Washington. Früher waren die Russen die Bösen im US-Kino. In “The Interview“ ist Nordkoreas Staatschef der Unhold. Um den Streifen entbrannte eine Staatsaffäre.

Ein großer Wurf der Filmkunst ist die Komödie nicht gerade, ohne den ganzen politischen Wirbel wäre "The Interview" angesichts der scharfen Weihnachtskonkurrenz vermutlich eher untergegangen. Aber es kommt eben nicht gerade häufig vor, dass eine Hollywood-Klamotte gleich bei zwei Staatschefs - Barack Obama und Kim Jong Un - soviel Beachtung findet, noch bevor der Streifen überhaupt angelaufen ist.

Angesichts derartig aufgeheizter Erwartungen konnte die brave Komödie, die am Mittwoch überraschend zunächst auf dem Internetportal YouTube zu sehen war, nur enttäuschen. Deutsche Fans mussten allerdings zunächst verzichten: Fürs Erste ist der Film nur im US-Netz zu verfolgen.

Glänzt mit vielen Kraftausdrücken

Weihnachten ist traditionell die Hoch-Zeit familientauglicher Kino-Klamotten - da gilt die Faustregel, dass die Plots möglichst ausgetreten, die Stoffe keinesfalls sperrig sein dürfen. Und natürlich: kein Sex und keine Kraftausdrücke. Durch letzteres glänzt allerdings "The Interview". Dauerthema der 152-Minuten Streifens ist es etwa, ob der gottähnliche Herrscher überhaupt menschliche Verdauung hat. Die Frage wird auch sprachlich vielfältig und hemmungslos ausgekostet.

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"Es war nicht sonderlich lustig", meinte der britische "Guardian" zutreffend, "es sei denn, wenn Sie wirklich Witze über die Genitalien lieben". "25 Prozent Penis-Witze, 20 Prozent Anus-Witze, 20 Prozent Sexismus", ätzt das Blatt. Sehr viel mehr bleibt dann nicht mehr übrig.

Doch ansonsten hielten sich die Regisseure Evan Goldberg und Seth Rogen streng an die Weihnachtsregeln. "Sie betreten jetzt das gefährlichste Land der Welt", stimmt der Film gleich zu Beginn ein.

Interview mit Kim Jong Un als cooler Gag

Der Plot: Zwei überdrehte bis trottelige TV-Journalisten (streckenweise stark gespielt von Seth Rogen und James Franco) wollen als besonders coolen Gag ein Interview mit Kim Jong Un machen. Doch der Geheimdienst CIA schaltet sich ein, damit die beiden den Diktator ermorden - per Handschlag sollen sie dem Feind das Gift verabreichen. Selbst der nur halbwegs geübte Kinogänger ahnt, zu welcher Art Szenen das führen wird.

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Nichts wird ausgelassen: Da ist die streng kommunistische und uniformierte Polit-Kommissarin - die sich freilich als sexhungriges Weib entpuppt. Natürlich gibt sich der Diktator zunächst derart human und handzahm, dass sogar einer der TV-Typen den Mordkomplott torpedieren will. Und, natürlich, am Ende steht ein feuriges Finale: Panzer gegen Kampfhubschrauber, selbstverständlich kommt der Unhold in den Flammen um. 5,99 Dollar kostet der nicht allzugroße Spaß im Internet - mehr kann man für den Preis auch kaum verlangen.

Kann es wirklich sein, dass der Mann aus Pjöngjang das Spektakel ernst nimmt? Und seine Hacker-Unholde in Gang setzt? Hat Kim Jong Un wirklich gar keinen Humor? Es sei ein Rätsel, wie ein so harmloser Streifen eine so teuflische Reaktion hervorrufen könne, schreibt die "New York Times". Fest steht: Bessere PR als der Hacker-Angriff und die Terrordrohungen, die laut US-Lesart aus Nordkorea kamen, wäre kaum denkbar gewesen.

Der Film könnte den Mythos Kim zerlegen

Doch man kann den Film auch als echten Angriff auf das Regime in Pjöngjang lesen: Rich Klein, der US-Studios bei der Veröffentlichung neuer Filme berät, bezeichnet "The Interview" als "Tschernobyl des digitalen Zeitalters". So wie die Nuklearkatastrophe im Jahr 1986 die sowjetische Führung als unbeholfen und unmoralisch entblößte, könne der Film den Mythos Kim zerlegen und den Machthaber unterminieren, schrieb Klein in der "Washington Post". Sollte er von einem weltweiten Publikum gesehen werden, werde er zur wirklichen Herausforderung für die Rechtmäßigkeit des bestehenden Regimes.

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Auch wenn er das Land gegenüber der restlichen Welt abschottet - das dürfte Kim Jong-Un nicht gefallen haben: Das Internet in Nordkorea ist stundenlang komplett ausgefallen.
Von Gudrun Büscher

Kim Jong Un und Obama haben den Fall geradezu zur Staatsaffäre erhoben: Der Koreaner, weil er sich mutmaßlich beleidigt oder auf den Arm genommen fühlt. Und Obama, weil er durch den anfänglichen Rückzug von Sony Pictures die Meinungsfreiheit in den USA gefährdet sah.

Obama und Sony Pictures dürften nun zufrieden sein. Die Frage ist: Was macht jetzt Kim Jong Un, der böse Mann aus Nordkorea? (dpa)