Erfurt. . Was leisten Arbeitnehmer – und was nicht? Das Arbeitszeugnis soll darüber Aufschluss geben. Meist allerdings in einer Art Geheimsprache. Jetzt muss das Bundesarbeitsgericht entscheiden, welche verschlüsselte Formel für eine durchschnittliche Leistung steht.

Wer sein Arbeitszeugnis richtig deuten will, der muss vor allem eins: zwischen den Zeilen lesen. Denn nicht immer ist alles so gemeint, wie es klingt. Hinter wohlwollenden Formulierungen können sich negative Einschätzungen verbergen.

Auch für die Gesamtbewertung der Arbeitsleistung gibt es Standardfloskeln, die am Dienstag beim Bundesarbeitsgericht auf dem Prüfstand stehen. Aber worum geht's in dem Rechtsstreit überhaupt – und wie häufig haben die Richter mit Fragen wie diesen zu tun? Wir haben die wichtigsten Fragen zusammengestellt.

Worum geht es in dem Streitfall vor dem Bundesarbeitsgericht?

Eine frühere Empfangsmitarbeiterin in einer Berliner Zahnarztpraxis will vor Gericht eine bessere Gesamtbewertung ihrer Arbeitsleistung erreichen. Ihr wurde im Zeugnis attestiert, die Aufgaben "zu unserer vollen Zufriedenheit" erledigt zu haben. Das entspricht der Note 3 und nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einer durchschnittlichen Leistung. Die Klägerin beharrt aber auf der Formulierung "stets zu unserer vollen Zufriedenheit" und der damit verbundenen besseren Bewertung (Note 2).

Auch interessant

Wie haben die Vorinstanzen entschieden?

Sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das Landesarbeitsgericht gestanden der Klägerin eine gute Beurteilung ("stets zur vollen Zufriedenheit") zu. Die beiden Instanzen zweifelten an, dass die Leistungsbewertung "zur vollen Zufriedenheit" (Note 3) nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens noch einer durchschnittlichen Bewertung entspricht. Die meisten Arbeitszeugnisse würden inzwischen (sehr) gute Leistungsbewertungen enthalten. Daher könnte eine schlechtere Bewertung als Ausschlusskriterium bei der Personalauswahl betrachtet werden, argumentierten die Richter.

Welche Bedeutung hat der erwartete Richterspruch aus Erfurt?

Folgen die obersten Arbeitsrichter der Lesart der Vorinstanzen, hätte das erhebliche Auswirkungen in der Praxis. Denn damit würde der Maßstab für ein durchschnittliches Zeugnis von Note 3 auf Note 2 angehoben. Die Bewertung mit gut ("stets zur vollen Zufriedenheit") würde zum Richtwert. Arbeitgeber, die eine schlechtere Beurteilung ausstellen, müssten diese im Streitfall dann bereits ab Note 3 ("zur vollen Zufriedenheit") darlegen und beweisen. Das würde nach Expertenansicht die Aussagekraft von Zeugnissen weiter entwerten.

Wieso gibt es eigentlich eine Art Geheimsprache in Arbeitszeugnissen?

Obwohl Geheimcodes verboten sind, haben sich im Laufe der Zeit verschlüsselte Hinweise für die Personalleiter eingebürgert. Das gilt für gewisse Formulierungen ebenso wie für nicht getroffene Aussagen. Nach der gängigen Rechtsprechung müssen Arbeitszeugnisse sowohl wahrheitsgetreu, als auch wohlwollend formuliert sein, um das berufliche Fortkommen nicht zu erschweren. "Das Zeugnis muss so gut wie möglich sein, ohne dass es falsch ist", beschreibt der auf Arbeitszeugnisse spezialisierte Freiburger Fachanwalt, Günter Huber, das Dilemma bei allen Arbeitsbeurteilungen.

Auch interessant

Wer hat überhaupt Anspruch auf ein Arbeitszeugnis?

Jeder Arbeitnehmer kann bei Verlassen des Unternehmens eine schriftliche Beurteilung seiner Leistung verlangen. Der Anspruch ist gesetzlich geregelt. Dabei wird zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis unterschieden. In der Praxis ist das qualifizierte Zeugnis Standard, das neben Angaben zu Art und Dauer der Beschäftigung zugleich Arbeitsleistung und Verhalten bewertet.

Kommen Streitigkeiten über Arbeitszeugnisse oft vor Gericht?

Die meisten Zeugnis-Streitfälle werden außergerichtlich geklärt. Dennoch beschäftigen sie immer wieder auch die Gerichte. Zu Form und Inhalt dieses wichtigen Papiers in der Bewerbungsmappe gibt es zahlreiche - auch höchstrichterliche - Urteile. Zuletzt entschied das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2012, dass Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine Dankesformel haben. 2005 stellten die Bundesrichter klar, dass ein Zeugnis von einem Vorgesetzten unterschrieben sein muss. Und 1999 erklärten sie Knicke im Zeugnisbogen für rechtens. (dpa)