Tokio. . Luftströmungen mit radioaktiven Partikeln aus Japan sollen am Mittwoch Mitteleuropa erreichen. In der Umgebung des japanischen Kernkraftwerks Fukushima 1 sind laut Berichten radioaktiv belasteter Brokkoli und belastete Rohmilch entdeckt worden.

Luftströmungen mit radioaktiven Partikeln aus Japan sollen am Mittwoch Mitteleuropa erreichen. Allerdings werde die Aktivität "sehr, sehr niedrig" sein, sagte der Leiter der Umweltbundesamt-Messstation Schauinsland bei Freiburg, Erich Wirth, dem Sender MDR INFO. Die Experten hätten in den vergangenen Tagen die Verbreitung der Radioaktivität erst in Kalifornien und dann in Island verfolgen können. "Und von da ist es nicht mehr weit bis Mitteleuropa."

Wirth sagte, man erwarte Werte im Bereich von Hunderttausendstel Bequerel pro Kubikmeter Luft. "Die Belastung steigt praktisch nicht." Die Radioaktivität sei nur mit sehr aufwändigen Methoden nachzuweisen. Bisher sind nach Wirths Angaben die Werte in Deutschland noch nicht angestiegen. Auch langfristig werde Wirth zufolge angesichts der immensen Entfernungen die Belastung sehr niedrig bleiben.

"Es entweicht immer noch Radioaktivität aus der Anlage"

Die Schutzhüllen der Unglücksreaktoren des japanischen Kernkraftwerks Fukushima 1 sind nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nicht schwer beschädigt. Es lägen ausreichend Informationen vor, um sagen zu können, dass es in den Sicherheitsbehältern der Reaktoren keine großen Löcher gebe, sagte der IAEA-Verantwortliche für Reaktorsicherheit, James Lyons, am Dienstag in Wien. Auch trete aus den Sicherheitsbehältern keine große Menge Radioaktivität aus.

"Es entweicht immer noch Radioaktivität aus der Anlage", sagte Lyons. "Die Frage ist, wo sie herkommt: Aus dem ersten Sicherheitsbehälter (um den jeweiligen Reaktor) oder aus den Becken, in denen die benutzen Brennstäbe zum Abkühlen zwischengelagert werden." Die Frage sei schwierig zu beantworten, weil ein direkter Zugang nicht möglich sei.

In Fukushima 1 waren nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe vom 11. März die Kühlsysteme ausgefallen, in der Folge kam es in mehreren Reaktoren immer wieder zu Explosionen und Bränden, Radioaktivität entwich. Einsatzkräfte versuchen mit Meerwasser, die Reaktoren zu kühlen. Zugleich wird versucht, die Reaktoren wieder mit Strom zu versorgen und die regulären Kühlsysteme in Gang zu bringen.

Der IAEA-Berater Graham Andrew sagte in Wien, die größte Sorge bereiteten derzeit die Abklingbecken für gebrauchte Brennstäbe, insbesondere die des Reaktors 4. Besorgniserregend sei auch der Zustand der Schutzhülle um Reaktor 1 - darüber gebe es seit geraumer Zeit keine verlässlichen Informationen.

Radioaktiv belasteter Brokkoli und belastete Rohmilch

Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo berichtete, in der Umgebung des Kernkraftwerks seien inzwischen auch radioaktiv belasteter Brokkoli und belastete Rohmilch entdeckt worden. Die Werte hätten die gesetzlichen Grenzwerte überschritten, hieß es ohne nähere Angaben.

Bereits in den vergangenen Tagen waren in Milch, Spinat und dem japanischen Blattgemüse Kakina erhöhte Strahlenwerte gemessen worden. Auch im Trinkwasser und im Meerwasser nahe der Atomanlage wurden teils stark erhöhte Werte gemessen.

