Essen. . Die Versicherungsbranche befürchtet hohe Folgekosten durch das Erdbeben in Japan, etwa durch Produktionsausfälle in der Auto- und Computerindustrie. „Die Belastungen durch Betriebsunterbrechungen können bei solchen Ereignissen häufig höher ausfallen als die Schäden bei Anlagen oder Fabrikgebäuden“, sagte der Deutschlandchef der Allianz-Industrieversicherungssparte AGCS, Wolfgang Faden, im NRZ-Gespräch.
Das verheerende Erdbeben und der Tsunami in Japan erschüttern auch die internationale Versicherungsbranche. Risikospezialisten taxieren die Summe der versicherten Schäden bislang auf zwölf bis 35 Milliarden Dollar (24,6 Milliarden Euro). Am oberen Rand der Spanne wäre damit nur der Hurrikan „Katrina“ 2005 in den USA teurer gewesen, der die Versicherer gut 62 Milliarden Dollar gekostet hatte.
Für die Branche geht es nun auch um schnelles Handeln, um die Schäden einzugrenzen: „Sobald es möglich ist, werden wir unsere Ingenieure nach Japan schicken, um unsere Kunden vor Ort zu beraten und Schäden zu regulieren, damit sie so schnell wie möglich wieder den Betrieb aufnehmen können“, sagte der Chef der Allianz-Industrieversicherungssparte für Deutschland und Zentraleuropa, Wolfgang Faden, in einem Gespräch mit der NRZ. „Die Belastungen durch Betriebsunterbrechungen können bei solchen Ereignissen häufig höher ausfallen als die Schäden bei Anlagen oder Fabrikgebäuden.“
„Lage noch immer sehr unübersichtlich“
Wie hoch die Schadenzahlungen für die Versicherer in Japan ausfallen werden, könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber niemand verlässlich beziffern. „Die Situation ist ernst und die Lage noch immer sehr unübersichtlich“, sagte Faden. Der Deutschlandchef der Allianz Global Corporate & Specialty AG (AGCS) leitet das Geschäft mit großen Industriekunden in der Region Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien. AGCS schnürt im Wesentlichen Versicherungspakete für Industriekonzerne mit Jahresumsätzen ab 500 Millionen Euro.
Die Allianz-Tochter ist nach Fadens Worten auch einer der größten Transport- und Luftfahrtversicherer der Welt. AGCS schützt zum Beispiel Reedereien gegen die Risiken von Transportschäden, bietet Haftpflicht-, Kasko- und Unfallversicherungen für Fluggesellschaften an oder sichert die Großindustrie wie zum Beispiel Pharmaunternehmen gegen Produkthaftungsrisiken ab.
„Auch die AGCS ist von dem Erdbeben in Japan betroffen, denn wir betreuen unsere Kunden auch vor Ort in Japan. Das sind auch deutsche Unternehmen, die dort produzieren oder eine Vertriebsniederlassung haben“, sagte Faden. „Auch in der Transportversicherung für Waren und Güter aller Art sind Schadenmeldungen natürlich zu erwarten. Weiterhin haben Unternehmen aus Deutschland möglicherweise dann Entschädigungen zu beanspruchen, wenn beispielsweise aufgrund des Erdbebens oder des Tsunamis japanische Zulieferer wegen Beschädigung ihrer versicherten Produktionsanlagen keine Waren liefern können und dann hier die Produktion ruhen muss. Das sind dann sogenannte Rückwirkungsschäden.“
Probleme bei Zulieferern
Nach dem Erdbeben ist es etwa bei japanischen Zulieferern für die Auto- und die Elektronikindustrie zu teils massiven Produktionsausfällen gekommen. In der Folge fürchten etwa Handyhersteller oder Computerkonzerne Lieferprobleme. In Deutschland spüren zum Beispiel Autohersteller schon erste Auswirkungen. So geriet die Produktion bei Opel in Eisenach ins Stocken, weil ein Bauteil für den Corsa nicht geliefert werden konnte. Auch VW-Chef Martin Winterkorn schloss Probleme in der Zulieferung für die nächsten Wochen nicht aus.
