Tokio/Essen. .
Experten fordern dringend eine Ausweitung der Evakuierungszone um das havarierte Kernkraftwerk im japanischen Fukushima. Foodwatch kritisiert Veränderung der EU-Grenzwerte für Radioaktivität in Lebensmitteln.
Nach der UN-Atomenergiebehörde IAEA hat sich nun auch die japanische Nuklear-Aufsicht für weitere Evakuierungen um das Katastrophen-AKW Fukushima ausgesprochen. Die Regierung müsse eine Ausweitung der Evakuierungszone erwägen, erklärte die Behörde. Auch Greenpeace fordert nach eigenen Messungen rund um den havarierten Reaktor eine Ausweitung der Zone. Die Regierung lehnte das ab.
Die japanischen Regierung teilte mit, es sei nicht geplant, die Evakuierungszone um das Akw auszuweiten. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hatte sich beunruhigt über die in einem japanischen Dorf unweit von Fukushima gemessenen Strahlenwerte geäußert. Nach den ersten Messergebnissen sei einer der Werte, die eine Evakuierung rechtfertigten, im Ort Iitate 40 Kilometer nordwestlich des Akw überschritten worden.
Um das AKW Fukushima I gilt bislang eine Evakuierungszone von 20 Kilometern. Einwohnern in einem weiteren Umkreis von 30 Kilometern wird empfohlen, wegen der Strahlengefahr das Gebiet zu verlassen oder sich nicht im Freien aufzuhalten. Der IAEA zufolge wurden jedoch auch in einem Dorf 40 Kilometer von Fukushima entfernt hohe Strahlungswerte gemessen.
Die Radioaktivität in dem Meerwasser vor dem AKW nahm unterdessen weiter zu und erhöhte sich auf einen Rekordwert. Die japanische Atombehörde meldete, die Konzentration von radioaktiven Jod-Partikeln liege 4385-fach über dem Grenzwert. Die hohen Werte könnten bedeuten, dass ständig Radioaktivität aus dem Reaktor entweiche, erklärte die Behörde. Es sei jedoch unklar, wo sich das Leck befinde.
Radioaktivität festkleben
Um die Ausbreitung der Radioaktivität einzudämmen, will der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco den Boden rund um die schwer beschädigten Reaktoren mit Kunstharz besprühen. Die Methode soll zunächst in einem Teilbereich getestet werden. Die Idee dahinter sei, die radioaktiven Partikel am Erdboden „festzukleben“. Die Behörden überlegen den Angaben zufolge zudem, einige der Reaktoren mit Zelttuch zu überdecken. Auf diese Weise könnten sich Arbeiter möglicherweise jeweils für längere Zeiträume im Gefahrenbereich aufhalten.
Drei Arbeiter, die im havarierten Atomkraftwerk mit radioaktivem Wasser in Kontakt kamen, geht es offenbar gut. „Wir haben sie untersucht und keine Strahlung messen können“, sagte der Sprecher der Atomsicherheitsbehörde, Yoshiyuki Tada. In der vergangenen Woche waren zwei Arbeiter mit Verbrennungen in ein Krankenhaus gebracht worden, nachdem sie durch radioaktives Wasser gelaufen waren.
Arbeiten im Problem-Reaktor
Streit um höhere EU-Grenzwerte
Seit Samstag gelten in der EU höhere Grenzwerte für radioaktiv belastete Lebensmittel, wie jetzt bekannt wurde. Grund ist eine Eilverordnung, mit der die EU-Kommission als Reaktion auf Japan eine nukleare Notsituationen ausgerufen hat. In normalen Zeiten liegen die Maximalbelastungen der meisten Lebensmittel für Cäsium-134 und Cäsium-137 bei 600 Becquerel, seit Samstag sind es 1.250 Becquerel. Für Milcherzeugnisse sind nun statt 370 Becquerel 1.000 Becquerel erlaubt.
Ein Kommissionssprecher wies am Mittwoch in Brüssel den Vorwurf zurück, geltende Grenzwerte für die Belastung von Produkten aus Japan seien angehoben worden. Die Organisation Foodwatch spricht hingegen von einem „Formulierungstrick“, es seien sehr wohl andere Grenzwerte als vor den Atomstörfällen in Japan in Kraft.
Foodwatch: EU-Kommission trickst
„Wir haben überhaupt nichts angehoben“, sagte ein Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Eine am Wochenende in Kraft getretene Durchführungsverordnung der Kommission verschärfe die Bestimmungen für Kontrollen von Lebensmitteln aus Japan, die nach dem ersten Reaktorunfall im Atomkraftwerk Fukushima am 11. März geerntet oder erzeugt worden seien. Die zulässigen Höchstwerte für radioaktive Belastung seien hingegen nicht geändert worden.
Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch sieht darin einen „Formulierungstrick“. Zwar seien auf dem Papier keine Werte angehoben worden, sagte Foodwatch-Sprecher Martin Rücker. Durch die Verordnung seien aber nun andere Werte für die Höchstbelastung mit Radioaktivität für Produkte aus Japan gültig als vor den dortigen Störfällen. Sie ersetzen Foodwatch zufolge im Moment die zuvor gültigen niedrigeren Werte. Demnach wurden die zulässigen Höchstwerte von Cäsium 134 und Cäsium 137 in Säuglingsnahrung, Milchprodukten oder anderen Lebensmitteln aus Japan deutlich erhöht - für bestimmte Lebensmittel wie Gewürze oder Fischöle sogar um ein Zwanzigfaches.
EU dementiert
Die EU-Kommission entgegnete, die Maximalbelastungen seien schon 1987 als Reaktion auf die Tschernobyl-Katastrophe festgelegt und seitdem nicht mehr verändert worden. Allerdings gelten sie nur im atomaren Notfall, der am Samstag erstmals seit Tschernobyl ausgerufen wurde. Wird die Krise für beendet erklärt, dann gelten wieder die üblichen und damit schärferen Regeln. (rtr/afp/dapd)