Essen. . Verbraucher können jetzt Lebensmittel melden, von deren Kennzeichnung sie sich getäuscht fühlen. Mit dem neuen Internetportal lebensmittelklarheit.de will Bundesverbraucherministerin Aigner mehr Transparenz schaffen. Die Lebensmittelindustrie kritisiert das Portal und spricht von einem Pranger. Nur die Biobranche steht dem Portal positiv gegenüber.
Keine Ziegenmilch im Ziegenkäse und kein Sylt in der Sylter Salatsoße. Verbraucher, die sich von Kennzeichnungen auf Lebensmitteln wissentlich getäuscht fühlen, können sich jetzt bei dem Online-Portal www.lebensmittelklarheit.de über diese Produkte beschweren. Aber das von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) und den deutschen Verbraucherzentralen ins Leben gerufene Projekt steht schon jetzt in der Kritik. Vertreter der Lebensmittelindustrie sprechen von einem Pranger.
Beim Start des neuen Lebensmittelportals um 11 Uhr am Mittwoch hatten die Verbraucherschützer bereits zehn Produkte vorgestellt, auf denen sich offenbar irreführende Angaben fanden. Eingereicht wurden diese Beschwerden von Verbrauchern. Dann, so verspricht das Portal, würden die Beschwerden geprüft. Der Hersteller wird um eine Stellungnahme gebeten, die auch veröffentlicht wird. Ob alle Beschwerden für die Verbraucher wirklich von Nutzen sind, bleibt dahingestellt. So fragt sich ein Nutzer, ob die Sylter Salatsauce wirklich auf Sylt hergestellt werde. Wird sie nicht. Problematisch ist das Dressing darum noch lange nicht.
Ernährungsindustrie: „Existenzen bedroht“
Bei den Vertretern der Lebensmittelindustrie stößt das Portal auf Empörung. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Matthias Horst, sagte gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung: „Das ist ein Pranger, um Ware zur Schau zu stellen, die rechtlich in Ordnung ist.“ Den Verband stört vor allem, dass eine „nicht legitimierte Instanz darüber befindet, ob ein Produkt quasi mit amtlichem Anstrich öffentlich abgewertet wird“. Dieses Vorgehen könne für einige Betriebe sogar existenzbedrohend sein.
Keine Angst vor der Lebensmittelbewertungen haben hingegen die Hersteller, die auf biologischen Anbau setzen. „Bio steht für Transparenz und wir befürworten, was Transparenz schafft“, sagt Dr. Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Wenn jemand nichts zu verbergen hat, braucht er auch nichts zu befürchten.“ Vom Etikettenschwindel betroffen ist die Biobranche selbst sehr oft. Es gebe allerdings, so Gerber, viele „Mogelpackungen, die mit „natürlich“ oder „nachhaltig“ werben obwohl das letztlich nicht stimmt.“
Aigner will seriösen Dialog
Verbraucherschützer hatten in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass Lebensmittel mit irreführenden Bildern, Slogans oder Informationen beworben würden. Die Ernährungsorganisation Foodwatch wählt daher jedes Jahr den „Goldenen Windbeutel“, das Produkt mit der dreistesten Werbelüge. Foodwatch sieht das neue Internetportal daher als einen Schritt in die richtige Richtung. Das Portal soll zudem auch auf falsche Inhaltsangaben aufmerksam machen. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner fördert das Projekt zwei Jahre lang mit insgesamt 775.000 Euro. „Ich will einen seriösen Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft anstoßen“, sagte die CSU-Politikerin.
Remmel: „Aigner knickt vor der Lebensmittelindustrie ein“
Auch NRW-Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne) lobte das Lebensmittelportal. „Transparenz ist das wirksamste Instrument für einen starken Verbraucherschutz.“ Andererseits warnt er auch davor, den Verbrauchern die alleinige Verantwortung für gesunde Lebensmittel zu übertragen. „Ministerin Aigner muss durch gesetzliche Regelungen endlich für einen besseren Schutz sorgen. Das ist sie bisher schuldig geblieben: bei der Nährwert-Ampel auf Lebensmitteln, bei der ‘Restaurant- Ampel’ und beim Verbraucherinformationsgesetz. Frau Aigner knickt vor den Industrie- Lobbys und ihren eigenen Regierungskollegen der FDP ein und schützt so die schwarzen Schafe“, sagte Remmel.
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) geht lebensmittelklarheit.de nicht weit genug: "Das Verbraucherportal hilft den Kundinnen und Kunden beim Einkaufen aber nicht weiter. Auch Inhaltsstoffe, die von Einzelnen aus gesundheitlichen Gründen gemieden werden müssen, können weiterhin nur mit der Lupe gefunden werden. Von daher nur ein Schrittchen in die richtige Richtung."
Goldener Windbeutel 2011