Tokio. .
Der verzweifelte Kampf gegen die Atomkatastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima-Daiichi hat einen Rückschlag erlitten. Im besonders problematischen Reaktorblock 3 steigt der Druck wieder an, offenbar muss erneut radioaktives Gas abgelassen werden.
Die aktuelle Lage im Live-Ticker
Der verzweifelte Kampf gegen die Atomkatastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima-Daiichi hat einen Rückschlag erlitten. Im besonders problematischen Reaktorblock 3 steigt der Druck wieder an, wie Hidehiko Nishiyama von der Atomaufsichtsbehörde NISA am Sonntag mitteilte. Möglicherweise hätten die Bemühungen, den Reaktor mit Wasser zu kühlen, nichts bewirkt. Zur Druckentlastung werde aus dem sogenannten Containment-Behälter etwas radioaktives Gas abgelassen werden müssen, so dass die Strahlungswerte um die Anlage wieder steigen würden, sagte Nishiyama. Dadurch könnten sich auch die Arbeiten zur Wiederherstellung der Stromversorgung verzögern.
Zuvor hatten japanische Regierungsvertreter wie auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) berichtet, die Lage scheine sich stabilisiert zu haben, sei aber immer noch unberechenbar. Die gefährlich überhitzten Reaktoren und Abklingbecken wurden nahezu ununterbrochen mit Meerwasser gekühlt. In einem 13-stündigen Einsatz pumpten Feuerwehrfahrzeuge mit Hochdruck tonnenweise Wasser direkt aus dem Meer auf Block 3. Am Sonntag begannen Rettungstrupps den Reaktorblock 4 mit Wasser zu beschießen und hofften, eine Notstromversorgung anschließen zu können.
Weiterhin wurde auch fieberhaft daran gearbeitet, die Anlage wieder ans Stromnetz anzuschließen, um die Kühlung zu sichern. Doch die Arbeiter müssen sich akribisch durch die teils zerstörte Elektrik der Anlage arbeiten, um das Stromkabel komplett anzuschließen. Ein einziger Funke könnte dabei zu einer Explosion führen. Auch wenn die Anlage wieder ans Stromnetz angeschlossen ist, ist nicht sicher, ob die Kühlung auch funktionieren wird. Die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco) hofft dennoch, das Kühlsystem am Sonntag wieder zum Laufen zu bringen.
Menschen, die aus der Region um die Anlage evakuiert worden waren, sind indessen ebenso wie einige Notfallhelfer positiv auf Strahlenbelastung getestet worden. Drei Feuerwehrmänner wurden mit Duschen dekontaminiert, von den 18 positiv getesteten Arbeitern der Anlage hatte einer ein Zehntel der Menge aufgenommen, die eine Strahlenvergiftung zur Folge haben könnte.
Wird der Verkauf von Lebensmitteln aus der Präfektur Fukushima gestoppt?
Japan zieht nach Angaben der internationalen Atom-Aufsichtsbehörde IAEA in Erwägung, den Verkauf von Lebensmitteln aus der Präfektur Fukushima zu stoppen. Radioaktives Jod in der Nahrung könnte kurzfristig die menschliche Gesundheit gefährden, hieß es. Im Trinkwasser der Millionenmetropole Tokio und weiterer Regionen sind Spuren radioaktiven Jods entdeckt worden, wie die japanische Regierung am Samstag bekannt gab. Geringe Mengen des verstrahlten Jods seien im Leitungswasser der Hauptstadt und fünf weiterer Präfekturen gemessen worden. Die Strahlendosis übersteige nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte, sie betrage ein Drittel des Erlaubten. Normalerweise würde jedoch kein Jod im Trinkwasser der betroffenen Regionen gefunden. "Das Wasser ist sicher", sagte der für Umweltschutz zuständige Beamter in der Präfektur Tochigi, wo die höchsten Werte im Wasser festgestellt werden.
