An diesem Wochenende gedenken wir der Menschen, die am 11. September 2001 zu unschuldigen Opfern eines wahnsinnigen Terrorangriffs wurden. Für Kommentator Rüdiger Oppers sollten sie im Mittelpunkt des Gedenkens stehen, nicht die Terroristen.

An diesem Wochenende gedenken wir der Menschen, die am 11. September 2001 zu unschuldigen Opfern eines wahnsinnigen Terrorangriffs wurden. „Nine Eleven“ hat die Welt nachhaltig verändert. Bis zum heutigen Tag spüren wir die Nachbeben der Anschläge auf New York und Washington bis in unseren Alltag hinein: wenn wir mit dem Flugzeug verreisen, wenn wir der Datengier der Behörden ausgeliefert sind, wenn wir unseren muslimischen Nachbarn mit Argwohn begegnen.

Aktuell erinnern uns erneute, ernste Terrorwarnungen daran, dass vom gewaltbereiten Islamismus weiterhin eine tödliche Gefahr ausgeht. Auch zehn Jahre nach dem Angriff auf Amerika sind die politischen Folgen nach wie vor dramatisch. Westliche Politik, die vor 9/11 von komplexer, friedenserhaltender Diplomatie geprägt war, ist aggressiver geworden.

Aussichtsloser Kampf am Hindukusch

Im Irak kann der Friede nicht gewonnen werden, in Afghanistan nicht der Krieg. Am Hindukusch, wo angeblich auch unsere Freiheit auf dem Spiel steht, führen deutsche Soldaten einen aussichtslosen Kampf. Er dauert nun schon fast so lange wie der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen.

Die dritte Bundesregierung in Folge muss die bittere Wahrheit eines alten asiatischen Sprichworts anerkennen, das besagt: Wenn Gott ein Volk bestrafen will, lässt er es in Afghanistan einfallen. Zehn Jahre nach 9/11 haben die deutschen Soldaten einen Anspruch darauf, dass ihnen gesagt wird, wann es nach Hause geht. Am besten bald.

NRZ-Chefredakteur Rüdiger Oppers. (Foto: Lauter / WAZ FotoPool)
NRZ-Chefredakteur Rüdiger Oppers. (Foto: Lauter / WAZ FotoPool) © WAZ FotoPool

Terror ist asymmetrisch. Einige Mörder konnten eine Weltmacht herausfordern, deren Gegenreaktion war machtvoll und hilflos zugleich. Gewaltige Militäraktionen, wie in Afghanistan und im Irak, führen nicht zum Erfolg, sondern unweigerlich in den tödlichen Treibsand von Besatzungskriegen. Als sich herausstellte, dass der Angriff auf den Irak auf Lügen gebaut war, verspielte ein rücksichtsloser US-Präsident die weltweite Solidarität, die seinem Land nach dem 11. September entgegengebracht wurde.

Bürgerrechte unter Attacke

Der Antiterrorkampf beschwor in den USA selbst eine weitere Gefahr herauf: Nach 9/11 standen die Bürgerrechte unter Attacke. Der Angriff kam aus dem Inneren. George W. Bush und seine Zuschläger, Cheney und Rumsfeld, wollten Rache – nicht Gerechtigkeit. Angesichts des Schocks war eine hysterische Reaktion von Bürgern und Politikern verständlich.

Doch die Notstandsgesetze des „Patriot Act“, die Errichtung der fast allmächtigen Heimatschutzbehörde und die Tolerierung von Folter, waren tiefe Eingriffe in die demokratische Grundordnung dieses so freiheitsverliebten Volkes. Zehn Jahre danach ist der fahnensatte Hurra-Patriotismus einem gewaltigen Kriegs-Kater gewichen.

Barack Obama ist auch gewählt worden, um die USA vom Fluch des 11. September zu befreien, die Soldaten nach Hause zu holen, Menschenrechte zu fördern und nicht länger einzuschränken, die Folter zu bannen und Guantanamo zu schließen. Versprochen hat er es. Jetzt muss er Wort halten.


Bilder im kollektiven Unterbewusstsein

Dem Schrecken des 11. September zum Trotz hat sich die Mehrheit der Amerikaner ihre stolze Demokratie nicht zerbomben lassen.

Noch immer gilt das Versprechen der New Yorker Freiheitsstatue, die allen Menschen, unabhängig von Rasse und Religion, verheißt, ein Land zu betreten, das einem Jeden Freiheit und Gerechtigkeit garantiert. Der Westen, das gilt auch für Deutschland, hat diese Werte verteidigt, aber sie niemals in Frage gestellt.

Auch ohne die Endlosschleife der TV-Dokumentationen, die zum Jahrestag die Fernsehkanäle überladen, haben sich die Bilder der einstürzenden Doppeltürme des World Trade Centers schon lange im kollektiven Unterbewusstsein eingenistet.


Eine neue Form des Terrors

Am 11. September begann auch eine neue Form des Terrors, bei der die Macht der Bilder eine mindestens ebenso große Rolle spielte wie die Zahl der Toten. Osama bin Ladens Propagandabotschaft: Es reicht aus, vier Flugzeuge abstürzen zu lassen, um eine Weltmacht ins Wanken zu bringen. In zahllosen Videos inszenierte er sich als der kommende Scheich der muslimischen Revolution, der die Rechtgläubigen gegen die Kreuzritter ins Feld führte.

Doch bin Laden war nicht das wahre Gesicht des Islams. Das zeigt sich erst jetzt in Tunesien, Ägypten und Libyen. Auch in Arabien sehnen sich die Menschen wie überall auf der Welt nach Freiheit und Wohlstand und eben nicht nach einem engstirnigen Gottesstaat.

So ist die aktuelle Rebellion gegen Diktatoren und Hassprediger der wichtigste Sieg im Kampf gegen den Terror. Bin Laden ist für seine Taten zur Rechenschaft gezogen worden. Wenn es aber um Gerechtigkeit für Staaten und Völker geht, wird diese nicht mit Waffen herbeigeführt werden, sondern nur durch die Kraft der besseren Argumente und Ideen für ein friedliches Zusammenleben.

Johannes Rau hat Recht behalten

Der verstorbene Bundespräsident Johannes Rau hatte schon drei Tage nach dem Anschlag in einer großen, unzeitgemäßen Rede gemahnt: „Hass darf uns nicht zum Hass verführen. Hass blendet.“

Er hat Recht behalten.

Das Gedenken an diesem Wochenende rückt oft den Ablauf der Tat in den Mittelpunkt. Damit erweist man den Terroristen zu viel Aufmerksamkeit. Sie waren Mörder, nichts sonst.


Zehn Jahre nach dem 11. September bleiben mir ganz andere Menschen als bin Laden oder seine Schergen in Erinnerung: Es sind die Feuerwehrleute, die in die brennenden Doppeltürme stürmten. Hinauf, in das Feuer.