Essen. Vor 25 Jahren verübte der libysche Geheimdienst auf Geheiß von Diktator Muammar al Gaddafi den Anschlag auf die Diskothek LaBelle in Berlin. Die Blutspur des Staatsterrors reicht bis nach NRW
Muammar el Gaddafi hinterlässt viele Blutspuren. Über Jahrzehnte plante der libysche Staatschef Terror, ließ seine Gegner im Ausland kaltblütig umbringen und erpresste westliche Regierungen, wenn die den entsandten Killern mit Strafverfolgung drohten. Deutschland war ein gern genutztes Terrain für die Verbrechen. Wie zum Beispiel das Attentat auf die Diskothek LaBelle vor exakt 25 Jahren. Mehrere Spuren, nicht die unwichtigsten, führen nach Nordrhein-Westfalen. Wesentliche Umstände der Mordtaten sind bis heute offen und werfen kritische Fragen auch an deutsche Ermittlungsbehörden auf.
Ostersamstag 1985: Die Bonner kaufen an diesem 7. April letzte Kleinigkeiten vor dem Fest. Um 16.36 Uhr fällt im Getümmel auf dem Münsterplatz ein Schuss. Der Exil-Libyer Dschibril Dinali, ein Ex-Polizist des nordafrikanischen Landes, stürzt zu Boden. Um sicher zu gehen, zielt der Täter ein weiteres Mal direkt ins Genick seines Opfers. Das zweite Projektil aus der Walther P4 ist tödlich. Es ist ein Zufall, dass ein Polizist in der Nähe steht. Er nimmt den Schützen, den Libyer Fatahi al-Tahorni, fest. Der wird 1986 nach sieben Tagen Verhandlung wegen Mordes zu lebenslang verurteilt, um elf Jahre später nach Libyen abgeschoben zu werden
Der Mord auf dem Münsterplatz sieht nach einer regelrechten, staatlich sanktionierten Hinrichtung aus. Doch die Bonner Richter müssen Tarhonis Einlassung Glauben schenken, es handele sich um eine private Blutrache. Sie können den Staatsauftrag nicht beweisen.
Dabei haben Gaddafis Häscher bis zu diesem Zeitpunkt nicht nur einmal auf dem Boden der Bundesrepublik zugeschlagen. Schon am 10. Mai 1980 starb, wenige hundert Meter entfernt, in der Unterführung des Bonner Hauptbahnhofs der libysche Ex-Diplomat Mehdavi. Auch er: Erschossen von einem Landsmann.
Im gleichen Jahr gelingt es der Polizei, durch die Festnahme eines eingereisten libyschen Mordkommandos den Tod von Regimegegnern knapp zu verhindern. Doch die Schergen dürfen, einschließlich des inhaftierten Diplomatenmörders, wieder nach Hause, nachdem der Diktator in Tripolis vor Prozessbeginn sechs deutsche Geologen wegen „Spionage“ festgesetzt hat. Ein bekanntes Spiel, dass sich drei Jahre später ähnlich wiederholt. Als zwei Libyer unter dem Verdacht verhaftet werden, im Keller der libyschen Botschaft in Bonn gefoltert zu haben, verschwinden in Tripolis acht deutsche Ingenieure. Der damalige Außenamts-Staatssekretär Jürgen Möllemann vermittelt den Austausch.
Der Bonner Oberstaatsanwalt Robin Fassbender bestreitet, dass es auch im Fall des Dinali-Mörders Tarhoni einen Handel gegeben hat. Die Abschiebung im Mai 1996 sei auf Grund des Paragraphen 456a der Strafprozessordnung erfolgt, der verhindern soll, dass Verurteilte zum Beispiel ohne deutsche Sprachkenntnisse in der bundesdeutschen Strafanstalt „vereinsamen“, sagt Fassbender. Tarhoni drohe bei einer Rückkehr auf deutschen Boden übrigens auch heute noch die erneute Festnahme.
Aber Beigeschmack hinterlässt der Münsterplatz-Mord von 1985 doch. Er ist ein Lehrstück, wie ungut und eng die Verfolgung von Regimegegnern, Bluttaten, Geheimdienstaktionen und internationale Diplomatie verflochten sein können.
Nicht nur, dass Gaddafi schon fünf Jahre zuvor in einer Botschaft an Kanzler Helmut Schmidt die deutsche Regierung vor die Wahl stellte, „entweder mit Verrätern oder mit dem libyschen Volk zusammen zu arbeiten“, wie sich aus jetzt veröffentlichten Akten des Auswärtigen Amtes ergibt – eine klare Drohung. Bundesdeutsche Dienste müssen auch schon vorab klare Hinweise gehabt haben, dass der Regimekritiker Dschibril Dinali auf der Todesliste stand. Mehr noch: Sie kannten den Namen des späteren Mörders. Die Rekonstruktion der Vorgeschichte ergibt eine ungeheuerliche Abfolge von Pannen und Peinlichkeiten auf deutscher Seite.
September 1984. Libyen informiert Bonn, dass sich acht „Terroristen“ in der Bundesrepublik befinden. Namen liegen bei. Darunter „Dinali“, das spätere Opfer.
