Königs Wusterhausen. . “Newtopia“ soll Sat.1 den Vorabend retten. Die erste Folge zeigte eine bunte Mischung an Kandidaten. Aber können sie etwas bewegen?

Es hat etwas von einer Revolution, von einem Aufstand, ja vielleicht auch von einem Angriff: 15 Männer und Frauen in der Morgenröte, selbstbewusst und kämpferisch, mit Mistgabel und Schaufel. Sie stehen da wie eine starke verschworene Truppe, die wahrgenommen werden möchte. Und wer diese Woche an Bahnsteigen wartet oder durch die Fußgängerzone läuft, kann nicht anders als sie tatsächlich wahrzunehmen.

Der Produzent hat auch "Big Brother" gemacht

Mit der beschriebenen Szene macht momentan ein Werbeplakat auf „das größte TV-Experiment aller Zeiten“ aufmerksam: Newtopia. Am Montagabend lief die erste Folge der Reality-Show auf Sat.1.

Der Sender will mit der neuen Show mindestens genauso angriffslustig sein wie die Kandidaten auf dem Plakat. Möge der Kampf um die Zuschauer am Vorabend beginnen. Sat.1 dürfte sich dabei nicht weniger versprechen als RTL auf diesem Sendeplatz Konkurrenz zu „Alles was zählt“ und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ zu machen. Und der Produzent der Sendung ist kein Unbekannter. John de Mol hat bereits „Die Traumhochzeit“ und „Big Brother“ gemacht.

Die Kandidaten leben mit Hühnern und Kühen

Der Name der Show „Newtopia“ klingt wie ein Ort einer anderen Galaxie, geradezu wirklichkeitsfern. Dabei soll „Newtopia“ auf einem Stück Land in Königs Wusterhausen, einer Kleinstadt von Brandenburg entstehen. Es gibt 20.000 Quadratmeter, eine Scheune, ein paar Hühner, zwei Tiere, viel Wald. Und natürlich 15 Menschen.

Ihre Aufgabe ist es, in einem Jahr eine komplett neue Gesellschaft zu erschaffen. Mehr gibt Sat.1 nicht vor. Regeln gibt es keine. Führungspersonen und Hierarchien müssen die Frauen und Männer selbst festlegen. Die 15 müssen für ein Jahr nicht nur auf ihr Bett, sondern natürlich auch auf Job, Familie und Freunde verzichten. Rund um die Uhr werden sie von Kameras überwacht. Ein Preisgeld gibt es nicht.

Was treibt die Kandidaten an?

Warum tut man sich trotzdem ein Leben mit fremden Menschen in einer schlechten Behausung an? Schon zu Beginn der ersten Folge will Sat.1 dieses Rätsel lösen und lässt ein Kandidat nach dem anderen mit seinen Zielen zu Wort kommen: „Ich träume von einer besseren Welt“, „Ich will eine Gesellschaft, in der jede Stimme erhört wird“, „Ich will mehr Gleichberechtigung“, „Es ist eine zweite Chance“.

Es klingt, als seien die Kandidaten alle in irgendeiner Form von der Welt enttäuscht worden. Hätten sie sonst einen Grund, jetzt alles verändern zu wollen? Was wirklich hinter diesen Wünschen und Träumen der Kandidaten steckt, was sie antreibt, das bleibt in dieser ersten Folge verborgen. Es ist zu wünschen, dass die Lösung nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist.

Unstimmigkeiten schon in der Vorstellungsrunde

In der Scheune treffen die Kandidaten das erste Mal aufeinander. Aus jeder Generation ist jemand dabei. Und es gibt eine Schülerin, einen Studenten, einen Koch, eine Kassiererin, einen Schulleiter, einen Banker – es ist eine bunte Mischung. Man muss zugeben, dass die Kandidatenauswahl wie ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft daher kommt. Positiv überrascht, dass in der einen Stunde keine tragischen Lebensgeschichten der Kandidaten in epischer Länge ausgeschlachtet werden. Das ist äußerst angenehm.

Auch der Kommentator bleibt weitestgehend zurückhaltend, beschreibend sachlich statt die Situationen mit Worten zu dramatisieren.

In dieser Scheune sollen die Kandidaten leben. Sie befindet sich in Königs Wusterhausen.
In dieser Scheune sollen die Kandidaten leben. Sie befindet sich in Königs Wusterhausen. © Sat.1

Bevor die Bewohner sich endgültig in ihr neues Dorf zurückziehen, dürfen sie noch einmal nach Hause zurückkehren und ihre liebsten und wichtigsten Gegenstände holen. Eine Kiste darf jeder voll machen. Dafür bleiben 15 Minuten Zeit.

Der letzte Besuch zuhause wirkt erstaunlich authentisch und ehrlich. Mütter und Väter wirken überrascht und auch ein bisschen überfordert, als sie plötzlich Schlafsäcke und Werkzeuge auftreiben sollen. Auch als eine Frau ihrem Mann zum Abschied ein letztes „Ich liebe dich“ durch das Treppenhaus zuruft, wirkt das weder gekünstelt noch zugespitzt.

Muss ein Jogginganzug mit?

Einen Ausrutscher leistet sich Sat.1 allerdings, als Kandidat Lenny aus Essen sich von seiner Freundin verabschiedet. Dass diese jetzt auf ihn verzichten muss, kommentiert man mit: „Ein Jahr alleine in Essen. Das wäre für jeden hart.“ Und für Verliebte sei es das erst Recht. Keine glückliche Formulierung.

Bevor es zu diesen endgültigen Abschieden kommt, haben die Kandidaten 30 Minuten Zeit, um abzusprechen, was sie mitnehmen wollen. Die Kandidaten scheinen sich schnell einig zu sein, was man braucht und was nicht. Der einzige Quertreiber ist der Hamburger Hans, der sich mit seiner Äußerung schon in den ersten Minuten unbeliebt macht. Er brauche Sportschuhe und einen Jogginganzug. Schließlich halte er sich gerne fit. Ungläubige Gesichter in der Runde. „Meinst du das wirklich ernst?“, fragt man sich. Ja, er meint es ernst.

Konfliktpotenzial ist da

Der zweite Kandidat, der durchaus auffällt ist Candy. Bisher hatte der Mann keinen festen Wohnsitz. Als Erstes erzählt er, wie er sich das Sexualleben im Dorf vorstellt. „Vielleicht gibt’s ja eine Polygamie“, meint er trocken. Will er sich etwa eine Kommune à la Rainer Langhans aufbauen?

Langweilig wird es in Newtopia bestimmt nicht. Konfliktpotenzial ist da. Die Kandidaten sind so verschieden, dass es zwangsläufig Reibungen geben wird.Aber hoffentlich sind sie nicht zu verschieden. Fraglich ist nämlich, ob man eine gemeinsame Vorstellung von einer neuen idealen Welt finden wird. Oder ob man mehr Zeit damit verbringt sich gegenseitig zu nerven und zu diskutieren.

Sat.1 ist mutig

Sat.1 hat die Erwartungen hochgeschraubt, gibt sich mutig. Und vielleicht muss man das heute sein, um Fernsehen nachhaltig gestalten zu können. Mit 2,8 Millionen Zuschauern am ersten Tag dürfte der Sender zufrieden sein. Vielleicht schafft er eine eine kleine Fernsehrevolution. Vielleicht bleibt aber auch nur ein Plakat mit ein paar Menschen in Erinnerung, die den großen Angriff verpasst haben.