Onagawa. .
Acht Tage, nachdem der verheerende Tsunami das kleine Fischerdorf weggespült hat, suchen Menschen in den Schuttbergen von Onagawa verzweifelt nach ihren Angehörigen – und finden höchstens deren Leichen.
Tayo Kitamura kniet neben der Leiche ihrer Mutter und streichelt immer und immer wieder die blaue Plastikplane, in die Retter die Tote gewickelt haben. Feuerwehrmänner hatten die 69-Jährige kurz zuvor aus den Ruinen ihres Hauses in Onagawa gezogen, eines kleinen Fischerdorfes, das der Tsunami in der vergangenen Woche komplett ausgelöscht hatte und in eine Landschaft aus Tod und Zerstörung verwandelt hatte.
Acht Tage später suchen verzweifelte Familien in den Schuttbergen immer noch nach ihren Angehörigen. So wie Tayo Kitamura. Sie war von Sendai, weiter südlich, nach Onagawa gekommen, um ihre Mutter zu suchen und hatte nur eine Ruine vorgefunden, wo einst ihr Haus war. Eine vorbeigehende Gruppe Feuerwehrleute durchsucht für Kitamura die Trümmer und birgt kurz darauf die Leiche. „Sie ist es“ sagt die Frau leise, als einer der Helfer sie bittet, die Leiche zu identifizieren.
„Wenigstens haben sie sie gefunden“, sagt ein Mann, der die Szene beobachtet hatte. „So haben sie wenigstens Gewissheit.“ Kitamura nickt stumm, umarmt ihre Mutter in der Plane wieder und beginnt zu weinen.
Verzweifelte Suche in Japan
Hoffen auf ein Wunder
Viele andere hoffen noch auf ein Wunder. In den Ruinen von Onagawa ruft ein Junge verzweifelt nach seiner Mutter - vergeblich. Mit anderen Mitgliedern der Familie schafft er Holzbalken und Eisenstangen beiseite, durchwühlt den Schutt, der einmal sein Haus war. Doch seine Mutter ist nicht da.
Sachiko Kikuta geht jeden Tag 20 Kilometer, um nach ihrer Schwester zu suchen. Daran, dass sie tot ist, will sie nicht denken. „Wir reden darüber, wie die Suche läuft, aber über das Schlimmste, das passieren kann, nämlich dass ich sie nicht finde, sprechen wir nicht.“
Die Helfer müssen die mühsame Bergung der Leichen abschließen, bevor begonnen werden kann, mit schwerem Gerät die Schuttberge zu beseitigen. Bisher hat die Polizei rund 7.300 Opfer bestätigt, 10.900 werden weiterhin vermisst. Allein von den 10.000 Menschen, die einst in Onagawa lebten, ist die Hälfte tot oder vermisst, sagen Einwohner.
„Ich glaube hier liegen viele Leichen“
Auch die 76-jährige Mizue Yamamura wandert durch die Geisterstadt Onagawa - auf der Suche nach ihrem Ehemann. Neben den Resten ihres Hauses liegt ein riesiges Boot, das Meer ist hier - zwei Kilometer von der Küste entfernt - nicht einmal zu sehen.
Mit einem Stock stößt Yamamura gegen ein Bündel Kleidung, das aussieht, als läge darunter eine vom Wasser aufgeblähte Leiche. „Ich glaube hier liegen viele Leichen“, sagt sie und blickt auf einen Berg von zersplitterten Brettern, wo einst eine Wohnsiedlung war. Die Helfer haben noch nicht einmal begonnen, hier zu suchen.
Als das Beben Japan erschüttert hatte, war Yamamura mit ihrem Mann Yoshio aus der Wohnung im dritten Stock vom Haus weg zu einem Hügel gerannt. Yoshio hatte nur Sandalen an und kehrte um, um sich Schuhe zu holen. Seine Frau sah ihn nie wieder. „Ein Moment“, sagt sie, „hat alles verändert.“ (dapd)