Tokio. . Am 11. März wurde Japan von dem schwersten Erdbeben seiner Geschichte getroffen. In einem Brief bedankt sich Japans Premier Naoto Kan für die Unterstützung aus Deutschland und kündigt Lehren aus dem AKW-Unfall an. Auf Bitten des japanischen Generalkonsulats veröffentlichen wir das Schreiben.

Am 11. März um 14.46 Uhr wurde Japan von dem bislang schwersten in unserem Land gemessenen Erdbeben getroffen. Die Menschen in Japan unternehmen nun alles in ihren Kräften Stehende, um sich von dieser schweren Katastrophe zu erholen und den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen. Die Zahl der Toten und Vermissten infolge des Erdbebens und des Tsunamis liegt bei über 27 000, darunter auch ausländische Mitbürger.

Seit dem 11. März erfährt Japan durch die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und seiner Freunde in aller Welt außerordentliche Unterstützung. Im Namen des japanischen Volkes möchte ich den mehr als 130 Staaten, den 40 internationalen Organisationen, den zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie den Menschen weltweit für ihre umfangreiche Hilfe und für ihre Bekundungen der Solidarität meinen tiefsten Dank aussprechen.

Die Menschen in Japan empfinden angesichts der „Kizuna“, der Bande der Freundschaft, die ihnen von den Freunden aus aller Welt zuteil werden, große Dankbarkeit, und sie lassen uns nachdrücklich spüren, dass „ein Freund in der Not ein wahrer Freund ist“.

Schwierige Situation

Wir teilen die grundlegenden Werte wie Achtung der Menschenrechte und Demokratie miteinander. Als Staatsoberhaupt unseres guten Freundes Deutschland hat sich Bundespräsident Wulff unmittelbar nach dem Erdbeben persönlich in die japanische Botschaft in Berlin begeben und uns im Namen der Menschen in Deutschland die Nachricht übermittelt, dass Japan nicht alleine dastehe. Auch Bundeskanzlerin Merkel, die ebenfalls die Botschaft von Japan aufsuchte, übermittelte mir in einem persönlichen Telefongespräch den aufrichtigen Wunsch der Menschen in Deutschland, dass Japan diese schwierige Situation meistern möge. Mein Dank gilt auch Bundesaußenminister Westerwelle, der meinem Land einen Besuch abstattete, um seine Solidarität mit Japan zu bezeugen.

Darüber hinaus wurde uns von deutscher Seite unterschiedlichste Hilfe auf Regierungsebene zuteil, etwa die Entsendung einer Rettungsmannschaft des Technischen Hilfswerks. Zudem kommen Pumpen des Unternehmens Putzmeister (mit dem Spitznamen „Giraffe“) bei den Arbeiten zur Kühlung im Kernkraftwerk Fukushima zum Einsatz. Des Weiteren haben uns auch Nichtregierungsorganisationen und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger ihre Unterstützung zukommen lassen, etwa indem sie humanitäre Hilfe bereitstellten oder mittels Benefizveranstaltungen und Straßensammlungen Spendengelder erwarben. Für all diese Unterstützung möchte ich den Menschen in Deutschland von Herzen danken.

In gewohntem Gang

Das Leben im Großraum Tokio geht seinen gewohnten Gang, und auch mit Blick auf die gemessenen Werte der Radioaktivität, die infolge des Unfalls im Kernkraftwerk Fukushima aufgetreten ist, besteht keinerlei Grund zur Besorgnis.

Es ist zutiefst bedauerlich, dass es im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi einen Unfall gab, der auf der internationalen Messskala für Nuklearunfälle mit der höchsten Stufe bewertet wird. Ich nehme diese Situation sehr ernst. Es ist mein Bestreben, die Lage so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen.

Mit Blick auf den Kampf gegen die Gefahren, die dieser Nuklearunfall mit sich bringt, gilt: Gesundheit und Sicherheit der Menschen in der Region sowie der ganzen Bevölkerung Japans haben absolute Priorität. Wir werden sämtliche Ressourcen, die nur irgendwie eingesetzt werden können, mobilisieren. Beispielsweise werden wir uns mit allen Mitteln dafür einsetzen, das Ausströmen radioaktiver Substanzen ins Meer zu verhindern. Mit Blick auf Lebensmittel, bei denen eine radioaktive Belastung infolge des Nuklearunfalls festgestellt wurde, werden entsprechend den wissenschaftlichen Normen alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Rasche Untersuchung

Japan verfügt über hohe vorbeugende Sicherheitsnormen, so dass die Sicherheit der Nahrungsmittel und Produkte aus Japan, die auf den Markt gelangen, gewährleistet ist. Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass in Bezug auf den Nuklearunfall Informationen mit hoher Transparenz einschließlich aktueller Veränderungen zur Verfügung stehen, damit sich nicht nur die Menschen in Japan selbst, sondern auch im Ausland sicher fühlen können.

Der Nuklearunfall wird nun rasch und gründlich untersucht werden, um die so gewonnen Informationen und Lehren mit der ganzen Welt zu teilen. Auf diese Weise möchten wir einen aktiven Beitrag zur internationalen Diskussion über die Verbesserung der Sicherheit der Kernkraft leisten, damit ein solcher Unfall nicht mehr auftritt.

Außerdem möchten wir angesichts dessen, dass der weltweite Energiebedarf weiter zunimmt und dass die Notwendigkeit besteht, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, der Welt durch ein wiedergeborenes Japan eine Vision präsentieren, die als ein Modell zur Lösung der weltweiten Energieprobleme dienen kann und die auch das Vorantreiben einer Nutzung sauberer Energien beinhaltet.

Das jüngste Erdbeben und der anschließende Tsunami sind die schlimmste Naturkatastrophe, die Japan seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlitten hat.

Eine wichtige Chance

Der Wiederaufbau Ost-Japans, das durch diese Katastrophe schwer getroffen wurde, wird keineswegs einfach sein. Jedoch glaube ich, dass diese Katastrophe eine wichtige Chance für die Wiedergeburt Japans darstellt. Wir werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, von Ost-Japan aus der Welt die fortschrittlichsten gesellschaftlichen Systeme zu präsentieren, die sich auf folgende drei Pfeiler gründen: „Gestaltung einer Region, die gegen Naturkatastrophen gewappnet ist“, „Gestaltung von Systemen, die im Einklang mit der globalen Umwelt stehen“ sowie „Gestaltung einer Gesellschaft, die voller Mitgefühl für die Menschen, vor allem für die Schwachen ist“.

Wir Japaner sind aus den Trümmern des Krieges auferstanden, haben einen beeindruckenden Wiederaufbau unseres Landes gestaltet und so den heutigen Wohlstand erreicht. Wir werden ohne Zweifel auch die jetzige schwierige Situation meisten, auferstehen und eine Wiedergeburt vollziehen, um so ein neues Japan aufzubauen.

Herzliche Zuneigung

Ich bin davon überzeugt, dass wir wieder einen Beitrag für die Staatengemeinschaft leisten werden. Dies ist die höchste Form des Dankes, mit dem wir die „Kizuna“, die starken Bande der Freundschaft, und die „herzliche Zuneigung“, die uns die internationale Gemeinschaft zuteil werden ließen, erwidern können.

Wir werden uns weiterhin mit all unserer Kraft für einen „zukunftsgerichteten“ Wiederaufbau einsetzen, der unsere Träume für die Zukunft vorwegnimmt. Vielen Dank!