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Sommerinterviews im gebührenfinanzierten Vorabendprogramm. Das sind Gespräche ganz nach Politikergeschmack. Diesmal im ARD-„Bericht aus Berlin“: Wie CSU-Chef Horst Seehofer den Spreewald-Tourismus, die Koalition und die EU-Finanzen retten würde.

Wenn doch die Welt so unkompliziert wäre, wie sie uns in Sommerinterviews mit Deutschlands Politprominenz aufgemalt wird. Da lassen sich in zwei, drei Sätzen mal eben die europäische Schuldenkrise erklären, koalitionsinterne Streitigkeiten beseitigen und christdemokratische Profilfragen lösen.

Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer war am Sonntagabend zu Gast bei Ulrich Deppendorf und Rainald Becker in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Und die beiden Hauptstadtjournalisten hatten sich augenscheinlich vorgenommen, im Schnelldurchlauf Seehofers versierte Einschätzung zu sämtlichen Themen zu erfragen, die momentan die deutsche Öffentlichkeit bewegen. Das ist gewissermaßen Konzept des Formats „Sommerinterview“ – und das macht es so erkenntnisfrei.

„Herr Seehofer, bitte erklären Sie uns in 18 Minuten die europäische Schuldenkrise, die deutsche Koalitionskrise und die Münchner Flughafenkrise! Und wo wir gerade dabei sind, vielleicht sprechen wir noch kurz über die Pkw-Maut, Steuersenkungen und die von Erwin Teufel angestoßene CDU-Profildebatte? Anschließend haben wir dann noch eine Frage zu einem NPD-Verbot nach dem Norwegen-Attentat. Und überhaupt: Macht Angela Merkel nicht einen ziemlich bescheidenen Job?“

Kein hartnäckiger Widerspruch, kein kritisches Nachfragen

Dass bei dem Pensum die Antworten des CSU-Vorsitzenden den Kern der Probleme – wenn überhaupt – gerade einmal streiften, ist klar. Dass das Seehofer von allen Beteiligten am wenigsten gestört haben dürfte, auch. Hartnäckigen Widerspruch, kritisches Nachfragen, Konfrontation mit gegensätzlichen Meinungen musste er nicht fürchten. Es ist vermutlich lange her, dass der streitbare CSU-Chef eine so gemütliche Interview-Viertelstunde verbracht hat. Mit beinahe stoischer Gelassenheit ließ er die Zuschauer an der Fülle seiner durch „30 Jahre Politik an der Spitze“ gewonnenen Weisheiten teilhaben. Ich und die Union, wir regeln das schon – so seine Devise. Neues oder gar Innovatives konnten die Journalisten damit nicht erfahren. In den Ticker der Nachrichtenagenturen schafften es deswegen auch nur Seehofers Bestehen auf einer Pkw-Maut und sein Seitenhieb auf den Kollegen Kauder, der das Thema nicht auf der politischen Agenda sehen will.

Die Statements in der Kurzversion:

- Seehofer zur EU-Schuldenkrise: Es braucht keine Ausweitung des Rettungsschirms, sondern glaubwürdigere Politik und wirksamere Instrumente, um die EU-Stabilitätskriterien durchzusetzen. Eine Transferunion ist mit der CSU nicht zu machen.

- Seehofer dazu, ob Erwin Teufel recht habe, der Union ginge ihr Markenkern verloren: Ja, das „C“ in CDU und CSU muss wieder eine größere Rolle spielen, Gerechtigkeit und Solidarität sollen in den Vordergrund rücken.

- Seehofer auf die Zuschauerfrage aus dem Spreewald, ob eine Pkw-Maut nicht Touristen aus der berühmen Gurkenregion fernhalten würde: Naja, nach Frankreich reisen trotz Maut immer noch viele Menschen.

- Seehofer zu Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen: Machbar und erstrebenswert.

- Seehofer zu zukünftigen schwarz-grünen Koalitionsoptionen: nicht mit mir.

- Seehofer zur dritten Startbahn am Münchner Flughafen: Ja, aber nicht mit Steuergeldern.

- Seehofer zum NPD-Verbot: Ja.

So unmittelbar wie es begonnen hatte, so plötzlich war es dann auch schon wieder vorbei, das „große“ Sommerinterview.

Nächste Woche ist Sigmar Gabriel dran. Auch er bekommt 18 Minuten. Und ein paar Probleme zur diskursiven Aufbereitung hat ihm der CSU-Kollege noch übrig gelassen: Steinbrücks Kanzlerpotenzial, die Hungersnot in Ostafrika, ausschweifende Facebook-Partys. Da gelingt es dem SPD-Chef doch bestimmt, mal eben ein paar griffige Statements zu formulieren.