16. Januar 1985. Fatahi al Tahorni, der künftige Mörder, beantragt in Tripolis bei der deutschen Botschaft eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Der Sichtvermerk wird für einen Zeitraum bis Ende Februar erteilt.
Ende Januar 1985. Tahorni reist ein. Das Mordwerkzeug, die Walther-Pistole, steckt in seinem Reisegepäck. Sie bleibt offenbar unentdeckt. Dennoch informiert die Grenzschutzstelle Frankfurt-Flughafen Kontaktleute beim Bundeskriminalamt über die Einreise.
Februar 1985. Das Bundeskriminalamt bekommt einen weiteren Tipp. Gemeinsam mit einem Sahib Raschid würde ein „Tahurni“ (mit u) einreisen, um regimefeindliche Landsleute zu erledigen. Passiert jetzt eine Kommunikationspanne? Ungeachtet der bereits erfolgten Einreisemeldung aus Frankfurt schreibt das BKA eine Grenzfahndung aus, informiert die Polizeidienststellen und konkret den Bonner Polizeipräsidenten mit dem Hinweis, dies sei ernst zu nehmen. Die Warnung erreicht nicht die zuständigen Ausländerämter.
23. Februar 1985. An diesem Tag liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz Passbilder des späteren Mörders vor.
Ende Februar 1985. Tahorni geht in Bonn zum Ausländeramt und beantragt die Verlängerung des Sichtvermerks „aus medizinischen Gründen“. Er erhält sie.
Zu diesem Zeitpunkt hat Dinali, der als Asylant seit 1981 in Deutschland war und die Gefahr ahnt, längst um Schutz gebeten. Er hat deutschen Behörden gegenüber gesagt, er sei in der libyschen Botschaft, dem „Volksbüro“, gefoltert worden. Als ihm Personenschutz wegen Personalmangels verweigert wird, versucht er nach London zu fliehen. Die Briten verweigern die Einreise. Dinali kehrt nach Bonn zurück und trifft sich Ostersamstag mit seinem Mörder in einem Caféhaus. Es ist sein Todesurteil.
Genau ein Jahr nach dem Ostermord, am 5. April 1986, macht ein Anschlag im Berliner Vorort Friedenau weltweite Schlagzeilen. Hier, in der Hauptstraße 78, ist die Diskothek LaBelle, die gerne von amerikanischen Soldaten in der damals noch geteilten Stadt besucht wird. 500 Besucher tanzen dicht gedrängt, als kurz vor zwei Uhr in der Nacht eine Bombe detoniert. Nägel und Eisenstücke verletzen über 200 Menschen teils schwer. Zwei US-Soldaten und eine türkische Besucherin sterben. Die Amerikaner ermitteln schnell den Urheber des Anschlags: Gaddafi. Sie schicken Kampfflugzeuge in den Golf von Syrte und ahnden den Anschlag auf La Belle mit der Bombardierung seines Hauptquartiers.
Es waren, im deutsch-libyschen Verhältnis, also angespannte Zeiten Mitte der 80er Jahre mit vielen undurchsichtigen Vorgängen. Deutschland entwickelte sich zum Tummelplatz libyscher Agenten. Nicht immer reisten sie nur kurzfristig ein. Rund 50 von ihnen sollen sich ständig aufgehalten haben, darunter Gaddafis Geheimdienstchef Belkassem. Er war zur „medizinischen Behandlung“ für viele Monate in Wiesbaden, der Stadt, in der auch das BKA seinen Sitz hat. Ist es bei so vielen Ungereimtheiten ein Wunder, dass Spekulationen blühen können? Eine davon: Auch Gaddafis mutmaßlich schwerwiegendster Terroranschlag, die Sprengung des PanAm-Jumbos Ende 1988 über dem schottischen Lockerbie mit 259 Toten, weist eine deutsche Spur auf, auch wenn sie nie bewiesen werden konnte.
Zum einen kam ein Zubringerflug zu PanAm-Flug 103 ab London aus Frankfurt. Die Bombe könnte schon in Deutschland eingecheckt worden sein. Zum anderen hatte zwei Monate zuvor die Operation „Herbstlaub“ stattgefunden. Sondereinsatzkommandos verhafteten in mehreren deutschen Städten palästinensische Terroristen, so auch in Neuss. Dort entdeckten sie eine „Bombenwerkstatt“. Vier Sprengsätze wurden sichergestellt. Der angeblich existierende fünfte soll gefehlt haben – bis zum 21. Dezember. Hat er in 9400 Meter gezündet?
Ziemlich sicher ist nur die Täterschaft beim Lockerbie-Desaster. Das Gaddafi-Regime hat sie, wie auch im Fall der Diskothek LaBelle, zumindest indirekt eingeräumt und Opferangehörigen hohe Entschädigungen gezahlt. Der Westen hat im Gegenzug seinen Frieden mit dem Diktator gemacht, der zur Aufhebung aller Sanktionen führte, auch zu einem italienisch-libyschen Abkommen über die Behandlung von Flüchtlingen. Der Frieden hielt über 20 Jahre, bis Gaddafis eigenes Volk ihrem Despoten die Waffenruhe kündigte.