Brüssel/Madrid. . Mittelmeerstaaten wie Italien fürchten, dass durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Libyen zahlreiche Menschen versuchen, nach Europa zu kommen. Deutschland und England lehnen bisher eine Hilfestellung für die EU-Partner im Süden ab.

Italien er­wartet wegen der Unruhen in Libyen eine Flüchtlingswelle „biblischen Ausmaßes“. Bis zu 300 000 Migranten aus Libyen könnten nach Italien fliehen, sagte gestern Außenminister Franco Frattini.

Eine „Aufteilung“ der Flüchtlinge auf andere europäische Länder werden Italien, Malta oder Zypern aber kaum durchsetzen können. „Die Frage der Lastenteilung stellt sich im Moment nicht“, heißt es kühl aus Deutschland. Auch die Briten weisen das Ansinnen zurück.

Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat hat Italien im vergangenen Jahr vergleichsweise wenige Asylbewerber aufgenommen: 6560 aus verschiedenen Ländern. Zum Vergleich: Das völlig überlastete Griechenland beherbergte 47 600 Menschen, Deutschland verzeichnete 41 300 Asylbewerber.

Immer mehr Menschen versuchen, dem Blutvergießen in Libyen über die Grenze ins be­nachbarte Ägypten oder Tunesien zu entkommen. „Sie fliehen um ihr Leben“, be­schreibt ein Mitarbeiter der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung die Situation.

Um die 6000 Flüchtlinge sind nach Angaben des Roten Halbmonds in zwei Tagen nach Tunesien gekommen.

Libyens Seegrenzen werden nicht mehr bewacht. Auch ein Großteil der Küstenwacht und Marine hat dem zusammenbrechenden Gaddafi-Regime den Rücken gekehrt. Mindestens zwei libysche Kriegsschiffe haben sich ins Mittelmeer in internationale Gewässer abgesetzt, berichtet der arabische TV-Sender Al Dschasira. Die Besatzungen hätten sich ge­weigert, auf Gaddafis Befehl die libysche Küstenstadt Ben­ghasi zu beschießen.

Für Zigtausende illegale Im­migranten aus Schwarzafrika, die sich in Libyen aufhalten, öffnet sich damit der Fluchtweg übers Mittelmeer nach Südeuropa. Genauso wie für junge Libyer, die am liebsten sofort aus ihrem Land flüchten wollen. Gaddafi selbst hatte jüngst gedroht, die 1400 Kilometer lange Seegrenze zu öffnen, weil sich Europa mit der libyschen Opposition „verschworen“ habe.

Nicht nur der italienische Außenminister erwartet eine Situation, die für Europa kaum zu kontrollieren ist. „Wir sind sehr besorgt, dass es einen größeren Exodus aus Libyen geben könnte“, bestätigte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR in Genf. „Es ist möglich, dass die Menschen mit Booten nach Europa kommen. Viele flüchten, weil sie um ihr Leben fürchten, andere vor politischer Verfolgung. Der Weg über Nordafrika ist eine Hauptmigrationsroute für Menschen, die vor Kriegen und Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent flüchten.“ Im Jahr 2009 war die früher durchlässige Seegrenze Libyens nach harten Verhandlungen mit Gaddafi dicht gemacht worden. Europa versprach Gaddafi für einen besseren Küstenschutz 50 Millionen Eu­ro bis zum Jahr 2013.

Die EU-Grenzschutzagentur Fron­tex und italienische Beamte kollaborierten mit Gaddafis Polizeistaat und stoppten die Flüchtlingskarawane. Vor allem mit Abschreckung: Boote wurden auf dem Meer abgefangen, Libyens Ma­rine soll sogar einige versenkt haben, tausende Mi­granten verschwanden in libyschen Straflagern oder wurden buchstäblich in die Wüste ge­schickt.

4300 Libyer leben hier

Wie viele Flüchtlinge in Li­byen ausharren und auf eine Überfahrt Richtung Italien, Malta oder Griechenland warten, weiß niemand. Im Jahr 2008, als eine Armada libyscher Boote auf der italienischen Insel Lampedusa und andernorts ankam, wurde ge­schätzt, dass sich fast eine Million schwarzafrikanische Ar­mutsmigranten in Libyen aufhalten.

In der Bundesrepublik le­ben rund 4300 Männer und Frauen mit libyschem Pass, teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit. Bisher war auch die Zahl der Asylbewerber aus Libyen überschaubar. 2009 beantragten 14 Libyer politisches Asyl, im letzten Jahr waren es 18. Im Januar 2011 registrierte das Bundesamt drei Asylanträge.