Grimme-Preis lässt das graue Marl schillern

Marl. Die Stadt Marl hat den roten Teppich herausgeholt. Zur Verleihung des Grimme-Preises putzt sich die Stadt heraus. Für sie ist es wie für die Preisträger ein Festtag. Grimme steigert den Marktwert, Grimme bedeutet Geld.

Einmal im Jahr ist Marl ein bisschen anders. Es öffnet sich der Glamour-Himmel über der grauen Stadt im nördlichen Ruhrgebiet. Es gibt einen roten Teppich, auch wenn er eher kurz ist. Es öffnen sich vor dem kleinen hässlichen Stadttheater die Türen schwerer Limousinen. Es entsteigen ihnen Menschen, die auch Marler nur aus dem Fernsehen kennen. Es ist der Tag der Grimme-Preis-Verleihung.

Es wird nicht leicht sein, bei einer Straßenumfrage in diesem Marl die richtige Antwort auf die Frage zu erhalten, wer Adolf Grimme war. Aber natürlich kennt jeder in dieser Stadt das kleine, auf demütige Weise unauffällige Institut ganz in der Nähe des großen, auf weniger demütige Weise klobigen Rathauses.

Eduard-Weitsch-Weg 25: Von hier aus steigt einmal jährlich weißer Rauch auf. Es haben dann, wie jedes Jahr, getagt und gestritten, kleingeredet und großgemacht, am Ende aber vor allem in demokratischer Manier abgestimmt: gut drei Dutzend Juroren über den Grimme-Preis. Es sind Volkshochschulabgesandte, Journalisten, Medienforscher - keine glamouröse Gestalten, eher unauffällige Arbeiter im Weinberg einer Fernsehlandschaft, die unendlich viel Ungenießbares, aber doch immer auch ein bisschen was Grandioses hervorbringt.

Keine schlimme Bussi-Gesellschaft

In diesem Jahr befanden sie unter anderem Münchens Tatortkommissare, einen Mafia-Mehrteiler aus Berlin, den Clown Kurt Krömer und Doris Dörries Wechseljahre-Satire für preiswürdig. Natürlich sind die Preisträger heute da - erst im oben genannten Rathaus (Empfang!), dann im oben genannten Theater (Preis!), dann wieder im Rathaus (Bier!).

Es ist eigentlich keine schlimme Bussi-Gesellschaft wie bei Bambi oder Goldener Kamera, die sich heute Abend in Marl trifft. Es ist ein kleines Fest mit äußerst geringem Ferres-Maschmeyer-Anteil. Ein Preis für Qualitätsfernsehen verpflichtet halt. Und schließlich ist die strenge Rita Süssmuth ja auch dabei. Das liegt daran, dass sie Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes ist. Und der erfand den Grimme-Preis. Frau Süssmuth, das hat schon Helmut Kohl wütend gemacht, lässt sich nicht gerne etwas sagen, auch hier nicht. Sind die Moderatoren der Grimme-Gala zu flapsig, straft sie sie so lächelnd wie eisig ab. Vereinfachen sie in aller unterhaltenden Pflicht einen Sachverhalt, bessert Süssmuth nach. Es gibt solche Konstanten in Marl.

Grimme steigert den Marktwert, Grimme bedeutet Geld

Seit es den Preis gibt, gibt es einmal im Jahr diesen einen Tag wie heute. Für Marl ist es ein Festtag. Für die Ausgezeichneten nicht weniger. Grimme steigert den Marktwert, Grimme bedeutet Geld. Ein Jungfilmer, der es hier geschafft hat, wird es bei der Mittelbeschaffung und dem Klinkenputzen öffentlich-rechtlicher Türen ungleich leichter haben.

Es finden sich heute am späten Nachmittag am Theater Marl (parken lässt sich recht gut am ebenfalls hässlichen Finanzamt) ein: Eine knappe Hundertschaft Schaulustiger, zwei Dutzend Fotografen und Kameramänner und natürlich Gäste, ausgezeichnete wie früher mal ausgezeichnete, Medienmenschen usw. Es gibt ewig schöne Frauen wie Senta Berger, die kurz winken und ein bisschen stolz sind, weil der Grimme eben doch anders ist als jenes Bambi, dessen Besitzer eben auch Marika Rökk, Johannes Heesters (2008), Johannes Heesters (2009) und Johannes Heesters (2010) heißen.

Die Laienjury hat oft einen guten Riecher

Die beiden hätten in Marl einfach keinen Preis bekommen. Ist es so einfach? So einfach ist es nicht. Denn um nicht allzu unvolkstümlich zu sein, gibt es bei Grimmes auch einen Preis der „Marler Gruppe“. Das ist eine Laienjury aus Marler Bürgern, die aus allen nominierten Filmen ihren Liebling wählt. Oft hat sie einen guten Riecher. Manchmal kürt sie einen Preisträger, der bei der Jury keine Chance hatte, aber diesen Publikumspreis kriegt. Es gibt Geehrte, die das nachher nicht mehr so genau auseinanderhalten.

Marl steht nicht Kopf an diesem Tag, obwohl es einem das vor Marl Theater angesiedelte Kunstwerk „Tortuga“ (eine umgedrehte Lokomotive von Wolf Vostell) doch nahelegt. Aber die Stadt scheint ein bisschen glücklicher als sonst, ein bisschen heller, ein bisschen weniger Marl. Ein (Gott-)Schalk, wer Schlimmes dabei denkt.