Berlin. Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Interview über das neue Selbstverständnis der Truppe, den Abzug aus Afghanistan und die Ziele des Nato-Einsatzes in Libyen.

Kaum im Amt, trat für den Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) der Ernstfall ein. Mehrere Soldaten starben in Afghanistan. Erst gestern war er bei einer Trauerfeier in Detmold. Die Wucht der Emotionen, das Gespräch mit den Angehörigen, die Tränen der Frauen, die um ihre Männer und Söhne weinen: "Das geht mir schon zu Herzen", sagt de Maizière. Ein Gespräch darüber, wie es weitergeht - nicht nur am Hindukusch.

Herr Minister, Sie haben gesagt, man dürfe der Gewalt nicht weichen. Wo verläuft die Linie zwischen verantwortlicher Politik und Durchhalteparolen?

Thomas de Maizière: Terrorismus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: "Furcht auslösen". Wenn wir uns der Gewalt furchtsam beugen würden, hätten wir verloren. Eine Durchhalteparole wäre, einfach weiterzumachen. Unsere Strategie aber hat das Ziel, schrittweise die Sicherheit in afghanische Hände zu geben.

Aber die Anschläge nehmen zu und nicht ab.

de Maizière: Wir haben den Taliban seit dem Herbst einige herbe Niederlagen beigebracht. Sie stellen sich deswegen nicht mehr dem offenen Kampf. Sie verlegen sich auf das, was sie am besten können: Anschläge. Deswegen haben wir Verluste.

"Soldaten können Sicherheit nicht allein garantieren"

Welchen Sinn macht es da, mit den Taliban zu verhandeln?

de Maizière: Man kann das vertreten, aber man sollte darüber nicht zuviel öffentlich reden. Wir haben ein Programm, das einfachen Überläufern Hilfen anbietet und erfolgreich ist. Natürlich können Soldaten die Sicherheit nicht allein garantieren. Das muss politisch und wirtschaftlich flankiert werden.

Ist der Zeitplan für den Truppenabzug zu halten?

de Maizière: Wir wollen Ende 2011, Anfang 2012 starten. Wie es geht, wird sich zeigen. Den Anfang machen technische und logistische Kräfte, nicht Kampftruppen.

Wir haben die Uhr, die Taliban haben die Zeit. Für wen läuft die Uhr?

de Maizière: Das Bild trifft nicht. Nochmal: Wir gehen, sobald wir den Afghanen die Sicherheit übergeben können. Das geht Schritt für Schritt bis 2014. Wie ein eher politisches Engagement danach aussieht, wird zu klären sein.

Aber vielleicht lässt der Druck der Amerikaner nach, da Bin Laden nun tot ist.

de Maizière: Wir sind gemeinsam reingegangen, wir sollten auch gemeinsam wieder rausgehen. Die USA haben ihre Truppen um 30.000 erhöht. Wenn sie einen Teil davon wie zuvor angekündigt abziehen, bleiben immer noch viele.

Wie wichtig ist Ihnen Bündnistreue?

de Maizière: Sehr wichtig.

Und dann halten wir uns in Libyen raus?

de Maizière: Wir haben einen Einsatz in diesem Fall abgelehnt und entlasten nun aber unsere Partner dafür an anderer Stelle - in Afghanistan.

Was stört Sie am Einsatz in Libyen?

de Maizière: Man kann die Ablösung eines Diktators nicht mit Luftschlägen erzwingen...

War der Beschluss der Nato inkonsequent?

de Maizière: Insofern ja. Der Schutz der Bevölkerung vor den Repressalien des Regimes macht hingegen Sinn. Die Ziele der Resolution sind richtig.

Und trotzdem sind Sie für die Beteiligung an einer UN-mandatierten Friedenstruppe offen, warum?

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de Maizière: Die Bundesregierung hat immer klar gemacht, das Ziel der laufenden NATO-Operation zu unterstützen. Wir sind auch beispielsweise in den festen Stäben der NATO dabei, wir leisten unseren Finanzierungsanteil, aber wir beteiligen uns nicht mit Streitkräften. Wir hoffen, dass es in der Zeit nach Gaddafi in Libyen zu einer Lösung ohne militärische Präsenz kommt. Sollte jedoch ein neues UN-Mandat erteilt und ein militärischer Beitrag im Rahmen einer Friedensmission von uns erbeten werden, dann werden wir das prüfen und zwar konstruktiv.

