Stuttgart. . Der Vater des Amokläufers von Winnenden ist zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Das Gericht sieht ihn für sein Leben gestraft. Auf eine Entschuldigung warteten die Angehörigen vergeblich.
Er hat geschwiegen statt bei der Aufklärung zu helfen, meldete sich zwischendurch krank und erschien wochenlang gar nicht mehr im Gerichtssaal. Gestern jedoch gab es für Jörg K., den Vater des Amokläufers von Winnenden, kein Entrinnen. Denn neben der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe trifft wohl vor allem dieser Satz im Urteil des Vorsitzenden Richters: „Sie werden ein ganzes Leben darunter zu leiden haben, der Vater eines Massenmörders zu sein, dem Sie fahrlässig Waffen zur Verfügung gestellt haben.“
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatte ihn ursprünglich nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt, die 18. Strafkammer jedoch befand ihn außerdem der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen schuldig und der fahrlässigen Körperverletzung in 14 Fällen. Verurteilt wurde er zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Jörg K., der Unternehmer aus dem baden-württembergischen Weiler zum Stein ist der Vater des 17-jährigen Amokläufers Tim K., dessen Tat vor knapp zwei Jahren ein ganzes Land schockierte. Weil der Vater, ein Sportschütze, seine Waffen nicht vorschriftsmäßig wegschloss, weil er die Munition „schlampig im ganzen Haus“ herumliegen ließ, machte er die Tat des Sohnes erst möglich.
Fast drei Stunden lang dauert die Urteilsbegründung von Richter Skujat. Drei Stunden, in deren Mittelpunkt noch einmal die Frage stand: Was wussten, was ahnten Jörg K. und seine Frau Ute über die psychischen Probleme ihres Sohnes, über dessen Gewaltphantasien. Und es ist bezeichnend für diesen Prozess, dass eine der entscheidenden Antworten darauf nicht von direkten Zeugen kam, sondern von einer Frau, die ihr Wissen nur sehr ungern weitergab, weil sie der Familie K. nicht schaden wollte.
Warnungen von Psychologen
Es war die Opferhelferin Frau L., die nach dem Amoklauf die Familie betreute und dabei eine wichtige Information erhielt: Schon im Frühjahr 2008, ein Jahr vor der Tat, hatten Psychologen die Eltern darüber informiert, dass ihr Sohn Hass auf Menschen verspüre, dass seine Gedanken darum kreisten, zu töten.
Jörg K. hatte das bei polizeilichen Vernehmungen bestritten. Die Psychologen, die dazu etwas hätten sagen können, beriefen sich auf ihre ärztliche Schweigepflicht. Wohl auch aus Sorge, im Nachhinein als mitverantwortlich zu gelten. Frau L. aber berichtete, sich windend.
Und was Richter Skujat absolut nicht begreifen kann, dass Jörg K. seinen Sohn nur wenige Tage nach dem Gespräch mit den Psychologen zum Schießsport mitnimmt, ihn dafür zu begeistern sucht. Er will den eigenbrötlerischen Sohn „unter die Leute bringen“.
Vater zog mit Familie vier mal um
Tim K. bekam von seinen Eltern, was er wollte. Wenn er Tischtennis spielen wollte, sponserte der Vater eben den Verein. Gleichzeitig muss es schrecklich gefühlskalt in dieser Familie zugegangen sein. Und so schoss sich der Sohn durch die Welt, erst im Computer, bei Counterstrike, dann im wahren Leben.
Das Gericht sieht Jörg K. für sein Leben gestraft, entschied sich auch deshalb dafür, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Viermal zog er seit dem Amoklauf mit seiner Familie um, die änderte ihren Namen, ist sozial geächtet. Man lebt unter Polizeischutz, belastet von Morddrohungen.
Versöhnung, eine Annäherung zwischen den Angehörigen der Opfer und dem Vater des Täters hat es im Gerichtssaal nicht gegeben. Auch das kritisiert der Richter: „Sie haben da eine Chance verpasst!“ sagt er an Jörg K. gewandt und bemängelt dabei gleich auch „den wenig Empathie zeigenden Stil“ von dessen Strafverteidiger Hubert Gorka.
Nicht alle sind mit dem Urteil zufrieden
Im Saal sitzen sie an diesem Morgen alle wieder, die Eltern, die Geschwister, die Ehepartner der Getöteten und einige Jugendliche aus der Albertville-Realschule aus Winnenden. „Ich lebe meinen Traum!“ steht trotzig auf ihren Sweatshirts. Unter ihnen eine 16-Jährige, die bei dem Amoklauf angeschossen wurde, unter ihnen auch die Lehrerin der 9c, Marieluise Braun, die geistesgegenwärtig die Klassentür schloss, nachdem Tim K. drei Schülerinnen erschossen hatte, die Schlimmeres verhinderte.
Nicht jeder von ihnen ist zufrieden mit dem Urteil, mancher hätte sich mehr Härte gewünscht. Aber viele sind froh, „dass nun alles vorbei ist!“