Alle sechs Reaktoren des havarierten Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi sind laut Betreiber wieder mit Stromleitungen verbunden. Die Anbindung an die Stromversorgung ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg, die prekäre Situation in dem Kernkraftwerk wieder unter Kontrolle zu bekommen. Bevor der Strom jedoch wieder angestellt werde, müssten die Pumpen und andere Geräte in den Reaktoren überprüft werden, teilten die Tokioter Elektrizitätswerke (Tepco) am Dienstag mit.

Bis die Kühlsysteme wieder umfassend funktionsfähig sind, kann es nach Einschätzung von Experten noch Tage dauern. Für Reaktor 2 steht bereits fest, dass die alten Pumpen nicht mehr verwendbar sind. Neue Geräte wurden bestellt, wann sie eintreffen, stand jedoch noch nicht fest.

Ein Bild aus besseren Tagen: Tepco-Mitarbeiter im Leitstand von Fukushima-Reaktor 3 im September 2010. (Foto: ap)
Ein Bild aus besseren Tagen: Tepco-Mitarbeiter im Leitstand von Fukushima-Reaktor 3 im September 2010. (Foto: ap) © AP

Wegen der Rauchentwicklung am Montag mussten die Einsatzkräfte im AKW abgezogen werden. Am Dienstag nahmen sie ihre Arbeit wieder auf. Ziel ist es, die Stromversorgung für alle Reaktorblöcke wieder herzustellen und die beschädigten Pumpen wieder in Gang zu bringen, damit die überhitzten Reaktoren wieder gekühlt werden können.

Wasserstände in Reaktoren gesunken

Auch die Reaktoren selbst bereiten zunehmend sorgen. In zwei Blöcken seien die Brennstäbe weniger mit Wasser bedeckt als in den vergangenen Tagen, sagte ein Sprecher der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA.

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So hätten sie im Reaktor 3 bei der letzten Messung um 11.00 Uhr Ortszeit auf bis zu 2,35 Meter Länge freigelegen. Dies ist der höchste, seit Beginn der Krise bekannt gegebene Wert. Auch im Reaktor 1 sank der Wasserstand geringfügig ab, sodass die Brennstäbe dort mit 1,80 Meter etwa fünf Zentimeter weiter frei lagen als am Montag.

Alle sechs Reaktoren des AKW Fukushima 1 sind seit Dienstag wieder an die Stromversorgung angeschlossen. Als letzte wurde eine Leitung zu den Reaktoren 3 und 4 gelegt, wie die japanische Atomaufsicht mitteilte. Die übrigen vier Reaktoren waren bereits zuvor an die Stromversorgung angeschlossen, allerdings wurden bislang nur die Reaktoren 5 und 6 mit Strom versorgt. Zunächst müssten die Anlagen geprüft werden, bevor die Stromzufuhr freigegeben werden könne, sagte ein Sprecher der Behörde. Im Block 2 sind nach Angaben von Kraftwerksbetreiber Tepco die Pumpen kaputt. Es seien Ersatzpumpen mit höchster Dringlichkeitsstufe bestellt worden, hieß es. Wann sie eintreffen, war zunächst nicht bekannt.

Mehr als 9000 Leichen geborgen und identifiziert

In den von Erdbeben und Tsunami verwüsteten Gebieten des japanischen Nordostens sind bis Dienstag mehr als 9.000 Leichen geborgen und identifiziert worden. Das teilte die japanische Polizei mit. Es wird befürchtet, dass sich diese Zahl bis zum Abschluss der Bergungsarbeiten verdoppeln wird.

Den Angaben der Nationalen Polizeibehörde zufolge wurden seit der Katastrophe vom 11. März 9.079 Tote geborgen. 12.645 Menschen werden vermisst.

In der Stadt Natori wurde ein Bowling-Center in eine provisorische Trauerhalle umgewandelt, wo die Toten in engen Reihen aufgebahrt sind, um von Angehörigen identifiziert zu werden. „Doch viele Menschen werden niemals den Leichnam ihrer Angehörigen finden“, sagte Bürgermeister Isoo Sasaki. Nach dem Tsunami 2004 verschwanden rund 37.000 Menschen spurlos. Ihre Leichen wurden offensichtlich ins Meer gespült. (dapd)