Essen. . Mit der Abschaffung der Wehrpflicht läuft auch der Zivildienst aus. Zwar soll der Bundesfreiwilligendienst ab Juli Ersatz schaffen. Doch Experten aus der Praxis sind skeptisch, ob gerade junge Männer den Dienst freiwillig antreten werden.
„Zwölf“, ruft Karl-Heinz Müller laut, hält die rote Kugel hoch und lacht. Der 69-Jährige spielt Bingo, und sein Zettel ist fast voll. Niklas Volkmann dreht die Lostrommel weiter. Spielen gehört zu den Hauptaufgaben des 21-Jährigen. Doch der junge Mann versorgt auch Ilse Lauer mit Kaffee, Wasser und Essen oder redet einfach der 89-Jährigen – über die „guten alten Zeiten“ und über das Jetzt. Er ist Versorger, Unterhalter und Enkelersatz, denn Niklas ist Zivildienstleistender im Marienhaus in Essen. Und er ist einer der letzten seiner Art.
Der Zivildienst ist ein Auslaufmodell. Mit der von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg forcierten Abschaffung der Wehrpflicht fällt auch der Ersatzdienst weg. Dadurch entsteht eine große Lücke im Pflegebereich. Wie sie geschlossen werden soll, ist noch nicht abschließend geklärt.
Bundesfreiwilligendienst soll Abhilfe schaffen
Zurzeit sind bundesweit noch 50.033 Zivildienstleistende im Einsatz, in Nordrhein-Westfalen sind es 13.031. Einberufene junge Männer können ihren Dienst, der mittlerweile auf sechs Monate eingedampft wurde, noch antreten, sie müssen aber nicht. Doch der Trend beim Einsatz der Zivildienstleistenden ist bereits seit einigen Jahren rückläufig: „Wir verzeichnen einen beständigen Rückgang seit 2000. Das liegt zum Beispiel an der Dienstzeitverkürzung oder an geänderten Musterungskriterien“, berichtet Josef Opladen, Mitarbeiter des Bundesamtes für den Zivildienst in Köln.
Eine soziale Katastrophe - nicht mehr und nicht weniger erwartet Familienministerin Kristina Schröder beim ersatzloser Wegfall der Zivildienststellen. Um die große Lücke, die spätestens Ende 2011 klaffen wird, zu schließen, plant der Bund einen so genannten Bundesfreiwilligendienst (BFD). Ab Juli sollen 35.000 Männer und Frauen auf freiwilliger Basis an dem Dienst teilnehmen. Dabei spielt das Alter keine Rolle, der Einsatz dauert ein Jahr. „Gedient werden“ kann im sozialen und ökologischen Bereich, aber auch in den Bereichen Sport, Integration oder Kultur.
Für den BFD will der Bund 350 Millionen Euro im Jahr locker machen. Außerdem bleiben die bisher bestehenden 35.000 Stellen, die die Länder im Freiwilligen Sozialen und Freiwilligen Ökologischen Jahr anbieten, erhalten. Soweit der bisherige Plan.
„Taschengeld“ als Motivation?
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Die Frage bleibt nur, wie 70.000 Menschen für die freiwilligen Dienste motiviert werden sollen. Das Geld dient wohl kaum als Anreiz: Analog zum Sold der Zivildienstleistenden ist der Verdienst nicht sehr hoch. Die Obergrenze für das „Taschengeld“ der Freiwilligen darf, so Josef Opladen, 330 Euro im Monat nicht übersteigen. Dennoch: Die BFDler sollen sozialversichert sein, für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung müssen ihre Einsatzstellen aufkommen.
Doch während Zivildienstleistende aufgrund der Wehrpflicht keine Wahl hatten, beruht der BFD auf Freiwilligkeit. „Es muss sich eine Freiwilligenkultur entwickeln“, vermutet Oliver Baiocco, Geschäftsbereichsleiter bei „Der Paritätische“ NRW. „Meine Sorge ist der Umbruch in 2011“, sagt Baiocco. Details – gerade zur Finanzierung – seien bisher noch ungeklärt. Dennoch bleibt er gelassen: In den kommenden Jahren werde man die Umstellung bewältigen können. „Im BFD steckt schließlich auch Potenzial. Ab Juli ist das Angebot ja auch für Frauen und für alle Generationen offen.“
Junge Männer waren wichtig
Das sieht Christian Kröll, Leiter des Marienhauses in Essen, anders. Bisher beschäftigte das Altenwohn- und Pflegeheim bis zu zwölf Zivildienstleistende im Jahr. Ob der Bundespflegedienst für entsprechenden Ersatz sorgen kann, bezweifelt Kröll: „Ich glaube nicht, dass sich da sehr viele melden werden“, meint der junge Heimleiter. „Wenn, dann nur aus der Not heraus.“ Etwa als Überbrückung zum Ausbildungsplatz in einem Pflegeberuf.
Zwar kooperiert die Essener Einrichtung bereits mit der Berufshilfe, über die alleinerziehende Mütter einen Weg zurück ins Arbeitsleben finden sollen. Auch der Einsatz von Ehrenamtlichen soll weiter ausgebaut werden. Aber freiwillig melden sich im Pflegebereich hauptsächlich Frauen, berichtet Kröll. Dabei seien die jungen Zivildienstleistenden für die alten Bewohner so wichtig gewesen: „Die Männer unterhalten sich mit den Jungs gerne über Fußball“, erzählt Kröll. „Naja, und die Frauen haben für die Zivildienstleistenden geschwärmt, manche haben sich sogar verliebt.“ Er lacht.
Noch drei Monate lang wird auch Niklas für Bewegung im Altenheim sorgen. Auch er ist skeptisch, ob sich junge Männer freiwillig für den sozialen Einsatz im Pflegebereich melden werden: „Wenn ich die Verpflichtung nicht gehabt hätte, wäre ich im Leben nicht hier gelandet“, sagt er. Einmal im Einsatz hat er seinen Dienst sogar von sechs auf neun Monate verlängert. Für die Lehre zum Bankkaufmann, die er anstrebt, bringt ihm der Zivildienst nichts. Aber der 21-Jährige findet: Jeder sollte die Erfahrung machen. „Man lernt sozial dazu, und vor allem bekommt man Respekt vor alten Leuten.“