Oslo. “Ich konnte ihn atmen hören“ - Überlebende des Massakers im Jugendcamp auf der norwegischen Insel Utøya können das Grauen kaum fassen.
Die Überlebenden des Jugendcamps auf der norwegischen Insel Utøya können das Grauen kaum in Worte fassen. Der Mann, der dort am Samstag mindestens 84 Menschen erschossen hat, hatte sich als Polizist verkleidet, um die Jugendlichen in Sicherheit zu wiegen. Er habe sie gebeten, näherzukommen und habe anschließend das Feuer eröffnet, berichteten die Überlebenden, die nach dem Massaker in das Dorf Sundvollen gebracht worden waren.
Viele der Überlebenden, die Mitglieder der Jugendgruppe der sozialdemokratischen Arbeiterpartei sind, wirken äußerlich ruhig, als sie in Sundvollen von ihren Eltern abgeholt werden. Doch die Erlebnisse, von denen sie erzählen, zeugen von Momenten des Grauens.
"Wir waren alle im Haupthaus, um die Ereignisse in Oslo zu besprechen", berichtete die 16 Jahre alte Hana. "Plötzlich hörten wir Schüsse. Wir dachten zuerst an einen Streich. Dann aber begann jeder wegzulaufen", sagte sie der Zeitung "Aftenposten". Sie habe einen Polizisten mit Ohrstöpseln gesehen. Der habe gesagt "Ich werde jeden kriegen" und habe begonnen zu schießen. "Wir rannten dann zum See und schwammen los."
"Ich sah, wie Leute erschossen wurden", sagte der Überlebende Jorgen Benone. "Ich versuchte so still zu kauern wie möglich. Ich hatte mich hinter ein paar Steinen versteckt. Ich sah ihn einmal, 20 bis 30 Meter von mir entfernt." Er fürchte, dieses Grauen werde ihn nie mehr loslassen, sagte Benone. Später habe er einige Boote gesehen, aber nicht gewusst, ob er den Insassen trauen könne. "Ich wusste nicht, wem ich überhaupt noch trauen konnte." Der Schütze habe zwei Mal auf seine Opfer geschossen, um sicherzugehen, dass sie tot seien, sagt einer der Überlebenden, Dana Berzingi, als er mit blutverschmierter Hose darauf wartet, nach Hause zu kommen. Einige der Opfer hätten auch vergeblich versucht, sich tot zu stellen, ihnen sei aber in den Kopf geschossen worden. "Ich habe viele Freunde verloren", sagt der 21-Jährige. Das Handy eines seiner toten Freunde habe er verwendet, um die Polizei zu alarmieren.
Hinter Felsen versteckt
"Ich habe viele tote Menschen gesehen", erzählt auch die 15-jährige Elise, die nur wenige Meter von dem Täter entfernt stand, als dieser das Feuer eröffnete. "Erst schoss er auf Leute auf der Insel, dann begann er auf die im Wasser zu schießen", sagt das Mädchen. Sie habe sich hinter einem Felsen versteckt, auf dem der Täter stand. "Ich konnte ihn atmen hören", beschreibt die 15-Jährige die schrecklichen Minuten auf der Insel. Sie habe ihre Eltern auf dem Handy angerufen und ihnen zugeflüstert, was gerade geschehe. "Sie haben mir gesagt, ich soll nicht in Panik geraten, alles würde gut werden." Sie hätten sie auch noch gewarnt, ihre helle, auffällige Jacke auszuziehen. Wie lange es gedauert habe, bis alles vorbei war, könne sie nicht sagen, erzählt Elise.
Eine weitere Jugendliche, Emilie Bersaas, floh in ein Gebäude, als sie die Schüsse hört. "Ich lag zwei Stunden unter einem Bett, bis die Polizei das Fenster einschlug, erzählt sie. "Es ist immer noch alles so unwirklich, besonders hier in Norwegen. Das ist etwas, das hier einfach nicht passieren kann."
Niclas Tokerud blieb während der Schießerei mit seiner Schwester per SMS in Kontakt. "Es hat Schüsse gegeben. Ich habe Angst! Aber ich verstecke mich und es geht mir gut. Ich liebe dich", habe ihr kleiner Bruder geschrieben, erzählt die 24-jährige Nadia Tokerud. Als er nach dem Massaker das Boot bestieg, das ihn von der Insel wegbrachte, schrieb er ihr noch einmal: "Ich bin in Sicherheit." (ap)