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Weil zwei Gäste der Talkrunde ein Totalausfall waren, verabschiedete sich die Sendung in die Sommerpause, ohne Licht ins Dunkle des umstrittenen Panzerdeals mit den Saudis zu bringen.
Die saudische Jugend geht auf die Straße. Zu Hunderttausenden schreien sie nach Demokratie und erheben sich gegen den König. Von den Plätzen in den großen Städten wollen die Männer und Frauen erst weichen, wenn es freie Wahlen gibt. Und deswegen rollen die Panzer. Sie werden die Straßen räumen, die Demokratiebewegung platt walzen. Monarch Abdullah Al Saud schickt die Kampfmaschinen vom Typ Leopard 2 A7+. Er hat sie aus Deutschland bekommen.
Es ist dieses Szenario, das die mutmaßliche Zustimmung des Bundessicherheitsrates zum Verkauf von rund 200 Leoparden an Saudi-Arabien so brisant macht. Was, wenn der absolutistische Staat die Panzer eines Tages gegen die eigene Bevölkerung richtet?
Diese Befürchtung hat wie in der Bundestagsdebatte am vergangenen Donnerstag auch die letzte Anne Will-Sendung vor der Sommerpause („Deutsche Panzer für Saudi-Arabien – Geschäft ohne Moral?“) dominiert. Sie zu zerstreuen gelang selbst den Gästen nicht, die eingeladen waren, die Vorteile eines möglichen Panzerexports zu erklären.
Saudis bleiben selbst für ausgewiesene Kenner schlicht unberechenbar
Das mag zwar auch daran liegen, dass die zahlungskräftigen Saudis selbst für ausgewiesene Kenner der Region schlicht unberechenbar bleiben. In jedem Fall lag es aber daran, dass mit Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, und Historiker Arnulf Baring zwei vermeintliche Fürsprecher des Rüstungs-Deals in der Talkrunde saßen, die den starken Argumenten der drei anderen Gäste so gut wie nichts entgegen zu setzen hatten. Vermeintlich deshalb, weil Uhl selbst im Verlauf der Sendung offensichtlich immer unsicherer wurde, was genau noch mal für die ganze Sache sprechen sollte.
Offiziell hat es ihm aber auch noch niemand erklären dürfen. Die Mitglieder des Bundessicherheitsrats, Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Guido Westerwelle und acht weitere Minister, berufen sich momentan auf ihre Geheimhaltungspflicht, um den höchst umstrittenen Deal öffentlich nicht rechtfertigen zu müssen.
Saudi-Arabien sei ein verlässlicher Partner im Nahostkonflikt, ein Land, das die krisengeschüttelte Region stabilisieren könne, ein Bollwerk gegen den aufstrebenden Iran. Die 200 Leoparden würden helfen, das Land als Verbündeten zu stärken. Die Lieferung sei deshalb Ausdruck der außenpolitischen Interessen Deutschlands, hatte Uhl zu Beginn angesetzt. Als ernstzunehmender Diskussionsteilnehmer disqualifizierte er sich aber spätestens, als er Saudi-Arabien und Iran kurzerhand zu Nachbarstaaten machte. Da half es nur noch wenig, von Gebietsaneignungen zu mutmaßen, die der Iran ja anstrebe und die langfristig zu einer gemeinsamen Grenze der beiden Golfanrainerstaaten führen würden.
Uhls einziges Argument - die Stabilisierungsthese - hatte jedenfalls nicht lange Bestand. Saudi-Arabien sei keinesfalls ein verlässlicher Partner, sondern ein Staat, der Folter und die Todesstrafe anwende, ein antiisraelisches Feindbild propagiere und Terrorregime unterstütze, sagte Barbara Lochbihler, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament. Schlichtweg „Wahnsinn“ sei es, einem absolutistischen Potentaten auch noch Panzer an die Hand zu geben.
Noch im März waren saudische Truppen in den benachbarten Inselstaat Bahrain einmarschiert, um die dortige Armee bei der Niederschlagung regierungskritischer Demonstrationen zu unterstützen. Generell, so zeigte es ein Einspielfilm, verbieten es die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Rüstungsexport, Kriegsgerät in Krisengebiete zu liefern. Außerdem müsse bei jedem Deal den Menschenrechten „ein besonderes Gewicht beigemessen“ werden. Zwei Bedingungen, die das Geschäft mit den Saudis offensichtlich nicht erfüllt.
Jürgen Todenhöfer: Panzer zu liefern ist „Irrsinn in Potenz“
Auch der libysche Despot Gaddafi habe Panzer eingesetzt, die aus Italien stammten, um gegen die aufständische Bevölkerung vorzugehen, sagte Jürgen Todenhöfer, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Autor, der bei einer Libyen-Reise nur knapp einem Raketenangriff entging. Kein Mensch könne garantieren, dass Saudi-Arabien die deutschen Panzer nicht genauso einsetzen würde. Sie zu liefern sei „Irrsinn in Potenz“.
Eine Krisenregion zu stabilisieren, indem man einen verbündeten Staat mit Waffen beliefere, das habe noch nie funktioniert, so Theo Sommer, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“. Den Irak aufzurüsten, um Iran zu schwächen – dieser Masterplan sei grandios gescheitert. Die künftige Atommacht Iran mit deutschen Panzern an Saudi-Arabien zu beeindrucken? Keine Chance. Im Gegenteil: Diese würden dem iranischen Regime nur als willkommener Grund dienen, um seinerseits kräftig aufzurüsten.
Uhl, in dessen Wahlkreis das Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann sitzt, das den Leopard herstellt, sagte daraufhin nicht mehr viel. Was für Historiker Arnulf Baring vielleicht auch die klügere Alternative gewesen wäre. Stattdessen pöbelte sich der Publizist durch die Sendung, beschimpfte Lochbihler, Sommer und Todenhöfer fortwährend als „simpel“, packte selbst aber nicht mehr aus, als den immer gleichen Ausruf: „moralische Aspekte reichen nicht aus, hier geht es um Realpolitik!“ Sommer konterte unbeeindruckt, Baring arbeite wohl mit der Devise „Stimme erheben, da Argument schlecht.“ Überhaupt ein Argument in den wirren Zwischenrufen zu erkennen, zeugte von Sommers großzügiger Gelassenheit.
Nach 57 Minuten fragte Anne Will, „was ist denn jetzt die Lösung?“ Spätestens da war klar: Vor der Sommerpause wird sie zumindest im ARD-Talkfernsehen nicht mehr gefunden. Für eine zufriedenstellende Antwort hätte es überzeugenderer Befürworter des Panzergeschäfts bedurft, die sich für den Abend ein paar clevere Argumente hätten überlegen müssen. Anspruch und Realität - nicht nur in der Außenpolitik, auch in Polittalks klafft beides manchmal auseinander.