Winnenden. .
Der Vater des Amokläufers von Winnenden ist am Donnerstag vor dem Stuttgarter Landgericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.
Das Landgericht Stuttgart hat den Vater des Amokläufers von Winnenden zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sprach den 52-jährigen Jörg K. am Donnerstag der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Überlassung einer Waffe für schuldig. Sein 17-jähriger Sohn Tim K. hatte im März 2009 mit der Pistole des Vaters an seiner Schule und auf der Flucht 15 Menschen und sich selbst getötet.
Mit dem Urteil blieb das Landgericht geringfügig unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die für den Angeklagten zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung gefordert hatte. Die Verteidigung hatte darauf plädiert, von einer Strafe abzusehen, weil Jörg K. durch die Situation genug gestraft sei. In dem seit September andauernden Prozess waren zahlreiche Hinterbliebene der Opfer als Nebenkläger aufgetreten. Jörg K. war insbesondere vorgeworfen worden, dass sein Sohn problemlos an die Tatwaffe gelangen konnte.
Am vergangenen Verhandlungstag (1. Februar) war der Angeklagte nach rund drei Monaten Abwesenheit vor Gericht erschienen und hatte sich bei den Angehörigen der Opfer für die Tat seines Sohnes sowie für seine eigenen Fehler entschuldigt. "Ich fühle mich verantwortlich für meinen Sohn Tim und die Fehler, die ich gemacht habe", sagte er und drückte den Hinterbliebenen sein Mitgefühl aus.
Jörg K. und seine Familie stehen nach Morddrohungen seit Monaten unter Polizeischutz. Sie haben eine neue Identität angenommen und sind aus Winnenden weggezogen. Wie groß die Sorge um die Sicherheit des Mannes ist, zeigte auch die Äußerung des Vorsitzenden Richters, Reiner Skujat, während der Urteilssprechung: An einen Nebenkläger gewandt, warnte er vor möglichen Übergriffen. Man wisse ja dann, wo man ermitteln müsse.
Richter: Eltern wussten von den Tötungsfantasien ihres Sohnes
Zur Begründung sagte Skujat, zwar sei der 52-Jährige für die ungeheuerliche Tat seines Sohnes nicht verantwortlich. Ohne das "komplette Versagen des Angeklagten" wäre der Täter jedoch nicht an Waffe und Munition gekommen, was den Amoklauf "in seinem schrecklichen Ausmaß mitverursacht" habe.
Darüber hinaus habe die Beweisaufnahme gezeigt, dass die Eltern das Gefährdungspotenzial durchaus hätten erkennen können. So seien sie von den psychiatrischen Ärzten ihres Sohnes bereits im April 2008 über seine Stimmungsschwankungen und seine Tötungsfantasien informiert worden. Es hätte ihnen auffallen müssen, dass der "kontaktgestörte" und "psychisch instabile" Tim K. einer besonderen Problem- und Risikogruppe zuzuordnen war, sagte der Richter weiter.
Aus diesen Gründen hätte der Angeklagte seinen Sohn von Schusswaffen fernhalten und bei deren Aufbewahrung besonders vorsichtig sein müssen.
Keine strafmildernden Gründe wegen fehlendem Geständnis
Strafmildernd rechnete das Gericht dem Vater an, dass er Reue gezeigt und sich während der Ermittlungen kooperativ gezeigt habe. Außerdem leide die Familie aufgrund der sozialen Isolation sehr. Aufgrund des Urteils würden zudem zahlreiche zivilrechtliche Klagen mit Schadensersatzforderungen auf den Vater zukommen.
Laut Skujat ist es rechtlich zwar hinzunehmen, dass der Angeklagte sich vor Gericht bis zu auf seine Worte der Reue am Schluss nicht geäußert hatte. Da er aber keine "schonungslose Offenheit" gezeigt habe, habe man es ihm auch nicht positiv anrechnen können.
Er hielt dem regungslos dasitzenden 52-Jährigen vor, die Chance eines Gesprächs mit den Angehörigen verpasst zu haben. "Die Chance, Verantwortung zu übernehmen, hat der Angeklagte nicht genutzt", sagte Skujat.
An die Adresse der Angehörigen fügte Skujat hinzu, ihre hohen Erwartungen seien nicht erfüllt worden. Dass Gericht könne nicht der Ort sein, um ein gesellschaftliches Geschehen wie einen Amoklauf zu ergründen oder um verschärfte Gesetze zu fordern. "Mit Mitteln des Strafrechts kann überhaupt kein gesellschaftliches Problem gelöst werden", sagte er.
Zudem betonte der Richter, dem Angeklagten sei "kein Stellvertreterprozess" gemacht worden. Er sei fair behandelt worden. "Einen Spießroutenlauf hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben", sagt er.
Verteidigung kündigte Revision an
Die Verteidigung kündigte Revision gegen das Urteil an mit der Begründung, das Stuttgarter Gericht habe bereits einmal ein anderes Urteil zur Sachlage der Unterlassung gefällt. Die Staatsanwaltschaft nannte die Gerichtsentscheidung "sehr richtig und angemessen", die Begründung sei rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Nebenklage kann nach Angaben des Anwalts Jens Rabe gegen das Strafmaß keine Revision einlegen, nachdem das Gericht dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung gefolgt war.
Das Echo der Angehörigen auf das Urteil fiel gespalten aus. Viele zeigten sich enttäuscht über das in ihren Augen zu geringe Strafmaß. Andere wie etwa der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden, Hardy Schober, sagte, die Entscheidung sei zu erwarten gewesen. Die Mutter einer getöteten Referendarin, Gisela Mayer, sagte, sie könne mit dem Urteil gut leben. (dapd/afp/we)