Dennoch nährten die Messungen Befürchtungen, dass weiteres radioaktives Material aus den schwer beschädigten Kernkraftwerken von Fukushima in den Boden und ins Grundwasser gelangt sein könnte. Zuvor waren in Spinat und Milch aus der Nähe des Atomkomplexes Jod beziehungsweise das radioaktive Element Cäsium gefunden worden.
Reaktorkerne und Abklingbecken müssen gekühlt werden
Die Atomtechniker in der von Erdbeben, Tsunami und Explosionen verwüsteten Anlage stehen unvermindert zwei Herausforderungen gegenüber: sowohl die Reaktorkerne als auch die Abklingbecken zu kühlen, um eine Kernschmelze zu verhindern. Eine Dampfwolke über Reaktorblock 3 signalisierte, dass der Kampf gegen den Super-GAU noch immer nicht entschieden war.
Ein Sprecher des Kernkraftwerks-Betreibers Tokyo Electric Power Co. sagte, die für die Elektrizität notwendigen Generatoren seien durch den Tsunami nicht beschädigt worden, wohl aber elektrische Anlagen außerhalb der Reaktorgebäude. Fukushima sei gegen Tsunamis mit einer Höhe von fünf Metern gesichert gewesen. Die Flutwelle vom 11. März habe aber eine Höhe von sechs Metern gehabt.
Löschfahrzeuge werden alle drei Stunden aufgetankt
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Hochdruck-Wasserwerfer kühlten die Reaktoren und verbrauchten Brennelemente in den teilweise ausgelaufenen Abklingbecken. Sie wurden durch Pumpwagen mit Meerwasser gespeist, die etwa 300 Meter von der Anlage entfernt stehen. Wegen der radioaktiven Belastung nähern sich Mitarbeiter des Kernkraftswerks nur alle drei Stunden den Fahrzeugen, um sie aufzutanken.
Die japanische Regierung stufte am Freitag den Unfall von Stufe 4 auf Stufe 5 auf der siebenteiligen internationalen Skala hoch. Damit ist Fukushima offiziell ein schwerer Unfall wie im amerikanischen Kraftwerk Three Mile Island (Harrisburg) 1979, wo eine totale Kernschmelze gerade noch verhindert werden konnte.
Acht Tage nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan wurde am Samstag nach Militärangaben ein junger Mann lebend aus den Trümmern eines Hauses geborgen. Soldaten eines Suchtrupps fanden ihn nach Angaben eines Militärsprechers in Kesennuma, einer der am härtesten getroffenen Städte. Der Überlebende sei zu schwach gewesen, um zu sprechen, und in ein Krankenhaus gebracht worden. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo meldete, der Mann sei um die 20 Jahre alt.
In japanischen Medienberichten hieß es aber, der junge Mann sei nicht acht Tage, sondern nur einen Tag verschüttet gewesen. Er sei eine Woche nach der Katastrophe zu seinem Haus zurückgekehrt und bei dessen Einsturz verschüttet worden, hieß es.
Zahl der Toten auf rund 8100 gestiegen
Die Zahl der Toten stieg nach Angaben der Polizei bis Sonntag auf 8133. Damit wurde die Zahl der Toten bei dem Erdbeben in Kobe 1995 überschritten. 12.272 Menschen werden vermisst. Einige der Vermissten dürften während der Katastrophe nicht in der Region an der Nordostküste gewesen sein. Andererseits hat die ungeheure Kraft des Tsunamis wahrscheinlich viele Menschen mit aufs offene Meer gerissen. Den Erfahrungen vom Tsunami 2004 in Asien zufolge dürften die meisten dieser Leichen nie gefunden werden.
Das Forschungsministerium teilte mit, die Strahlung rund 30 Kilometer nordwestlich von Fukushima habe am Freitag zeitweise 0,15 Millisievert betragen - so viel wie ein Mensch bei beim Röntgen seines Brustkorbs abbekommt. Amerikanische Spezialflugzeuge führten Messungen über Fukushima durch; der stellvertretende US-Energieminister Daniel Poneman sagte, das Ergebnis stütze die US-Empfehlung, dass sich Menschen nicht im Umkreis von 80 Kilometern um das Atomkraftwerk aufhalten sollten. (dapd)