Duisburg/Essen. . Das Duisburger Lehmbruck-Museum will jetzt ein Dutzend seiner Skulpturen aus dem Stadtgebiet entfernen - bevor es Diebe tun. Andere Kommunen in NRW würden dem Beispiel folgen, zeigt eine Umfrage von DerWesten. Die Kunst vor Ort ist kaum zu sichern.
Bei Google-Streetview kann man die „Pandora“ noch in ihrer vollen Schönheit sehen. Anmutig steht die Bronzeplastik auf einer Wiese im Stadtteil Homberg, etwas zurückgesetzt an der Kreuzung Duisburger/Moerser Straße. Doch das Bild ist Vergangenheit. Die wertvolle, fast 2,40 Meter hohe Frauenfigur aus dem Besitz des Lehmbruck-Museum ist vor kurzem gestohlen worden. Sehr wahrscheinlich von Metalldieben. Nicht der erste Kunstraub in Duisburg.
Das Lehmbruck-Museum zieht jetzt die Notbremse: Etwa ein Dutzend Skulpturen sollen aus den Stadtteilen entfernt werden, bevor es Diebe tun. Weil die Objekte aus Bronze sind und der Metallpreis auf dem Schrottmarkt derzeit Kapriolen schlägt. Andere Kommunen in NRW könnten dem Beispiel folgen. Mehrere Tausend Kunstobjekte sind in Städten und Gemeinden in NRW aufgestellt. Sie sind kaum vor Diebstahl zu sichern.
Nur wenige Skulpturen sind versichert
„Wir hatten solch einen Fall noch nicht, aber wenn Diebe uns ein Kunstwerk stehlen, würden auch wir überlegen, Objekte zu entfernen“, heißt es im Pressebüro der Stadt Essen. Etwa 180 Kunstwerke sind im Stadtgebiet verteilt – für jedermann zugänglich. Immerhin: Was davon zum Inventar der städtischen Museen gehört, „ist gegen Diebstahl versichert“. Wieviele Stücke das sind, weiß man in der Stadtverwaltung allerdings nicht auf Anhieb zu sagen.
In Dortmund zählt die Stadt 400 Kunstobjekte in Straßen, Parks und Friedhöfen – „plus-minus“, sagt Sprecherin Dagmar Papajewski. Eine Zählung vor 20 Jahren sei auf exakt 398 Skulpturen im öffentlichen Raum gekommen, von der Bronzeplatte bis zum Steingrabmal. An Diebstähle erinnert sie sich nicht - „zum Glück“. Kunstwerke abbauen? In Dortmund noch kein Thema: „Ohne Anlass macht man das nicht“, sagt Papajewski.
Wer weiß, wo das „Sterntaler-Mädchen“ ist?
In NRW sind in den vergangenen Jahren mehrere Kunstwerke, die außerhalb von Museen aufgestellt waren, Beutet von vermutlich Metalldieben geworden: In Sennestadt wurde vor wenigen Monaten eine 45 Zentimeter große bronzene Eule geklaut, in Marl im Oktober 2009 die Bronzeskulptur „Die spielende Frau“ des italienischen Künstlers Giacomo Manzù; ein Jahr zuvor in Duisburg-Hamborn die Skulptur „Sterntaler-Mädchen“.
Aus dem Park des Düsseldorfer Stadtmuseums ist der Abguss eines Kopfes von Ferdinand Lassalle, einem der SPD-Gründerväter, auf dem dortigen Nordfriedhof ein Bronze-Kopf aus der Werkstatt des Bildhauers Arno Breker verschwunden. „Sie sind vermutlich längst eingeschmolzen“, sagt Rolf Purpar, dessen Buch „Kunststadt Düsseldorf“ insgesamt 740 Kunstwerke in der Landeshauptstadt aufzählt.
Der bisher größte Kunstraub eines Freiluft-Objekts geschah im Dezember 2005 in England: Aus dem Park einer Stiftung war die mehrere Tonnen schwere Plastik „Reclining Figure“ des britischen Bildhauers Henry Moore geraubt worden – bei laufenden Überwachungskameras, wie es hieß. Von Moore sind auch viele Objekte in NRW zu sehen, etwa in Duisburg, Düsseldorf oder Münster.
Mehrere Dutzend Skulpturen Beute von Metalldieben?
Die Kunst interessiert Diebe in der Regel nicht, „es geht ihnen ums Material“, sagt MaryKate Cleary vom Art Loss Register in London, der weltweit zentralen Adresse für Kunstdiebstahl. 300.000 Kunstwerke sind dort derzeit als vermisst, gestohlen oder geplündert gemeldet. Nach Clearys Einschätzung dürften aktuell mehrere Dutzend Skulpturen aus Deutschland im Zusammenhang mit Metalldiebstahl als vermisst gemeldet sein.
