ einer besonderen Herausforderung, denn er präsentiert ein Vierteljahrhundert aus dem Leben des britischen Physikers Stephen Hawking.

Ein Mann fürs Leben

Das Geschehen eröffnet 1964, als Beatmusik die Welt erobert. In den Denkräumen der alteingesessenen Universität von Cambridge hingegen tragen die jungen Herren noch Frack und Fliege, wenn sie die Damen zum Tanz bitten. Der 22-jährige Stephen Hawking unterrichtet Jane, die Dame seines Herzens, dass er grundsätzlich nicht tanzt, und schafft es trotz solcher und ähnlicher Brüskierungen, dass Jane (Felicity Jones) sich niemand anderes als Mann fürs Leben vorstellen kann.

Einmal werden die beiden an diesem Abend dann aber doch noch einander sanft umklammernd sich im Tanze wiegen. James Marsh inszeniert diesen Moment auf einer romantisch illuminierten Brücke, die wie die Bühne eines Musicalmärchens von Vincente Minnelli wirkt. Die Kamera erhebt sich in die Lüfte und überlässt das Paar seinem Glück. Als Zuschauer ahnt man ja, dass es nicht mehr lange dauern wird und Stephen einer tückischen Krankheit zum Opfer fallen wird, die nach und nach seine Muskeln erlahmen lässt.

Das Drehbuch folgte den Schlagzeilen der Hawking-Vita

Wenn der Film knapp zwei Stunden später durchs Ziel geht, hat man einen typischen Biografiefilm unserer Zeit gesehen. Das Drehbuch folgte den Schlagzeilen der Hawking-Vita und führte sie dem Zuschauer in naturalistischer Echtheit vor. Eddie Redmayne zeigt in der Hauptrolle eine darstellerische Leistung von bestürzender Virtuosität; man glaubt wirklich, Hawkings körperlichen Verfall und geistigen Widerstand live mitzuerleben.

Es gibt enorm berührende Momente im Zusammenspiel mit Felicity Jones, die die wahre schauspielerische Großtat zeigt, weil sie der eigentliche emotionale Katalysator zu uns im Zuschauerraum ist. Redmaynes Hawking sitzt verkrümmt im Stuhl, schaut mal verschlagen, mal gespielt unschuldig und scheint seine Hilflosigkeit sehr präzise im Blick auf Frauen auszunutzen.

Der Film basiert auf den Memoiren von Jane Hawking

Der Film reißt diese Facette an, vertieft sie aber nicht; schließlich ist das Subjekt der Erzählung noch am Leben, außerdem basiert der Film auf den Memoiren von Jane Hawking, die den Text zehn Jahre nach der ersten Fassung mildernd überarbeitete.

Es ist vor allem James Marsh zu verdanken, dass der Film nicht zum reinen Tränendrücker verkommt. Marsh, der mit seiner Dokumentation „Man on Wire“ den Dokumentarfilm-Oscar gewann und mit dem Nordirland-Krimi „Shadow Dancer“ einen superben Politthriller inszenierte, ist eines der ganz großen Regietalente, weil er Schauspieler sensibel zu führen versteht und weil er Aspekte wie Farbgestaltung, Raumkomposition und Ausleuchtung als wesentliche Stilmittel seiner Inszenierung begreift. Genau deshalb sieht sein Film zeitlos klassisch aus und vermeidet jegliche Peinlichkeiten.

Dass er dem Sensationshunger eines nach Blicken hinter die Kulissen gierenden Publikums zuarbeitet, liegt im Genre selbst begriffen. Das ist verwerflich. Aber innerhalb dieses Rahmens kann ein Film kaum besser sein.

Wertung: vier von fünf Sternen