Lampedusa/Düsseldorf. . Happy End für eine Düsseldorfer Familie: Eine 40-jährige Mutter legte ihr Schicksal in die Hände einer Schlepperbande. Mit ihrer neunjährigen Tochter rettete sie sich vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann auf ein Flüchtlingsboot - und erreichte so Europa.
Sie musste raus aus Tunesien. Um jeden Preis. Die Düsseldorferin Tina Rothkamm legte ihr Schicksal in die Hände einer Schlepperbande – und flüchtete in einer dramatischen Nacht mit ihrer neunjährigen Tochter Amira vor ihrem gewalttätigen Ex-Ehemann aus Djerba. „Ich habe tausend Mal versucht, mit meiner Kleinen aus Tunesien wegzukommen. Ich bin überglücklich, dass wir es jetzt geschafft haben“, sagte die Düsseldorfer Lehrerin am Dienstagabend auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa vor Journalisten.
2007 lässt sich Rothkamm von ihrem Mann, einem tunesischen Arzt, scheiden. Er soll gewalttätig gewesen sein. Über mehrere Jahre habe er die Familie terrorisiert, berichtet Rothkamm. Die Mutter bekommt, so berichtet sie, das Sorgerecht zugesprochen - doch der Vater lässt Mutter und Kind nicht ziehen. Vier lange Jahre habe sie versucht, ihre Amira nach Deutschland zu holen, sagt die 40-Jährige. Ohne Erfolg. Im Gegenteil: Die Situation drohte in diesem Jahr zu eskalieren. „Mein Ex-Mann wollte mir Amira für immer wegnehmen“, sagt sie. „Ich bin nach Djerba, um meine Tochter zurückzuholen“.
Die Düsseldorferin packte ihre Sachen, nahm die Neunjährige an die Hand und marschierte Richtung Flughafen. Mit der nächstbesten Maschine sollte es endlich wieder zurück nach Deutschland gehen. Doch die Polizei nahm der Deutschen ihren Personalausweis ab und stoppte so ihre Ausreise. Die Düsseldorferin glaubt, dass ihr Mann, der in Tunesien ein einflussreicher Mann sei, Kontakt zu befreundeten Landsleuten und Beamten aufgenommen und sie angestachelt hat. „Er hat unsere Ausreise blockiert“, unterstreicht sie.
Revolte in Arabien behindert die Flucht
Die Lehrerin flüchtet daraufhin mit ihrer Tochter ins Hinterland. Das nächste Ziel: Irgendwie nach Libyen zu kommen, und dort die Botschaft aufzusuchen und in eine Maschine nach Deutschland zu steigen. Doch die Revolte gegen den libyschen Machthaber Muammar el Gaddafi machte der flüchtenden Familie einen Strich durch die Rechnung. Die Gewalt eskalierte, die deutsche Flüchtlings-Familie musste in Tunesien bleiben.
Dort ließ der Ex-Mann, so erzählt Rothkamm den Reportern, bereits nach der großen blonden Frau und ihrer Tochter suchen. In ihrer Not legte Tina Rothkamm ihr Schicksal in die Hand einer Schlepperbande.
Am Samstagabend trifft die Düsseldorferin am Strand von Djerba eine Gruppe Jung-Erwachsener. Sie gibt ihnen 2000 Euro in bar. Als Gegenleistung bekommt die Familie einen Platz in einem überfüllten, klapprigen Flüchtlingsboot. 110 Flüchtlinge brechen in der Nacht auf. Ihr Ziel: die 130 Kilometer entfernte italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, das Eingangstor nach Europa.
Wellen schlagen gegen das Boot, Stunde um Stunde vergeht
Im Dunkeln der Nacht legt das Schiff ab. Tina Rothkamm nimmt ihre Tochter auf den Schoß und drückt sie an sich. Sie haben nur eine Tasche bei sich – und die Hoffnung, unversehrt Europa zu erreichen. Das vereint die Deutsche mit den arabischen Flüchtlingen, die so anders aussehen, aber die gleiche Hoffnung haben: endlich in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben.
Wellen schlagen gegen das Boot, Stunde und Stunde vergeht. Erst einen Tag später, nach über 20 Stunden im Fischerboot, ist die Odyssee der Rothmanns beendet. Land ist in Sicht, das kleine Lampedusa liegt vor den Flüchtlingen.
Die italienischen Behörden nehmen die Gestrandeten auf und führen sie in ein Auffanglager. 850 Menschen finden dort Platz, mehrere tausend Flüchtlinge tummeln sich dort aber bereits. Sie warten in dem Lager auf ihre Weiterreise – um sich oftmals wenig später auf den Weg in ihre Heimatländer wiederzufinden.
Angehörige in Düsseldorf warten
Tina Rothkamm hat mehr Glück. Sie kontaktiert die Deutsche Botschaft – und verbringt die Nacht im Hotel. Sie ist entkräftet und unterkühlt, ihre Tochter hat leichtes Fieber. Ansonsten geht es den Flüchtlingen den Umständen entsprechend gut. Wann die Düsseldorferin nach Deutschland weiterreisen kann, ist noch unklar. Fest steht: In Europa ist die 40-Jährige in Sicherheit. Ihr Ex-Mann hat hier keine Macht über sie und ihre Tochter.
Dennoch hat es die Lehrerin eilig. Denn: In der Landeshauptstadt wartet ihre Familie. Ihr neuer Lebensgefährte und ihr gemeinsamer Sohn, der eineinhalb Jahre alt ist.