Washingtion/Los Angeles. . Der einstige Superstar starb an einem Narkosemittel, verabreicht von seinem Leibarzt Dr. Conrad Murray. Der muss sich nun vor Gericht verantworten – wegen fahrlässiger Tötung.
Wenn es stimmt, was Augenzeugen berichteten, dann hatte der Herz- und Kreislaufspezialist Dr. Conrad Murray am Morgen des 25. Juni 2009 kalten Angstschweiß auf der Stirn. Als der Mediziner an das Nachtlager seines prominentesten Patienten gerufen wurde, war Michael Jackson bereits so gut wie tot. Herzversagen.
Laut Autopsie starb der 50-jährige Superstar an einer Überdosis Propofol, ein Narkosemittel, das für gewöhnlich nur im Operationssaal zum Einsatz kommt. Dass es ihm ausgerechnet der Arzt seines Vertrauens verabreicht haben soll, ist für Millionen trauender Fans noch immer unfassbar. Gestern hat vor dem „Superior Court“ von Los Angeles die juristische Aufarbeitung des letzten „Thrillers“ von Michael Jackson begonnen.
Fünf Wochen hat der in delikaten Promi-Fällen erfahrene Richter Michael Pastor für den wie im Fall des einstigen Football-Stars O.J. Simpson live im US-Fernsehen zu sehenden Prozess angesetzt. Ende Oktober soll die aus 372 Kandidaten sorgfältig ausgesuchte zwölfköpfige Geschworenen-Jury im Namen des Volkes das Urteil sprechen. Wird Murray im Sinne der Anklage der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden, drohen dem 58-Jährigen vier Jahre Gefängnis. Und lebenslanges Berufsverbot.
Murrays Verteidigungslinie steht. Danach hat der Star darauf bestanden, täglich Propofol, seine „Milch“, wie er den Stoff nannte, zu erhalten, um in den Schlaf zu kommen. Michael Jackson, das war im Sommer vor zwei Jahren ein nach etlichen Skandalen und persönlichen Krisen fast schon abgeschriebener Superstar, der sich anschickte, es in London mit einem 50-Konzerte-Marathon seinen Kritikern zu zeigen. „This is it“, ein Film von den Vorbereitungen der Konzertreihe, der nach dem Tod in die Kinos kam, zeugt beeindruckend davon.
Ein von Selbstzweifeln und Angst getriebener Hochleistung-Sportler
Dr. Murray lieferte wie gewünscht. Jedoch nie in Mengen, die tödlich waren. Sagen seine Topverteidiger Chernoff und Flanagan und lancieren das Bild eines von Selbstzweifeln und Angst getriebenen Hochleistungs-Künstlers, der ohne chemische Stimulanz mit seiner chronischen Schlaflosigkeit nicht mehr fertig wurde. Und am Ende wohl selbst zur „Milch“ griff.
Eine Position, die Bezirksstaatsanwalt David Walgren zertrümmern will. Er wirft Murray vor, im Umgang mit Jackson jede Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. “Dr. Murray ist schuld daran, dass Michaels Kinder keinen Vater mehr haben“, sagt er. Walgren stützt sich dabei auch auf ärztliche Gutachter, die Murrays Tun unmittelbar vor Jacksons Tod so beschreiben: “Das ist so, als ließe man einen Heroin-Abhängigen mit einer vollen Spritze allein.”
Allein, was Jacksons Leibwächter und Hausangestellte bei ihren offiziellen Vernehmungen zu Protokoll gaben, liefe auf den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung und Verschleierung hinaus.
Verschwundene Ampullen
Als Jackson bereits ohne Bewusstsein war, soll der Hausarzt das Personal angewiesen haben, diverse Ampullen verschwinden zu lassen. Dann telefonierte er eine Dreiviertel Stunde. Erst nach 82 Minuten und improvisierten Wiederbelebungsversuchen, auch mit Chemikalien, so steht es im Polizeiprotokoll, rief Murray den Notarzt. Dass Propofol im Spiel war, verschwieg er.
Für den geschäftstüchtigen Jackson-Clan, der Murray lieber gleich wegen Totschlags vor Gericht gesehen hätte, steht fest: “Er hat ihn umgebracht. Er hat nicht auf ihn aufgepasst”, so Michaels Mutter Katherine.
Kinder sollen aussagen
Im Prozess, in dem auch Jacksons Kinder Prince (14) und Paris (13) aussagen sollen, muss sich Murray weiteren belastenden Details stellen, die bereits ihren Weg in die Medine fanden.
Danach hatte der Arzt dem Künstler vor der tödlichen Dosis von 25 Milligramm Propofol über Stunden mehrmals andere starke Beruhigungsmittel von Valium über Ativan bis Versed verabreicht. Ohne ihn ständig im Blick zu behalten.
Dass der Doktor sich dem Drängen seines Patienten nach der chemischen Keule nicht widersetzte, liegt aus Sicht von Prozess-Insidern an einem besonderen Arbeitsverhältnis.
Sechs Mütter, sieben Kinder
Bevor Murray in Jacksons Dienste trat, war der Arzt dem wirtschaftlichen Ruin nahe. Er konnte seine Praxen in Las Vegas und Houston nicht mehr bezahlen. Zudem saßen ihm die sechs Mütter seiner sieben Kinder im Nacken. 150 000 Dollar Monatsgehalt aus Jacksons Kasse waren für den Arzt existenziell wichtig.
Hat Murray die Medikamentensucht des Stars womöglich schweigend hingenommen und genährt, weil er andernfalls mit seiner Entlassung und enormem Einnahmeverlust rechnete?
Der Angeklagte bestreitet vehement. Bis zuletzt sah man Conrad Murray regelmäßig in Jacksons Mausoleum auf dem Prominentenfriedhof Forest Lawn in Los Angeles. Mit Angstschweiß auf der Stirn.