Der Erlös steht dabei meist in keinem Verhältnis zum Kunstwert: Die in Duisburg verschwundene „Pandora“ wird nach Schätzung des Lehmbruck-Museums auf dem Metallmarkt vielleicht ein paar Tausend Euro bringen – falls sie nicht als viel billigerer Metallschrott verhökert wird. Der Versicherungswert ist hingegen auf 100.000 Euro angesetzt. Aber laut Cleary in London haben öffentliche Einrichtungenin Deutschland vielfach Versicherungspolicen, die bei Freiluft-Objekten bei Diebstahl nicht zahlen.
Kupfer steht auf historischem Höchstpreis
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Vor allem Bronzeplastiken sind bei Kunsträubern beliebt, weil sie zum Hauptteil aus Kupfer bestehen – ein Metall, das derzeit auf dem Weltmarkt einen „historischen Höchstpreis“ erreicht: Etwa 10.000 US-Dollar wurden zuletzt auf der Londoner Metallbörse für eine Tonne Kupfer bezahlt, erklärt Ralf Schmitz, Geschäftsführer des Verbandes deutscher Metallhändler (VDM) in Berlin. Bis 2004 pendelte der Preis noch bei 2000 Dollar. 2005 erlebte die Börse einen ersten Boom – der Kupferpreis verdreifachte sich. Nach einem drastischen Einbruch im Jahr der Wirtschaftskrise 2008 schnellen die Preise nun wieder kräftig in die Höhe – und mit ihnen die Zahlen der Metalldiebstähle (siehe Box).
Zwar hat die Metallbranche mittlerweile ein Warnsystem, um Schrottdiebe aufzuspüren: „Aber bei Kunstwerken hilft das nicht“, meint Ralf Schmitz: „Erst bei Materialmengen ab einer Tonne Gewicht“ mache eine Warnmail Sinn, die an mehrere Hundert Metall- und Recylingunternehmen eurpaweit verschickt wird. Zu den Empfängern gehören laut Schmitz auch Betriebe, die Metall einschmelzen. „Es muss schließlich die Chance bestehen, dass man das Diebesgut auch entdeckt.“ Eine 100 oder 500 Kilo schwere Bronzebüste aber „ist kaum wiederzufinden“, wenn sie von den Dieben zerlegt und unter anderen Schrott gemischt werde.
Bürgerpatenschaften als „soziale Kontrolle“
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Gottlieb Leinz, stellvertretender Chef des Lehmbruck-Museums und Initiator der Kunst-Abbaus in Duisburg, befürchtet eine „Systematik der Diebe“: In den vergangenen zwei Wochen seien in der Stadt bereits zwei andere Bronzen gestohlen worden – kleinere Tierfiguren, die aber nicht dem Museum gehören. Leinz ruft nun zu mehr „sozialer Kontrolle auf“, will mit der örtlichen Politik ins Gespräch kommen und regt Bürger-Patenschaften für Kunstwerke an.
In Düsseldorf gibt es das bereits, um gegen Vandalismus anzukämpfen, sagt Friedrich Conzen, Bürgermeister und Vorsitzender im Kulturausschuss. Aber nicht um alle Kunstwerke kümmern sich Ehrenamtler. Mit Blick nach Duisburg hält Conzen es „durchaus für überlegenswert, Objekte umzusetzen“. Kunst ins Depot zu verbannen, „das kann es aber nicht sein“, meint der CDU-Politiker.
Auch Karl-Heinz Brosthaus, Chef des Skulpturenmuseums Glaskasten in Marl, mag sich mit diesem Schritt nicht abfinden: „Kunst ist für den öffentlichen Raum bestimmt, es würde der Absicht der Kunstwerke widersprechen, sie einzuschließen“. Gleichwohl sei es auch Aufgabe der Museen ihre Werke zu schützen. In Marl seien immerhin 85 Prozent der 80 Skulpturen, die um das Museum verteilt in der Innenstadt zu sehen sind, aus Metall. Die mächtigste ist eine auf dem Rücken liegende Dampflok des Berliner Bildhauers Wolf Vostell. „La Tortuga“ – Die Schildkröte – heißt die Skulptur. Sein größtes Werk. Dass Diebe darauf mal ‚scharf’ sein könnten hofft Brosthaus nicht: „Sie wiegt 97 Tonnen“. Purer Stahl.