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Je mehr sich Menschen eingezwängt fühlen von Regeln und Konventionen, desto mehr taugt der Pirat zum Wunschbild unerfüllter Sehnsüchte. Er ist an kein Gesetz gebunden, und weil er morgen schon tot sein kann, genießt der Seeräuber das Leben in vollen Zügen.
Freibeuter, Kaperfahrer, Abenteurer der Meere – Piraten waren immer schon etwas anderes als dahergelaufene Kriminelle auf schwankenden Planken mit einem Hang zu nachlässigen Kleidungs- und Körperpflege-Gewohnheiten. Piraten wurden, sobald sie auftauchten, schnell zu Projektionsflächen, so groß wie die Freiheit der Meere.
Das war schon bei dem legendären Klaus Störtebeker und seinen „Likedeelern“ („Gleichteilern“) im ausgehenden Mittelalter so. Der Volksmund dichtete ihm flugs die Rolle an, die an Land zur gleichen Zeit Robin Hood zugeschrieben wurde. Reines Wunschdenken. Und Spiegel einer Gesellschaft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich schneller wuchs als je zuvor, nicht zuletzt durch den florierenden Handel, der Hanse vor allem. Vom Charakter der reich gewordenen Pfeffersäcke rund um Ost- und Nordsee berichtet die Legende ja ebenfalls: Man habe Störtebeker in Hamburg zugesagt, alle Kumpanen zu begnadigen, an denen er nach seiner Enthauptung noch vorbeischreiten würde – was Störtebeker zwar gelang, aber seinen Kumpanen auch nicht mehr half.
Je mehr sich Menschen eingezwängt fühlen von Regeln, Konventionen, Alltagsmaschinerien, desto mehr taugt der Pirat zum Wunschbild unerfüllter Sehnsüchte: Er ist an kein Gesetz gebunden, er wird reich, ohne allzu viel dafür arbeiten zu müssen. Und weil er morgen schon tot sein kann, genießt der Seeräuber noch heute das Leben in vollen Zügen, Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Piraten vor den Küsten von Somalia
Die wirkliche, eher unromantische Piraterie blühte immer dann, wenn es einen neuen Import/Export-Boom gab, von der meeresumspannenden Hanse über die Ausplünderung Südamerikas bis zur jüngsten Globalisierung. Es waren stets Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, begleitet von Unsicherheiten aller Art. Piraten stoßen in Sicherheits-Lücken, die sich mit einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse auftun. Das geht hin bis zu den Seeräubern unserer Tage, die das Horn von Afrika unsicher machen, vor den Küsten von Somalia, wo jede Form von Staatlichkeit im Kampf zwischen marodierenden Bürgerkriegsparteien zerbröselt ist.
Und so, wie in Somalia hinter den Piraten ganze Netzwerke stehen, die sich darauf verstehen, Reedereien zu erpressen, handelten nicht wenige Piraten der Weltgeschichte im politischen oder wirtschaftlichen Auftrag: Kaper- und Freibeuterbriefe wurden ausgestellt, um konkurrierende Geschäftsleute oder Länder zu schädigen. Sir Francis Drake, der im Auftrag ihrer Majestät mordete und brandschatzte, ist ein typischer Pirat. Aber weil er zum Establishment seiner Zeit gehört, taugt er weniger zum Romantisieren.
In Romanen und Filmen aber spiegelt jede neue Piratenkonjunktur die Bedürfnisse, die Marktlücken der jeweiligen Zeit. Mit Douglas Fairbanks schwang sich in den „Goldenen Zwanzigern“ ein eleganter Don Juan der Meere, ein Sinnbild für Exotik und Erotik durch die Takelage. In der Zeit danach, als Errol Flynn und Burt Lancaster Weltmeere und Kinosäle zugleich unsicher machten, war es wohl schon der Wunsch, sich abzulenken von einer Welt, in der immer mehr Dinge fremdbestimmt waren. Auf ähnlichen Ursachen dürfte der Erfolg von Jack Sparrow und den zwinkernden Piraten der Karibik am Beginn des 21. Jahrhunderts beruhen.
Computer-Heldentaten
Bei der in Berlin nun so erfolgreichen Piratenpartei fließen Wunschbild und Wirklichkeit der Räuberei auf hoher See zusammen. Je mehr sie sich die grenzenlose Freiheit vor allem im Internet auf die Fahnen schreibt, desto mehr gerät in Vergessenheit, dass sie aus einem echten, kriminellen Piraten-Milieu entstanden ist: Das Raubkopieren von Software und digitalen Daten, das sich gern als Computer-Heldentat gegen weltumspannende Konzerne aufführt, betrügt in Wahrheit die Urheber, Erfinder, Kreateure um den Lohn ihrer Arbeit.
Der Frauenschwarm