Potsdam. . Eine neue Gesellschaft sollen sie aufbauen. Das klingt toll. In Wirklichkeit ist alles ein wenig profaner bei “Newtopia“ von Sat.1. Eine erste Bilanz.

Sie sind fünfzehn. Frauen und Männer, Alte und Junge. Alle eint angeblich ein Wunsch. Eine neue Gesellschaft wollen sie aufbauen. Eine, die besser ist als die, in der sie gelebt haben bisher. „Pioniere“ nennt der Sender sie deshalb, und wenn sie erscheinen auf dem Bildschirm, jeden Wochentag um 19 Uhr, dann geht im Vorspann zur Sendung eine künstliche Sonne auf. Der Morgen graut, dem Abend graut’s. Newtopia hat begonnen.

Zwar hat der Sender 5000 Euro Startkapital spendiert, hält sich ansonsten aber zurück bei der Gründung eines funktionierenden Gemeinwesens. Es gibt bisher weder fließend Wasser noch Strom auf dem einsamen Bauernhof, auf den der Sender die Newtopisten geschickt hat. Geschlafen wird auf Stroh, die Toilette ist ein Loch auf dem Acker.

Es gibt auch keine Regeln, keine Vorgaben. Was es gibt, ist jede Menge Streit. Und die Frage, wie es gelungen ist, unter immerhin 8000 Bewerbern und Bewerberinnen so viele Soziopathen und Egozentriker herauszupicken.

„Repräsentativ“ für Deutschland hat einer beim Sender diese Zusammenstellung im Vorfeld mal genannt, und man kann nur hoffen, dass das ein Scherz war. Weil man sich sonst ernsthaft sorgen müsste um Deutschland.

Die Kandidaten: eigenartig

Da ist zum Beispiel Candy, der „Politikwissenschaftler“. Dicken Biberschwanz zu alten Klamotten trägt er, stopft sich Klopapier in die Ohren, hält Polygamie für die beste Lebensform und „eine halbe Stunde Arbeit am Tag für ausreichend“.

Schlaue Reden schwingt der 44-Jährige und wenn er ausnahmsweise doch mal die Hände aus der Tasche nimmt, reißt er gerne ein, was andere aufgebaut haben, um sich daraus eine Hollywood-Schaukel zu basteln „zum Chillen“, denn: „Jeder sollte das machen, wozu er Lust hat.“

Und essen, worauf er Appetit hat. Auch wenn es anderen gehört. Findet zumindest Hans, 30-jähriger Fitnesstrainer aus Hamburg. Normale Lautstärke kennt er kaum im Gespräch, dafür aber viele Schimpfworte, mit denen er jeden belegt, der ihn kritisiert.

Dann ist da auch noch der Steffen. Mit 61 Jahren der Senior auf dem Hof, Hartz-IV-Empfänger mit merkwürdigen Ideen. Zwecks Geldbeschaffung hat er vorgeschlagen, die Frauen zum Anschaffen zu schicken. Zu seinem Bedauern hat Sat.1 allerdings kategorisch ausgeschlossen, ein Bordell zu eröffnen.

Lenny aus Essen zieht aus, weil er Liebeskummer hat

Was sonst noch in Erinnerung bleibt aus den ersten Tagen ist ein langweiliger Kommentar aus dem Off, eine ständig nörgelnde Fränkin, ein patenter Landwirt, eine „spiritualisierte“ Architektin, eine bisexuelle Veganerin und ein blondes Model mit Vitamintabletten im Gepäck: „Wenn mal jemand krank wird.“

Und Lenny, der 29-jährige Student aus Essen, der aus Liebeskummer schon wieder ausgezogen und ersetzt worden ist. Einigen der Anwesenden nimmt man ab, dass sie den Traum einer neuen Gesellschaft verwirklichen wollen, die meisten aber scheinen einfach nur scharf darauf zu sein, mal ins Fernsehen zu kommen.

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Die Quoten der ersten Woche waren mit bis zu 17 Prozent Marktanteil dennoch hervorragend. Es kommen allerdings noch 51 weitere Wochen. Und ob ständiger Krach und Zoff alleine reichen, um das Interesse der Zuschauer auf Dauer hoch zu halten, muss sich zeigen. Zumal die Macher der Show – anders als beim klassischen Big Brother oder dem Dschungelcamp – kaum Gelegenheit haben, in das Geschehen einzugreifen.

In den USA wurde das Format nach zwei Monaten eingestellt. In den Niederlanden dagegen läuft die Sendung mittlerweile schon zwei Monate länger als geplant. Aber das ist kein Maßstab. Die Holländer finden es ja auch gut, dass ihnen durch ihre gardinenlosen Fenster jeder ins Wohnzimmer gucken kann.