Essen. . Wer den Job wechselt, hat ein Anrecht auf ein Zeugnis. Und dieses, so wollen es die Arbeitsgerichte, muss wohlwollend und im Sinne des Arbeitnehmers geschrieben sein. Die Folge sind allerlei Formeln und nur vermeintlich positive Formulierungen. Wir geben Tipps, wie sich die Zeugnis-Codes entschlüsseln lassen.
Ein Arbeitszeugnis muss wahr sein und darf die weitere Karriere des scheidenden Kollegen nicht ungerechtfertigt erschweren. Und doch: Trotz der klaren rechtlichen Vorgaben durch das Bundesarbeitsgericht bietet ein Zeugnis weit mehr Interpretationsspielraum, als es auf den ersten Blick scheint. Klar im Vorteil ist, wer den Arbeitszeugnis-Code kennt.
Doch bevor man daran gehen kann, diesen Code zu knacken, den die Arbeitgeber – absichtlich oder unwissentlich – benutzen, muss man wissen, welche verschiedenen Arbeitszeugnisse es gibt. Denn neben dem einfachen Arbeitszeugnis, das keine weiteren Angaben als die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sowie die Art der durchgeführten Aufgaben enthält, existiert noch das qualifizierte.
Dieses ist ausführlicher und beinhaltet zusätzlich Arbeitgeber- sowie Arbeitnehmerdaten, eine Tätigkeitsbeschreibung, eine Leistungsbeurteilung, eine Verhaltens- sowie Gesamtbewertung. Lars Kohnen, Fachanwalt für Arbeitsrecht: „Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis. Er sollte ihn sofort nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend machen.“
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Doch selbst wer ein qualifiziertes Zeugnis mit einer guten Gesamtnote in Händen hält, kann sich nicht sicher sein, dass es wirklich so positiv gemeint ist. Denn im Arbeitszeugnis-Code steht „gut“ nicht automatisch für „gut“. So könnte ein gewiefter Zeugnisschreiber formulieren: „Er erzielte nicht unerhebliche Verkaufserfolge“. Was ganz ansprechend klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung womöglich als Umschreibung für das harte Urteil: „Er war kein guter Verkäufer.“ Die Technik, die dahintersteckt, ist die der doppelten Negierung.
Gut muss nicht gut bedeuten
„Dass man bald schon ein Codeknacker sein muss, um sein Zeugnis zu entschlüsseln, ist eine Folge des arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der Zeugnisse generell wohlwollend und im Sinne des Mitarbeiters geschrieben werden müssen“, erklärt Anwalt Kohnen, „die Arbeitgeber halten sich nur vordergründig an die Vorgabe, nichts Negatives zu schreiben. Zwischen den Zeilen tun sie es doch, und zwar durch bestimmte Techniken wie eben die doppelte Negierung.“
Diese ist jedoch nur eine von vielen Verschlüsselungstaktiken im Arbeitszeugnis-Code. Sehr beliebt ist auch die so genannte Leerstellentechnik, bei der wichtige Angaben weggelassen werden. Das Fehlen einer wichtigen Information könnte ein versteckter Hinweis auf Schwächen sein, die der Arbeitgeber bei seinem Angestellten sieht, besonders, wenn es sich um unerwähnt gebliebene Schlüsselqualifikationen für einen bestimmten Job handelt wie etwa die Kreativität bei einem Werbetexter oder die Sorgfalt bei einem Wirtschaftsprüfer.
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Die Umkehrung der richtigen Reihenfolge kann ebenfalls ein Zeichen für versteckte Kritik sein. Korrekterweise sollten Schlüsselaufgaben und -qualifikationen an erster Stelle stehen, weniger Wichtiges wird hinten erwähnt. Auch bei der Verhaltensbewertung kann die Umkehrung der korrekten Reihenfolge ein Wink mit dem Zaunpfahl sein. Schreibt der Arbeitgeber etwa, „der Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten war vorbildlich“, liegt der Verdacht nahe, dass zumindest das Verhalten gegenüber den Vorgesetzten alles andere als mustergültig war – denn die hätten in der Aufzählung an erster Stelle stehen müssen.
Formfehler als Entwertung
Kohnen warnt jedoch davor, hinter jeder Formulierung versteckte Kritik zu suchen. Es gelte, das Zeugnis in seiner Gesamtheit zu betrachten. „Die Aussage ,Er erledigte seine Arbeiten mit großer Genauigkeit und Sorgfalt‘, muss längst nicht heißen, dass der Mitarbeiter bemerkenswert langsam gewesen ist“, gibt Kohnen ein Beispiel, „eventuell hat der Feinmechaniker tatsächlich besonders sorgfältig und genau gearbeitet.“ Der Satz, jemand habe „sehr zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen“, sei wiederum eine inzwischen gängige Umschreibung für „oft zu tief ins Glas geschaut“.
Übrigens betrifft der Arbeitszeugnis-Code nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form: Flecken, Verbesserungen, eine uneinheitliche Schriftform, die schlechte Qualität und das falsche Format des Papierbogens sowie das Fehlen eines ordnungsgemäßen Briefkopfes oder des Firmenstempels – all diese Dinge entwerten das Arbeitszeugnis. Und auch wenn der Chef – statt selbst zu unterzeichnen – die Unterschrift an einen in der Hierarchie weiter unten angesiedelten Mitarbeiter delegiert, ist klar, dass er damit die Abwertung des Zeugnisses beabsichtigt.
Stellt ein Arbeitgeber kein oder nur ein sehr schlechtes Zeugnis aus, kann der Mitarbeiter von seinem Ex-Chef die Erstellung oder Korrektur des Zeugnisses verlangen und dies auch vor dem Arbeitsgericht einklagen. Allzu lange sollte er damit aber nicht warten, erklärt Anwalt Lars Kohnen, denn häufig enthielten Arbeits- und Tarifverträge Ausschlussfristen, nach denen die Ansprüche verfallen.
Selbst wenn es solche Fristen nicht gibt, urteilen manche Richter, dass es nach drei Monaten bereits zu spät ist. Also lieber gleich zum Chef gehen und um ein (besseres) Zeugnis bitten. Auf die guten Wünsche am Ende eines Zeugnisses hat laut Kohnen niemand einen Anspruch.