Auch interessant
Für eine Einschätzung, wie groß die Belastung durch die Katastrophe für die AGCS ausfallen wird, sei es noch zu früh, sagte Faden. „Große Katastrophen wie die Ereignisse in Japan sind naturgemäß Teil des Versicherungsgedankens. In jüngster Zeit allerdings ist die gesamte Versicherungsbranche weltweit mit einer Häufung von Erdbeben, Fluten und Stürmen konfrontiert worden. Glücklicherweise waren die AGCS und unsere Kunden davon weniger hart betroffen. Ein großes Schadenereignis pro Jahr ist durchaus in unsere Zahlen eingerechnet. Unter dem Eindruck der Ereignisse in Australien, Neuseeland und nun Japan haben wir nun in vielerlei Hinsicht eine völlig neue Situation“, so der Versicherungsmanager weiter. Er betonte aber: „Dank ihrer Finanzstärke kann die AGCS auch solche außerordentlichen Belastungen verkraften.“
Die Unruhen und Umwälzungen in Nordafrika stellen den Allianz-Industrieversicherer vor eine andere Herausforderung: „Es ist eine sehr bewegliche Situation“, sagte Faden. „Man kann nie vorhersagen, wie sich politische Ereignisse entwickeln werden. Was zunächst wie einzelne Brandherde und friedliche Proteste aussah, hat sich mittlerweile mancherorts zu schweren Kämpfen entwickelt.“
Piraterie und Kidnapping
Internationale Konzerne können sich gegen die Folgen von Streiks, Plünderungen, Aufruhr und inneren Unruhen an Land und Kriegshandlungen auf See versichern. Schäden durch Kriegsereignisse an Land werden nach Fadens Darstellung nicht durch Versicherungen gedeckt. „Es gibt Regionen, in denen das Risiko politischer Unruhen größer ist als in anderen. Aber auch auf solche Entwicklungen muss man sich als Industrieversicherer einstellen können. Wir versuchen deshalb, unser eigenes Risiko in instabilen Ländern gering zu halten und beraten Kunden, die dorthin gehen wollen.“
Die Unruhen in Nordafrika hätten bei den Unternehmen das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Vorsorge geschärft. Angesichts immer neuer Schiffsentführungen vor der Küste Somalias spürt die Versicherungsbranche laut dem Allianz-Manager zudem eine wachsende Nachfrage von Reedereien nach Policen zur Deckung von Risiken durch Piraterie. Dies geht bis hin zu Lösegeldversicherungen, die auch die AGCS anbietet. Mit solchen „Kidnapping & Ransom-Policen“ bietet der Versicherer beispielsweise Schutz gegen die finanziellen Folgen einer Entführung von Mitarbeitern auf Dienstreisen.
Industrieversicherung ist ein wachsendes Geschäft
Die mittlerweile in mehr als 25 Ländern vertretene AGCS hat es mit großer Konkurrenz zu tun. Im weltweiten Geschäft sind die stärksten Wettbewerber Zurich, ACE oder die AIG-Tochter Chartis, in Deutschland zusätzlich HDI-Gerling. Dennoch ist die Industrieversicherung für die Allianz ein wachsendes Geschäft. Jüngste Eintritte in Märkte wie Dubai, Hongkong, Südafrika, aber auch Japan sorgten zusätzlich dafür, dass 2010 das Prämienvolumen erstmals über die Vier-Milliarden-Euro-Marke stieg. Der Markt in Deutschland und Zentraleuropa, den Faden verantwortet, trug dazu mit knapp 30 Prozent bei. Die AGCS, in der die Allianz vor vier Jahren ihr internationales Geschäft mit Industriekunden bündelte, hat weltweit rund 3000 Mitarbeiter, davon 800 in Deutschland.
„Wir sind eine der profitabelsten Gesellschaften innerhalb der Allianz-Gruppe“, sagte Faden. Für das vergangene Jahr wies die AGCS einen operativen Gewinn von 461 Millionen Euro aus. Unter anderem das Erdbeben in Chile, das AGCS allein 65 Millionen Euro kostete, sowie Hagelstürme und Überschwemmungen in Europa ließen den operativen Gewinn allerdings gegenüber dem Jahr 2009 um fast 130 Millionen Euro sinken.