"Die Zeit bei der Bundeswehr soll attraktiv sein"

Sie haben im Bundestag gesagt, vielen sei unklar, wie sich die Bundeswehr verändern werde. Was heißt das?

de Maizière: Früher im Kalten Krieg zielte man auf Abschreckung ab, also auf die Vermeidung von Einsätzen. Jetzt optimieren wir die Armee auf mögliche und verantwortbare Einsätze hin. Natürlich wird die Aussetzung der Wehrpflicht die Truppe verändern. Ich gehe davon aus, dass Deutschland international häufiger aufgefordert wird, sich militärisch zu engagieren.

Sie peilen 5000 Freiwillige an. Dabei haben sich schon mehr Leute gemeldet. Stapeln Sie zu tief?

de Maizière: Ich schaue nicht allein auf das nächste Jahr. Wir haben zahlenmäßig sinkende Jahrgänge. Darauf muss man gefasst sein. Wir wollen auch nicht jeden nehmen müssen, sondern weiter eine Auswahl haben.

Muss der Dienst lukrativer werden?

de Maizière: Ein junger Mann, der sich freiwillig meldet, erhält mehr Geld als jeder Lehrling und die meisten Studenten. Darüber hinaus müssen wir die Zeit in der Bundeswehr attraktiv gestalten. Ein Gammeldienst darf es nicht sein. Wir reden mit den Ländern darüber, dass alle Erleichterungen, die für Wehrpflichtige galten, auch für die Freiwilligen bleiben, etwa die Anrechnung der Dienstzeit als Wartesemester für einen Studienplatz.

Was tritt an die Stelle der Kreiswehrersatzämter?

de Maizière: Die legen wir zusammen mit den Zentren für Nachwuchsgewinnung, die bisher für die Berufs- und Zeitsoldaten da waren. Wir werden weniger Mitarbeiter als heute brauchen, sie werden sich auch umstellen müssen.

Inwiefern?

de Maizière: Heute haben sie einen Schreibtisch und einen Terminkalender. Künftig brauchen sie ein Auto und einen Laptop.

Die Bundeswehr kommt zu den Leuten, nicht umgekehrt.

de Maizière: Exakt. Das sollen die Mitarbeiter an der sogenannten Heimatfront auch nicht alleine machen. Die jungen Leute wollen vielleicht auch mit jemandem reden, der in Afghanistan war.

Verhandlungen über den Anzug der britischen Truppen aus NRW stehen aus

Aus NRW ziehen die britischen Truppen ab. Nehmen Sie darauf Rücksicht, wenn Sie Standorte schließen?

de Maizière: Wenn es geht, stellen wir uns darauf ein. Über Kasernen und Standorte wird im Herbst entschieden. Es gibt mehrere Kriterien, zunächst die fachlichen. NRW ist auch kein Einzelfall. Niedersachsen ist genauso betroffen. In Hessen und Bayern ziehen wiederum die Amerikaner ab. Ich habe mit beiden Staaten gesprochen und vereinbart, den Prozess zu koordinieren. Die Briten wollen in zwei Stufen, bis 2015 und bis 2020, abziehen. Die USA haben noch keinen konkreten Zeitplan vorgelegt.

Geben sich bei Ihnen die Ministerpräsidenten die Klinke in die Hand? War Hannelore Kraft schon da?

de Maizière: Es haben sich viele gemeldet. Frau Kraft gehört nicht dazu. Wir werden sicher noch miteinander reden. Aber es werden nicht diejenigen besser behandelt, die sich melden. Es geht um objektive Kriterien.

Sie predigen Synergien und leben das Gegenteil vor, zwei Standorte für ein Ministerium. Der Bonn-Berlin-Beschluss ist 20 Jahre alt. Fragen Sie sich nicht, ob die Doppelstruktur noch gerechtfertigt ist?

de Maizière: Die Frage stelle ich mir. Wenn wir handeln müssen, werden wir aber erst mit den Verantwortlichen vor Ort reden, mit dem Land NRW, mit der Stadt, den Abgeordneten aus der Region. Die Hardthöhe wird ein wichtiger Standort bleiben, in welcher Form auch immer.