Gelsenkirchen/Düsseldorf. . Überfälle auf Streifenbeamte sind für die Polizeigewerkschaften ein gesellschaftliches Problem. In den Angriffen auf die Polizei als Ordnungsmacht entlade sich Unzufriedenheit und Ausgrenzung: „Der Freund und Helfer wird zum Opfer gezielter Gewalt.“

Die Polizeigewerkschaften sehen hinter der zunehmenden Gewalt gegen Streifenbeamte ein gesellschaftliches Problem. „Was sich da entfesselt, ist gegen den Staat gerichtet“, sagte am Dienstag Frank Richter, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW, gegenüber DerWesten.

Polizeibeamte seien für viele Menschen „die einzig sichtbaren Vertreter dieses Staates“. Sie bekämen die geballte Unzufriedenheit zu spüren, die in Teilen der Gesellschaft vorhanden sei.

In der Nacht zu Dienstag waren zwei Streifenbeamte in Gelsenkirchen offenbar in einen Hinterhalt gelockt und bei einem Messerangriff schwer verletzt worden.

Aktuellster Fall einer Reihe

Nach Einschätzung der GdP spricht aus dem Überfall „eine klare Tötungsabsicht“. Der Angriff beschäftigt nun die Recklinghauser Mordkommission. Bisher konnte der Täter wegen seiner Verletzungen nicht vernommen werden.

Es ist der aktuellste Fall in einer Reihe von brutalen Angriffen auf Polizisten. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) verurteilte die Attacke am Dienstag als „hinterhältige und verabscheuungswürdige Tat. Wir müssen darauf hinwirken, dass das Handeln der Polizisten wieder mehr respektiert und wertgeschätzt wird“, sagte er.

Wenn sich in der Gesellschaft nichts ändert, so die Polizeigewerkschaften, werde es nicht das letzte Mal sein, dass Jäger Familien von angegriffenen Polizisten Trost spenden muss. Erst im Juni waren zwei Polizisten in Oberhausen gefährlich attackiert worden. Im August vergangenen Jahres war ein Kriminalkommissar aus Mönchengladbach im Dienst so hart angegangen worden, dass er schwere Gesichts- und Schädelverletzungen davontrug. Im April 2010 hatte ein Jugendlicher einen Beamten am Weseler Bahnhof krankenhausreif geprügelt.

Alle 90 Minuten ein Angriff

Alle 90 Minuten gibt es laut GdP in NRW einen tätlichen Angriff auf Polizisten. Nach einer Untersuchung des Landeskriminalamtes wurden im vergangenen Jahr insgesamt 1.734 Polizistinnen und Polizisten im Dienst durch brutale Übergriffe verletzt. Knapp 85 Prozent von ihnen waren im Streifendienst tätig.

Ein härteres Strafmaß für solche Taten ist inzwischen zwar durchgesetzt. „Die Gerichte müssen es in besonders schweren Fällen aber auch ausreizen“, fordert Erich Rettinghaus, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in NRW. „Das hätte Signalwirkung und könnte vielleicht künftige Taten verhindern.“ Mittlerweile gehöre es beinahe zum Berufsbild eines Polizisten, dass er sich mit Gewalt gegen die eigene Person abfinden müsse, klagt sein Kollege Richter. „Gewaltakte dürfen nicht durch Gerichte bagatellisiert werden.“

Er wiederholte gegenüber DerWesten die GdP-Forderung nach einem eigenen Paragraphen im Strafgesetzbuch, der einen neu geschaffenen Straftatbestand „Angriff gegen Vollstreckungsbeamte“ ahnden würde. Der würde es erlauben, Überfälle auf Polizisten härter zu bestrafen. In besonders schweren Fällen, so die Forderung, müsse mindestens eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt werden.

Verrohung jugendlicher Täter aufhalten

Die gesellschaftlichen Ursachen für die zunehmende Brutalität – da sind sich die Polizeigewerkschaften einig – könne eine konsequentere Bestrafung der Täter jedoch nicht beheben. „Der Freund und Helfer wird bewusst zum Opfer gezielter Gewalt“, sagte Richter. Und: Wir brauchen eine Debatte darüber, warum in unserer Gesellschaft immer mehr solcher Gewalttaten passieren.“

Rettinghaus schlägt in dieselbe Kerbe: Unzufriedenheit, Ausweglosigkeit, Ausgrenzung, all das entlade sich in Angriffen auf die Polizei als staatliche Ordnungsmacht. „Wir müssen schon die Verrohung von jugendlichen Täter in den Griff bekommen.“ Polizisten beobachteten im Dienst demnach zunehmend, dass gar nicht mehr versucht werde, Probleme verbal zu lösen. „Da werden Beamte wegen Kleinigkeiten unmittelbar aufs Brutalste und teils mit Waffengewalt angegangen“, so der DPolG-Vorsitzende aus NRW.

Mehr Beamte zu Einsätzen ausrücken zu lassen, wie es früher teilweise nach brutalen Überfällen auf Beamte gefordert worden war, ist nach Ansicht von Rettinghaus kein adäquates Mittel, um die Gefahr von Hinterhalten zu minimieren. Im Alltagsgeschäft sei das außerdem schlicht nicht umsetzbar. „Wir können ja nicht zu jedem Verkehrsunfall oder Familienstreit vier bis sechs Beamte schicken.“

Aber: Die Kollegen seien zusätzlich sensibilisiert. Einsätze würden sie künftig noch umsichtiger angehen als ohnehin schon. „Diese Messerangriff in Gelsenkirchen ist jetzt in den Hinterköpfen aller Streifenpolizisten in Deutschland.“