Tokio. . Im Kampf gegen die Katastrophe im havarierten Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi nimmt Japan zunehmend Hilfe aus dem Ausland an. Neben Experten aus Frankreich und den USA traf auch ein ferngesteuerter Roboter zur Untersuchung der am stärksten verstrahlten Bereiche des AKW ein. Im Grundwasser unter dem Reaktor wurde eine 10.000-fach erhöhte Strahlung gemessen.
Die Hiobsbotschaften aus dem japanischen Katastrophengebiet reißen nicht ab. In Rindfleisch aus der Region des havarierten Atomkraftwerks Fukushima fanden Wissenschaftler Spuren von hochradioaktivem Cäsium, wie der AKW-Betreiber Tokyo Electric Power (Tepco) mitteilte. Die Strahlenbelastung des Rindfleischs sei ungewöhnlich hoch gewesen. Während das krebserregende Jod 131 nach etwa 80 Tagen zerfällt, bleiben Cäsium-Verbindungen mehr als 200 Jahre gefährlich.
Stark erhöhten Mengen radioaktiven Jods 131 seien im Grundwasser rund 15 Meter unterhalb von einem der bei einem Erdbeben und anschließendem Tsunami schwer beschädigten Reaktoren gemessen worden, erklärte Tepco. Für die Versorgung mit Trinkwasser in der Region gehe nach Einschätzung des Unternehmens aber keine Gefahr aus. Auch in einem Tunnel außerhalb des Turbinengebäudes von Reaktor Zwei sei radioaktiv belastetes Wasser gefunden worden. Die Grenzwerte seien hier um mehr als das 10.000-fache überschritten worden. Die Funde dürften die Eindämmungsarbeiten weiter erschweren.
Strahlenexperten befürchten seit längerem, dass in den Reaktoren der havarierten Atomanlage eine Kernschmelze im Gang ist. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass sich die überhitzten Brennstäbe durch den Boden des Reaktorsicherheitsbehälters fressen. In diesem Fall würde im großen Maße Radioaktivität in die Umwelt gelangen.
Auch die radioaktive Belastung des Meers vor Fukushima stieg weiter an. Rund 330 Meter vor der Küste wurden Tepco zufolge stark erhöhte Mengen des radioaktiven Jods 131 gemessen, 4.385 mal höher als die gesetzlichen Maximalwerte. Die Atomsicherheitsbehörde NISA erklärte, eine Gefahr für die Gesundheit bestehe nicht. Radioaktives Jod hat eine Halbwertszeit von acht Tagen und löst sich in Wasser schnell auf.
AKW-Betreiber Tepco will zwei Reaktoren weiter betreiben
Japans Ministerpräsident Naoto Kan will das schwer beschädigte Atomkraftwerk Fukushima 1 vollständig stilllegen lassen. Kan sagte bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden der kommunistischen Partei Japans, Kazuo Shii, die gesamte Anlage werde stillgelegt, wie die Nachrichtenagentur Kyodo am Donnerstag meldete. Demnach versprach Kan auch, den geplanten Bau von mindestens 14 neuen Reaktoren bis 2030 zu überprüfen.
Der Vorsitzende der Betreiberfirma Tepco, Tsunehisa Katsumata, hatte am Mittwoch gesagt, dass die weitgehend zerstörten Reaktoren 1 bis 4 der Anlage in Fukushima 1 verschrottet würden. Er deutete jedoch an, dass die Reaktoren 5 und 6, deren Lage als stabil gilt, später weiter betrieben werden könnten.
Arbeiten im Problem-Reaktor
„Der Notfallplan funktionierte nicht.“
Laut einem Bericht der US-Zeitung „Wall Street Journal“ war Tepco nicht auf die Katastrophe vorbereitet. Der Notfallplan für Fukushima 1 sei völlig unzureichend gewesen, berichtete die Zeitung unter Berufung auf ihr vorliegende Dokumente. Er habe weder den Einsatz externer Feuerwehrleute, noch des Militärs vorgesehen. „Der Notfallplan funktionierte nicht. Er war auf so etwas Großes nicht eingestellt“, sagte ein früherer Tepco-Mitarbeiter der Zeitung.
Dem Konzern, der wegen seines Umgangs mit der Krise in der Kritik steht, drohen hohe Entschädigungszahlungen. In den vergangenen Tagen hatte die Regierung angedeutet, dass die Aktiengesellschaft verstaatlicht werden könnte.
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der am Donnerstag zu Gesprächen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan in Tokio eintraf, forderte die Festlegung internationaler Standards für die Sicherheit von Atomkraftwerken durch die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. "Es ist vollständig abnormal, dass keine internationalen Sicherheitsnormen existieren", sagte Sarkozy. Die von der internationalen Atomenergiebehörde IAEA festgelegten Standards sind nicht verbindlich. Außenminister Guido Westerwelle wird voraussichtlich am Samstag nach Japan reisen.
120 Mrd Dollar im Nothaushalt
Das Unglück in Japan kommt auch den Staat auch finanziell teuer zu stehen: Die Hilfen nach der verheerenden Naturkatastrophe und die Kosten für den Wiederaufbau könnten die japanische Regierung mehr als 120 Milliarden Dollar kosten. Über diese Summe werde wohl ein Nothaushalt ins Parlament eingebracht, sagte Vize-Finanzminister Mitsuru Sakurai am Donnerstag. Die Finanzierung des Sonderetats sei noch nicht geklärt.
Laut der Wirtschaftszeitung „Nikkei“ erwägt die Regierung die Einführung einer Sondersteuer und die Ausgabe spezieller Anleihen. Dabei gehe es auch darum, dass es der Japanischen Notenbank erlaubt werden solle, direkt Staatsanleihen zu zeichnen. Bisher ist dies nur unter bestimmten Umständen möglich. Bei der Steuer wird laut dem Bericht darüber nachgedacht, entweder die Umsatz- oder Unternehmenssteuer anzuheben oder die Einkommenssteuer nach oben zu schrauben. Entsprechende Gesetze sollten bis Ende April das Parlament passieren, berichtete die Zeitung weiter.
Neben den verheerenden Schäden durch das Beben und den Tsunami werden vor allem die von der Atom-Katastrophe im Akw Fukushima besonders betroffenen Gebiete Finanzhilfen benötigen. Analystenschätzungen zufolge könnte der Akw-Betreiber Tokyo Electric Power mit Schadensersatzforderungen in Höhe von mehr als 130 Milliarden Dollar konfrontiert werden.
Nicht unter Kontrolle
Am 11. März hatte ein Beben der Stärke 9,0 die Region erschüttert und einen Tsunami mit meterhohen, zerstörerischen Flutwellen ausgelöst. Knapp 28.000 Menschen starben oder werden vermisst. Die Zahl der bestätigten Todesopfer beläuft sich nach vorläufigen Angaben auf 11.417. Das Beben löste eine Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima 1 auf, das bisher nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte. (afp/dapd/rtr)