Stuttgart. .

Der Amokläufer von Winnenden litt nach Einschätzung eines Psychiaters offenbar an einer „ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung“. Tim K. hatte am 11. März 2009 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet.

Der Amokläufer von Winnenden litt nach Einschätzung eines psychiatrischen Gutachters offenbar an einer „ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung“. Typisch für diese seelische Störung seien unter anderem eine gewisse soziale Phobie, narzisstische Tendenzen, Überempfindlichkeit und ein mangelndes Selbstwertgefühl, sagte der von der Verteidigung beauftragte Gutachter, Reinhard Haller, am Donnerstag im Prozess gegen den Vater des Amokläufers vor dem Landgericht Stuttgart.

Bei Tim K. habe es eine „unglaubliche Diskrepanz“ zwischen seinen Gefühlen und seiner Darstellung nach außen gegeben, sagte der Innsbrucker Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, der ein Gutachten über Tim K. und seine Familie erstellt hat.

Dem Vater von Tim K. wird seit Mitte September der Prozess gemacht, weil er laut Anklage seinem Sohn Zugriff auf eine erlaubnispflichtige Schusswaffe sowie Munition ermöglicht hat. Der 17 Jahre alte Schüler hatte am 11. März 2009 bei einem Amoklauf in Winnenden und seiner anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet. Die Tatwaffe hatte er aus dem Schlafzimmer der Eltern entwendet.

„Gefühlsstau“ bei Tim K.

Laut dem Gutachter war es bei dem jugendlichen Amokschützen durch das Zurückhalten der eigenen Persönlichkeit zu einem „Gefühlsstau“ gekommen, der womöglich zu einer Depression führte. Um diese Situation zu bewältigen, komme es bei manchen Menschen zu Wutausbrüchen oder Aggressivität. Dies könnte auch der Fall beim Amoktäter gewesen sein. Allerdings gebe es zu wenige Erkenntnisse über Amokläufe, um daraus wissenschaftliche Schlussfolgerungen zu ziehen.

Der Zugang zu Waffen sei das einzige durchgängige und eindeutige Risikomerkmal bei Amokläufen gewesen, sagte Haller. Auf die Frage, warum der 17-Jährige für die Tat in sein ehemaliges Klassenzimmer zurückkam, sagte er, dass Täter meist an den Ort der „größten und permanenten Kränkung“ zurückkehrten. Auch die Mutter soll in einem Gespräch gesagt haben: „Er hatte diese Klasse nicht zufällig ausgesucht.“

Tim K. hatte Tat offenbar lange geplant

Der Psychiater fügte unter Berufung auf das Gespräch mit der Familie rund acht Monate nach der Tat hinzu, dass der Schütze offenbar unter Leistungsdruck stand. Teilweise habe er sich aber womöglich selbst unter Druck gesetzt, um auf bestimmten Gebieten Anerkennung zu bekommen, sagte Haller weiter. Anders als der Vater, der in dem Gespräch den Sohn als „ganz normal“ beschrieb, hielten ihn seine Mutter und Schwester für einen „Sonderling“, der in allem, was er tat, „sehr vorsichtig und geplant vorgegangen“ sei. Nach Ansicht der Mutter soll er deshalb die Tat schon lange zuvor geplant haben.

Im Gespräch mit den Eltern ging Haller zudem auf die Tatwaffe ein. So habe sich der Vater die Beretta ins Schlafzimmer geholt, weil die von ihm installierte Alarmanlage nachts öfter losgegangen sei. Er sei aber nicht davon ausgegangen, dass sonst jemand im Haus davon wusste. Nach dem Amoklauf soll sich der Angeklagte vorgeworfen haben: „Hätte ich das nur nicht getan.“

Psychiater geht auf Frage der Vorhersehbarkeit nicht ein

Auf die Frage der Vorhersehbarkeit der Tat durch die Familienangehörigen wollte sich der Psychiater, anders als in seinem Gutachten, vor Gericht nicht festgelegen. Er betonte aber, dass der Vater Gefühle nicht gut wahrnehmen und ausdrücken könne. Zudem hätten die Eltern stets behauptet, die Psychiater ihres Sohnes hätten sie nie über Mordfantasien des 17-Jährigen informiert. (dapd)