Tokio. .

Die Zahl der Todesopfer der Naturkatastrophen in Japan steigt zusehends. Inzwischen seien mehr als 9000 Tote registriert, teilte am Dienstag die Polizei mit. Damit stieg die Zahl binnen eines Tages um fast tausend Opfer. Bisherigen Angaben zufolge drohen mehr als 20.000 Menschen Beben und Tsunami vor elf Tagen nicht überlebt zu haben. Mehr als 10.000 Japaner werden noch vermisst.

Die aktuelle Lage im Live-Ticker
Eine Frau betrauert ihre tote Mutter im Fischerdorf Onagawa. Foto: ap
Eine Frau betrauert ihre tote Mutter im Fischerdorf Onagawa. Foto: ap © AP

In ihrem verzweifelten Kampf gegen den Super-GAU im japanischen Atomkraftwerk Fukushima haben Behörden und Einsatzkräfte mehrere Rückschläge erlitten. Aus zwei Reaktoren stieg grauer Rauch auf, das Gelände musste teilweise evakuiert werden. Was die Ursache für die Rauchentwicklung war und woher der Rauch über den Reaktoren 2 und 3 kam, war zunächst unklar. Eine Explosion hatte sich offenbar nicht ereignet. Nach einer mehrstündigen Pause konnten die Arbeiten fortgesetzt werden. Der ausgetretene Dampf sei ungefährlich gewesen, teilte der AKW-Betreiber Tepco Tokio Electric am Dienstag mit. "Wir haben entschieden, dass es sicher ist, weiter zu arbeiten", teilte ein Sprecher mit.

Zwar sind jetzt wieder alle Reaktoren an das Stromnetz angeschlossen, doch sind die Pumpen in Block 2 des Werks so stark beschädigt, dass sie nicht mehr in Gang gebracht werden können. Zudem wurde teils massiv erhöhte Radioaktivität gemessen - im Meer vor dem havarierten Kernkraftwerk, aber auch im Trinkwasser. Nach Angaben des Betreibers Tokyo Electric (Tepco) vom Montag betrugen im Meerwasser vor dem AKW die Werte für radioaktives Jod das 127-Fache des Normalwerts. Für radioaktives Cäsium war der Wert 25 Mal so hoch wie sonst üblich.

Spuren von Radioaktivität wurden auch in mehreren Gemüsesorten und im Trinkwasser gemessen. Betroffen war unter anderem die Hauptstadt Tokio. Das Gesundheitsministerium riet zudem den etwa 6.000 Bewohnern des Dorfes Iitate wegen erhöhter Werte radioaktiven Jods im Wasser davon ab, Leitungswasser zu trinken. Iitate liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich des Atomkraftwerks Fukushima.

Ebenfalls am Montag stellte sich heraus, dass die Pumpen zur Kühlung des Reaktors 2 nicht mehr funktionsfähig sind. Tepco erklärte, man habe neue Pumpen angefordert. Wann diese eintreffen, war jedoch unklar. Behörden und Betreiber hatten gehofft, mit der Wiederherstellung der Stromversorgung die Kühlsysteme der überhitzten Reaktoren wieder in Gang zu bringen. Diese Hoffnung hat sich zumindest für Block 2 nun zerschlagen.

Stahlbetonhülle an Reaktoren 1 bis 3 angeblich intakt

Nach Aussage der US-Atomsicherheitsbehörde NRC sind allerdings die Stahlbetonhüllen der Reaktoren 1, 2 und 3 in Fukushima noch intakt. Der verantwortliche NRC-Direktor Bill Borchardt erklärte, zwar gebe es in den drei Anlagen Schäden an den Reaktorkernen, die sogenannten Containments seien aber nicht gebrochen. Die Situation stehe offenbar kurz vor der Stabilisierung.

Auch die Internationale Atombehörde (IAEA) sieht in Fukushima eine leichte Entspannung. "Wir beginnen, einige positive Entwicklungen zu sehen", sagte Behördenchef Yukiya Amano bei einer Krisensitzung der IAEA in Wien.

Atomaufsicht wirft Tepco Schlamperei vor

Dagegen erklärte der japanische Kabinettssekretär Yukio Edano: "Selbst wenn bestimmte Dinge glattgehen, wird es auch Rückschläge geben." Im Augenblick seien die Behörden nicht so optimistisch, dass es einen Durchbruch gebe. Auch der Gouverneur der Präfektur Fukushima, Yuhei Sato erklärte: "Unsere Krise geht noch weiter."

Derweil wirft die japanische Atomaufsicht dem AKW-Betreiber Tepco massive Schlamperei bei den vorgeschriebenen Inspektionen vor. Bereits am 2. März - neun Tage vor dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami - erschien ein Bericht, in dem die Behörde Verzögerungen im Zeitplan der Inspektionen sowie die nicht durchgeführte Untersuchung von 33 Teilen der Anlage anprangert. Unter den nicht überprüften Teilen hätten sich zentrale Elemente des Kühlsystems für die sechs Reaktoren und die Abklingbecken von Fukushima-Daiichi befunden.

Mehr als 18.000 Tote befürchtet

Zehn Tage nach dem Jahrhundert-Beben und dem davon ausgelösten Tsunami rechnen die Behörden mittlerweile mit mehr als 20.000 Todesopfern. Ein Sprecher der Polizei der Präfektur Miyagi sagte, allein in seinem Bereich rechne man mit mehr als 15.000 Toten. Sprecher anderer Regionen wollten keine Schätzung über die Zahl der Toten abgeben, bestätigten aber, dass bei ihnen bisher fast 3.400 Leichen geborgen worden seien.

Nach Angaben der Nationalen Polizeibehörde wurden bislang mehr als 9000 Leichen geborgen und identifiziert. Mehr als 10.000 Menschen gelten noch als vermisst.

Nissan produziert wieder

Der japanische Autobauer Nissan will anderthalb Wochen nach dem schweren Erdbeben die Produktion wieder hochfahren. In fünf Werken sollten am Montag die Bänder wieder anlaufen, wie der Konzern mitteilte. Dagegen will Honda die Arbeit noch bis Mittwoch ruhen lassen. Bei Toyota sollen bis mindestens Dienstag die Bänder stillstehen.

Für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete wird Japan nach Einschätzung der Weltbank fünf Jahre benötigen und bis zu 235 Milliarden Dollar (165 Milliarden Euro) aufbringen müssen.

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Das Beben am 11. März hatte eine Stärke von 9.0 und gilt als das stärkste jemals gemessene in Japan. 360.000 Menschen wurden obdachlos, eine Viertelmillion haben weiter keinen Strom, eine Million kein Trinkwasser.

Japans Ministerpräsident Naoto Kan will am Montag den vom Erdbeben und Tsunami verwüsteten Nordosten des Landes besuchen. Per Hubschrauber wollte sich Kan zunächst in die schwer getroffene Stadt Ishinomaki in der Präfektur Miyagi begeben. Anschließend will der Ministerpräsident in etwa 20 Kilometern Entfernung des havarierten Atomkraftwerks Fukushima 1 Einsatzkräfte treffen, die seit Tagen versuchen, eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Wegen anhaltend schlechten Wetters in der betroffenen Region wurde der Besuch des Ministerpräsidenten am Montagmorgen (Ortszeit) abgesagt. (rtr/afp/dapd)